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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 03.08.2010 - 5434240-438 - asyl.net: M17854
https://www.asyl.net/rsdb/M17854
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, da eine adäquate Behandlung der Krebserkrankung im Irak nicht möglich ist und bei einem Abbruch der begonnenen Chemotherapie eine alsbaldige Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zu lebensbedrohlichem Zustand zu erwarten ist.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Irak, medizinische Versorgung, Krebserkrankung, Chemotherapie
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat durch Vorlage ärztlicher Atteste nachgewiesen, dass er an Krebs erkrankt und bereits operiert worden ist. Aufgrund dieser schweren Erkrankung ist eine langfristige Behandlung etwa durch Chemotherapie, die im Mai 2010 begonnen hat, unerlässlich.

Hinsichtlich der medizinischen Versorgung im Irak führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 11.04.2010 aus, die medizinische Versorgungssituation bleibe angespannt: In Bagdad arbeiteten vier von vierzehn Krankenhäusern nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal würden generell als qualifiziert gelten, viele hätten aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Während vor 2003 insgesamt 34.000 Ärzte landesweit registriert gewesen seien, habe es nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Jahr 2008 nur noch 19.334 Ärzte im Irak gegeben. Wie kritisch die Lage sei, belege die Tatsache, dass das irakische Kabinett im Januar 2010 einen Gesetzesentwurf verabschiedet habe, der Ärzten das Tragen von Waffen zum Selbstschutz erlauben soll. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen 1.989 örtlichen Gesundheitszentren seien entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängeln nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Seit 2003 seien erst 210 dieser Einrichtungen wieder hergestellt worden. Zwar betrage das Budget für das Gesundheitswesen inzwischen 10 % des nationalen Haushalts. Es mangele aber, wie überall, an der raschen Umsetzung geplanter Investitionen. Viele Krankenhäuser verfügten über eine mangelnde Energie- und Trinkwasserversorgung sowie schlechte hygienische Bedingungen, weil sie keinen geregelten Zugang zur Abwasser- und Müllentsorgung hätten. Für die Krankheitskosten gelte für staatliche Bedienstete das Gesetz Nr. 11 ("Gesetz für gesundheitsbezogene Unfähigkeit") von 1999, nach dem die aufgrund von Arbeitsunfällen und berufsbezogenen Krankheiten entstehenden Kosten komplett vom Staat getragen werden. Staatsbediensteten werde zur Abdeckung dieser Ausgaben ein bestimmter Prozentsatz ihres Gehaltes einbehalten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Privat-, Gemischt- und Genossenschaftssektors könnten nach dem Gesetz Nr. 39 von 1971 in die Sozialversicherung aufgenommen werden; sie seien dann kranken- und unfallversichert. Bei Arbeitsunfällen und berufsbezogenen Krankheiten würden 40 % der Kosten übernommen. Der Versicherungsbetrag betrage für Arbeitgeber 12 % und für Arbeitnehmer 5 % ihres monatlichen Nettoeinkommens. Grundsätzlich seien in den Apotheken Bagdads viele Medikamente erhältlich. Deren Einfuhr erfolge hauptsächlich über Jordanien. Es sei auch möglich, Medikamente kurzfristig zu bestellen; sie seien aber häufig vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten kaum erschwinglich. Ein beträchtlicher Teil der ohnehin knappen Ressourcen des irakischen Gesundheitswesens werde für die Behandlung von Opfern der anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen und der Anschläge beansprucht.

Vor diesem Hintergrund ist eine adäquate Behandlung der Krebserkrankung des Antragstellers in seiner Heimat nicht möglich. Bei einem Abbruch der Behandlung ist eine alsbaldige Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zu lebensbedrohlichem Zustand zu erwarten. Daher war das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen festzustellen. [...]