VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.11.2010 - A 2 S 2121/10 - asyl.net: M17956
https://www.asyl.net/rsdb/M17956
Leitsatz:

Berufungszulassungsverfahren: Aus einem etwaigen Verstoß gegen § 116 Abs. 2 2.Halbs. VwGO (Übermittlung des Urteils binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung an die Geschäftsstelle) kann weder gefolgert werden, dass das angefochtene Urteil nicht mit Gründen (§ 138 Nr. 6 VwGO) versehen ist, noch kann darin zugleich eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) gesehen werden.

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Irak, Yeziden, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Zustellung, Urteil, Urteilsgründe, Verfahrensfehler, Überraschungsentscheidung, Sachaufklärungspflicht, Hinweispflicht
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, VwGO § 116 Abs. 2, AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3, VwGO § 138
Auszüge:

[...]

b) Nach der Darstellung des Klägers hat das Verwaltungsgericht das - nicht verkündete, sondern gemäß § 116 Abs. 2 1. Halbs. VwGO zugestellte - Urteil nicht binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übermittelt, wie dies § 116 Abs. 2 2. Halbs. VwGO für den Fall der Zustellung des Urteils verlangt. Ob diese Darstellung zutrifft, kann dahinstehen, da damit kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG in Verbindung mit § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Aus einem etwaigen Verstoß gegen § 116 Abs. 2 2. Halbs. VwGO kann weder gefolgert werden, dass das angefochtene Urteil nicht mit Gründen (§ 138 Nr. 6 VwGO) versehen ist, noch kann darin zugleich eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) gesehen werden.

aa) Nach § 138 Nr. 6 VwGO ist ein Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist im Sinne dieser Vorschrift nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 27.4.1993 - GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367). Im Falle der in § 116 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Zustellung des Urteils beginnt die Fünfmonatsfrist mit der Niederlegung des Urteilstenors bei der Geschäftsstelle (BVerwG, Beschl. v. 20.9.1993 - 6 B 18.93 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 21; Beschl. v. 3.8.1998 - 7 B 236.98 - Juris). Ob in einem Fall, in dem der Urteilstenor nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 VwGO der Geschäftsstelle übergeben worden ist, die mit Blick auf § 138 Nr. 6 VwGO maßgebliche Fünfmonatsfrist bereits mit der mündlichen Verhandlung oder erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 VwGO zu laufen beginnt, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen. Denn das angefochtene Urteil ist ausweislich der Akte des Verwaltungsgerichts am 29.7.2010 und damit etwas mehr als drei Monate nach der mündlichen Verhandlung vom 19.4.2010 vollständig der Geschäftsstelle übergeben worden.

bb) Die fristgerechte Entscheidungsfindung, die § 116 Abs. 2 VwGO gebietet, soll gewährleisten, dass das schriftliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten vom Gericht nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern bei der Entscheidungsfindung auch tatsächlich in Erwägung gezogen worden ist. § 116 Abs. 2 VwGO dient somit der Sicherung des Anspruchs der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerwG, Urt. v. 10.11.1999 - 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 m.w.N.). Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Verletzung des § 116 Abs. 2 VwGO automatisch einen Gehörsverstoß beinhaltet. Das Vorliegen eines solchen Verstoßes beurteilt sich vielmehr nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (BVerwG, Urt. v. 10.11.1999 aaO). Für einen Gehörsverstoß kann danach im vorliegenden Fall nichts festgestellt werden. Dafür, dass das Verwaltungsgericht bei der Entscheidungsfindung einen Teil des Vorbringens des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht bedacht hätte, ist nichts ersichtlich. Auch der Kläger behauptet dies nicht. [...]