VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 25.01.2010 - 3 K 30/09.KO - asyl.net: M17855
https://www.asyl.net/rsdb/M17855
Leitsatz:

Der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, hier: Al Qaida) fordert eine gegenwärtige Gefährlichkeit, die bei dem Kläger nach dem strafrechtlichen Bewährungsbeschluss nicht mehr gegeben ist. Steht damit fest, dass weder von der Person des staatenlosen Klägers noch von seinen damaligen Straftaten (noch) eine gegenwärtige Gefährlichkeit ausgeht, ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht schon wegen des Eingreifens des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 S. 1 AufenthG ausgeschlossen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Neubescheidung, Ermessen, Studium, Ausweisungsgrund, Straftat, Freiheitsstrafe, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, staatenlos, terroristische Vereinigung, Al Qaida, gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung, Bewährung, Achtung des Privatlebens, Duldung
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 16, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 53 Nr. 1, AufenthG § 5 Abs. 3, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 3, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 4, AufenthG § 5 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 54 Nr. 5, AufenthG § 54 Nr. 5a, EMRK Art. 8, AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Soweit der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG abgelehnt hat, erweist sich die konkret ergangene Entscheidung als rechtswidrig, ohne dass allerdings zugleich feststeht, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung hat. Die ablehnende Entscheidung ist deshalb aufzuheben und der Beklagte zur Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.

Die Ausreise des Klägers, der nach der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung/Erteilung eines Aufenthaltstitels und Ablaufs der ihm gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig ist, ist aus tatsächlichen Gründen unmöglich, denn zur Zeit ist kein Staat ersichtlich, der zur Aufnahme des Klägers bereit oder verpflichtet ist, so dass weder eine freiwillige Ausreise des Klägers noch eine Abschiebung des Klägers aktuell möglich ist. Dieser auf die nach Aktenlage bestehende Staatenlosigkeit des Klägers zurückzuführende Zustand dauert bereits längere Zeit an und eine Beendigung ist nicht abzusehen. Die tatsächliche Unmöglichkeit seiner Ausreise hat der Kläger auch nicht verschuldet, so dass die Erteilung eines Titels auch nicht gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 oder 4 AufenthG ausgeschlossen ist.

Entgegen der vom Beklagten nach wie vor vertretenen Rechtsauffassung steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch nicht bereits der Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG entgegen. Nach dieser Bestimmung ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu versagen, wenn einer der Ausweisungsgründe nach § 54 Nr. 5 oder 5a AufenthG vorliegt. Derartige Ausweisungsgründe bestehen hier jedoch nicht bzw. nicht mehr. [...]

Im vorliegenden Fall liegt zum anderen auch kein Ausweisungstatbestand im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG (mehr) vor, so dass § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch insoweit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger nicht (mehr) entgegensteht.

§ 54 Nr. 5, 1. Halbsatz AufenthG setzt zunächst einmal voraus, dass bezüglich des Ausländers Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Diese Voraussetzung ist im Falle des Klägers erfüllt, denn dieser ist wegen Unterstützung der Al Qaida, einer ausländischen terroristischen Organisation, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das entsprechende Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 05. Dezember 2007 ist - nach Abänderung nur des Schuldspruchs in einem hier nicht relevanten Punkt durch den Bundesgerichtshof und Verwerfung der Revision des Klägers im Übrigen - rechtskräftig geworden. Der Beklagte ist schon deshalb berechtigt, die festgestellten Unterstützungshandlungen auch seiner ausländerbehördlichen Maßnahme zugrunde zu leben.

§ 54 Nr. 5, 2. Halbsatz AufenthG bestimmt indessen einschränkend, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist nicht (mehr) erfüllt.

Von der Person des Klägers selbst geht keine gegenwärtige Gefahr erneuter Unterstützungshandlungen zugunsten einer terroristischen oder den Terrorismus unterstützenden Organisation mehr aus. Das folgt zur Überzeugung der Kammer aus den Gründen des Beschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf. vom 14. Dezember 2009 (vgl. Bl. 220 bis 230 der im Verfahren 3 L 1320/09.KO vorgelegten Verwaltungsakte des Beklagten), mit dem dieses die Vollstreckung des Restes der durch sein Urteil vom 05. Dezember 2007 gegen den Kläger verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Darin führt das Gericht, das zur Vorbereitung seiner Entscheidung einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt und den Sachverständigen sowie den Kläger angehört hat, im Einzelnen aus, dass und weshalb beim Kläger davon auszugehen ist, dass er künftig keine ähnlich gelagerten Straftaten wie diejenigen, derentwegen er verurteilt worden ist, mehr begehen wird und dass er selbst dann, wenn - einmal unterstellt - ein vergleichbares Ansinnen erneut an ihn herangetragen würde, er sich nicht noch einmal in eine ähnliche Aktion einbinden ließe, sondern er sich auf die Absolvierung des Studiums oder einer beruflichen Ausbildung konzentrieren wird, um sich so die von ihm angestrebte Existenz aufbauen zu können. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung aus den im Beschluss des Strafsenats überzeugend dargelegten Gründen an und verweist auf diese den Beteiligten bekannte Entscheidung. Der Hinweis der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, man gehe dennoch von einer auch aktuell noch bestehenden Gefährlichkeit des Klägers aus, weil kein Sachverhalt ersichtlich sei, der dafür sprechen könnte, dass die ursprünglich bestehende Gefährlichkeit zwischenzeitlich entfallen sei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Beklagte setzt sich insoweit nicht mit den Argumenten im Beschluss des Strafsenats auseinander, sondern hält lediglich an seiner abweichenden Einschätzung fest. Diese überzeugt aber inzwischen aus den im Beschluss des Strafsenats dargelegten Gründen nicht mehr. Gleiches gilt für die Darlegungen im Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses. Insoweit trifft es zwar zu, dass der Kläger von seiner Verhaftung am 21. Mai 2005 bis zur Haftentlassung am 05. Dezember 2007 keine weiteren Unterstützungshandlungen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG mehr begehen konnte, weil er sich damals in Untersuchungshaft befand. Auch hat sich der Kläger nicht ausdrücklich von einer Unterstützung der Al Qaida losgesagt oder distanziert, sondern macht - wie sich aus den im Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2009 wiedergegebenen Schilderungen des Klägers gegenüber dem Sachverständigen ergibt - nunmehr unter anderem geltend, er habe zu keinem Zeitpunkt gewusst, dass von dem durch die betrügerischen Handlungen erzielten Geldgewinn ein Teil zur Unterstützung der Terrororganisation Al Qaida verwandt werden sollte. In seiner etwa ein Jahr nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Entscheidung hat der Strafsenat aber überzeugend ausgeführt, dass und weshalb trotz dieses Umstandes aufgrund der vom Sachverständigen festgestellten Einstellung des Klägers in Verbindung mit einer gewissen eingetretenen Reifung und auch der Wirkungen der erstmaligen Haftverbüßung sowie des Fehlens einer fanatischen Einstellung im Sinne eines radikalen Islamismus vom Kläger inzwischen nicht mehr die Gefahr ähnlich gelagerter Straftaten ausgeht und insbesondere keine Unterstützung einer islamistisch-terroristischen Vereinigung mehr von ihm zu erwarten ist. Diese Erkenntnisse und die weitere Straflosigkeit über einen Zeitraum von etwa einem Jahr bis zur Entscheidung des Strafsenats und auch das Fehlen jeglicher irgendwie politischer Aktionen des Klägers rechtfertigen die abweichende Beurteilung durch den Strafsenat und die erkennende Kammer.

Darüber hinaus geht entgegen der vom Kreisrechtsausschuss ohne nähere Begründung vertretenen Auffassung von den vom Kläger begangenen Unterstützungshandlungen zugunsten von Al Qaida auch keine gegenwärtige Gefährlichkeit aus. Die vollendeten und versuchten Betrugshandlungen, an denen der Kläger mitgewirkt hat, haben nicht zu der geplanten Auszahlung von Versicherungssummen geführt, mit denen die Terrororganisation und deren Aktivitäten finanziell unterstützt werden sollten, denn die Taten wurden rechtzeitig entdeckt. Auch die geplante Ausreise des Bruders des Klägers, der letztlich mit Mitteln aus der erhofften Beute in den Irak ausreisen wollte, um dort am sogenannten Djihad teilzunehmen, wurde durch dessen rechtzeitige Verhaftung verhindert. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass sich aus den damaligen Aktivitäten des Klägers dennoch eine bis heute fortwirkende Gefährlichkeit ergeben könnte, fehlen.

Steht damit fest, dass weder von der Person des Klägers noch von seinen damaligen Straftaten (noch) eine gegenwärtige Gefährlichkeit ausgeht, ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht schon wegen Eingreifens des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. [...]