FG Niedersachsen

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Zitieren als:
FG Niedersachsen, Urteil vom 07.10.2010 - 5 K 183/07 [= ASYLMAGAZIN 2011, S. 58 f.] - asyl.net: M17878
https://www.asyl.net/rsdb/M17878
Leitsatz:

Eine rückwirkende Änderung des Kindergeldberechtigten ist möglich, wenn wie hier die Anträge der Mutter abgelehnt wurden, weil sie nicht die Voraussetzungen erfüllt, der Vater jedoch aufgrund seines Aufenthaltstitels einen Kindergeldanspruch hat. Der Senat ist der Auffassung, dass ergangene Ablehnungsbescheide gegen den anderen Elternteil in einem solchen Fall einer Kindergeldfestsetzung zugunsten des zum Kindergeldbezug berechtigten Elternteils nicht entgegenstehen, da kein Fall der Anspruchskonkurrenz zwischen den berechtigten Elternteilen nach § 64 Abs. 2 EStG vorliegt. Denn tatsächlich hat nur der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Schlagwörter: Kindergeld, Aufenthaltstitel, Aufenthaltsbefugnis, Aufenthaltserlaubnis
Normen: EStG § 62 Abs. 2, AufenthG § 101, EStG § 52 Abs. 61a S. 2, AuslG § 32, AufenthG § 23 Abs. 1, EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2 Bst. c, EStG § 64 Abs. 1, EStG § 64 Abs. 2, AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld ab der Geburt seiner Kinder ... (Januar.2004) und ... (September 2005) für den noch streitigen Zeitraum bis November 2006.

1. Nach § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz - EStG - haben Ausländer dann einen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld, wenn sie im Besitz bestimmter aufenthaltsrechtlicher Titel ab 2006 nach dem Aufenthaltsgesetz oder für die Zeit davor von bestimmten ausländerrechtlichen Genehmigungen nach dem Ausländergesetz sind. Die Aufenthaltsgenehmigungen nach dem Ausländergesetz sind nach der Rechtsprechung des BFH (vgl BFH-Beschluss vom 1.4.09.2009, III B 54/08, BFH/NV 2010, 32) nach Maßgabe des § 101 Aufenthaltsgesetz in aufenthaltsrechtliche Titel nach dem Aufenthaltsgesetz zu behandeln. Der neugefasste § 62 Abs. 2 EStG ist gem. § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG auf alle Sachverhalte anzuwenden, bei denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist.

Der Kläger war im Besitz von Aufenthaltstiteln, die zum Bezug von Kindergeld berechtigen. Er war seit dem 11. Oktober 1991 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 32 Ausländergesetz; seit dem Jahre 1994 war er aufgrund einer vom Arbeitsamt Hannover ausgestellten Erlaubnis auch zur Aufnahme einer nicht selbstständigen Arbeit berechtigt. Diese nach § 32 Ausländergesetz erteilte Aufenthaltsbefugnis entspricht einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz, in deren Besitz der Kläger seit dem Kläger 2005 ist (vgl. BFH-Beschluss vom 18.02.2009, III 8 132/08, BFH/NV 2009, 922).

§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG schließt allerdings den Kindergeldbezug eines Ausländers aus, wenn die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz wegen eines Krieges im Heimatland erteilt worden ist. Dieser Ausschlussgrund liegt beim Kläger nicht vor; seine Aufenthaltserlaubnis ist nicht wegen eines in seinem Heimatland Libanon herrschenden Krieges ausgestellt worden.

2. Der Festsetzung von Kindergeld ab Geburt der Kinder im Januar 2004 bzw. September 2005 bis November 2006 stehen die gegenüber der Ehefrau des Klägers ergangenen Bescheide der Familienkasse, mit denen die Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wird, nicht entgegen.

Nach §§ 62, 63 EStG steht jedem Elternteil unter den dort im Einzelnen genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld zu. Sind für ein Kind mehrere Personen kindergeldberechtigt, wird das Kindergeld nach § 64 Abs. 1 EStG nur einem der Berechtigten gezahlt. Der vorrangig Berechtigte bestimmt sich nach § 64 Abs. 2 EStG. Lebt das Kind in dem gemeinsamen Haushalt der Eltern, so bestimmen diese untereinander den Kindergeldberechtigten (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG).

Der Kläger und seine Ehefrau haben zunächst die Ehefrau als Kindergeldberechtigte bestimmt. Dies ergibt sich daraus, dass die Ehefrau den Antrag auf Festsetzung von Kindergeld gestellt und der Kläger im Antragsformular sein Einverständnis erklärt hat, dass seiner Ehefrau das Kindergeld ausgezahlt wird. Diese einvernehmliche Berechtigtenbestimmung kann grundsätzlich nicht rückwirkend geändert werden (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 08.09.1998 - VI 786/97 Ki, EFG 1998, 1654; Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 31.03.1999 - III 1493/98, EFG 1999, 786). Ausnahmsweise wird eine rückwirkende Berechtigtenbestimmung dann für zulässig gehalten, wenn das Kindergeld noch nicht ausgezahlt worden ist (Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht in EFG 1999, 786) bzw. noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Niedersächsisches Finanzgericht in EFG 1998, 1664).

Die Frage, ob eine rückwirkende Änderung des Berechtigten möglich ist, wenn die Festsetzung von Kindergeld gegen den ursprünglich als berechtigt bestimmten Elternteil bestandskräftig abgelehnt worden ist, ist bisher nicht entschieden. Der Senat kann diese grundsätzliche Frage dahinstehen lassen. Er ist allerdings der Auffassung, dass bei dem hier zu urteilenden Sachverhalt die gegen die Ehefrau des Klägers ergangenen Ablehnungsbescheide der Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers nicht entgegenstehen. Die Anträge der Ehefrau auf Festsetzung von Kindergeld sind von der Familienkasse abgelehnt worden, weil die Ehefrau die nach § 62 Abs. 2 EStG gestellten Voraussetzungen, unter denen Ausländer Kindergeld gezahlt erhalten, nicht erfüllt hat. Die Ablehnung der Zahlung von Kindergeld ist also aus Gründen erfolgt, die in der Person der Antragstellerin liegen. Die Familienkasse hat sich darauf gestützt, dass die Ehefrau während der Geltungsdauer des Ausländergesetzes nur eine Aufenthaltsbefugnis gehabt habe, die ab dem 1. Januar 2005 als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz fortgewirkt habe. Dieser Aufenthaltstitel begründet nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c i.V.m. Nr. 3 EStG einen Anspruch auf Kindergeld nur dann, wenn sich die Antragstellerin mindestens drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt. Diese Voraussetzungen lagen und liegen bei der Ehefrau des Klägers nicht vor. Ihr ist eine Arbeitserlaubnis nicht ausgestellt worden; sie war nicht berufstätig und hat weder Leistungen nach dem SGB III erhalten noch Elternzeit in Anspruch genommen. Demgegenüber liegen die Voraussetzungen für die Zahlung von Kindergeld bei dem Kläger vor, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt. Der Streitfall weist somit die Besonderheit auf, dass von den Eheleuten unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 62 Abs. 2 EStG nur der Kläger und nicht seine Ehefrau kindergeldberechtigt war. In diesem Fall besteht eine Anspruchskonkurrenz zwischen zwei berechtigten Elternteilen, die über § 64 Abs. 2 EStG zu lösen ist, nicht. Denn tatsächlich hat nur der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld. Unter diesen Voraussetzungen ist der Senat der Auffassung, dass ergangene Ablehnungsbescheide gegen den anderen Elternteil, bei dem die persönlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, einer Kindergeldfestsetzung zugunsten des anderen zum Kindergeldbezug berechtigten Elternteils nicht entgegenstehen. Denn die Bestimmung nach § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG hat in diesen Fällen keine tatsächliche Bedeutung, da nur ein Elternteil Anspruch auf Zahlung von Kindergeld hat, eine Anspruchskonkurrenz, die nach § 64 Abs. 2 EStG zu lösen wäre, nicht besteht.

Die Rechtsprechung des BFH, wonach Ablehnungsbescheide für den Zeitraum ihrer zeitlichen Geltung der Festsetzung von Kindergeld entgegensteht, ist im Streitfall nicht einschlägig. Denn die vom BFH entschiedenen Fälle betreffen ausnahmslos den Sachverhalt, dass sie von dem gleichen Kindergeldberechtigten gestellt worden sind. Ein derartiger Sachverhalt liegt im Streitfall nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2.1. Alternative FGO zugelassen.