VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 23.11.2009 - 19 ZB 09.2706 - asyl.net: M17834
https://www.asyl.net/rsdb/M17834
Leitsatz:

Zur Anrechnung von Duldungszeiten nach § 102 Abs. 2 AufenthG für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 26 Abs. 4 AufenthG).

Schlagwörter: Niederlassungserlaubnis, Anrechnung, Duldung,
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4, AufenthG § 102 Abs. 2
Auszüge:

[...]

1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen – jedenfalls im Ergebnis – keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, da dem Kläger ein Anspruch auf Neuverbescheidung des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG sind nicht erfüllt.

a) In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist umstritten, ob die in § 102 Abs. 2 AufenthG angeordnete Anrechnung von Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG voraussetzt, dass sich an den Duldungszeitraum nahtlos die Erteilung einer ebenfalls anzurechnenden Aufenthaltsbefugnis nach dem Ausländergesetz 1990 oder einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes anschließt (so VGH BW, Beschluss vom 19.5.2008 – 11 S 942/08 –, InfAuslR 2008, 300 [301]), oder ob solche Zeiten bereits dann angerechnet werden können, wenn am 1. Januar 2005 die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Kapitel 2 gegeben waren und auch zum Zeitpunkt der tatsächlichen Erteilung noch vorgelegen haben (so OVG NRW, Beschluss vom 4.9.2008 – 18 E 428/08 –, EZAR-NF 24 Nr. 8, S. 2 f.). Der Unterschied zwischen beiden Rechtsansichten besteht mit anderen Worten im Wesentlichen darin, dass nach Auffassung des VGH Baden-Württemberg eine Anrechnung von Duldungszeiten nur dann in Betracht kommt, wenn der Antragsteller bereits zum 1. Januar 2005 tatsächlich eine Aufenthaltserlaubnis in Händen hielt, während das OVG Nordrhein-Westfalen insoweit bereits das Bestehen eines Anspruchs am 1. Januar 2005 genügen lässt.

b) Auch wenn das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung eine deutliche Präferenz für die Auffassung des VGH Baden-Württemberg hat erkennen lassen, so hat es den Sachverhalt doch gleichwohl auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des OVG Nordrhein-Westfalen geprüft und – jedenfalls im Ergebnis – rechtlich zutreffend gewürdigt; denn dem Kläger steht nach beiden Auffassungen ein Anspruch auf Anrechnung von Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 nicht zu.

aa) Unstreitig ist insoweit zunächst, dass eine Anrechnung von Zeiten nach dem 1. Januar 2005 von vornherein nicht in Betracht kommt, da § 102 Abs. 2 AufenthG eine solche nicht anordnet (vgl. insoweit übereinstimmend VGH BW, Beschluss vom 19.5.2008 – 11 S 942/08 –, InfAuslR 2008, 300 [301]; OVG NRW, Beschluss vom 4.9.2008 – 18 E 428/08 –, EZAR-NF 24 Nr. 8, S. 2).

bb) Legt man die Auffassung des VGH Baden-Württemberg zugrunde, so scheitert eine Anrechnung von Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 vorliegend bereits daran, dass dem Kläger erst am 31. Juli 2007 und nicht schon am 1. Januar 2005 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Geht man hingegen von der Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen aus, nach der bereits das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 1. Januar 2005 ausreicht, so führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis:

Dem Kläger konnte vorliegend am 31. Juli 2007 lediglich eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach dem IMK-Bleiberechtsbeschluss vom 17. November 2006 erteilt werden. Diese Möglichkeit hat aber zum 1. Januar 2005 noch gar nicht bestanden, so dass bei Zugrundelegen der Rechtsauffassung des OVG Nordrhein-Westfalen eine Anrechnung von Duldungszeiten vor dem 1. Januar 2005 nur dann in Betracht käme, wenn dem Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zugestanden hätte.

Gerade dies ist jedoch nicht der Fall, da dem Kläger als irakischem Staatsangehörigen die freiwillige Ausreise möglich und auch zumutbar war (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 – 1 C 14/05 –, NVwZ 2006, 1418 [1419]). Insoweit wird zugleich auf die gleichlautenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 3. April 2007 – AN 5 K 06.02026 – betreffend das Verfahren der Prozesskostenhilfe verwiesen. Eine Anrechnung von Duldungszeiten auf die Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG kommt daher auch bei Zugrundelegen der Ansicht der OVG Nordrhein-Westfalen nicht in Frage.

cc) Es bedarf deshalb entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten keiner weiteren Klärung, ob die mit Bescheid vom 28. Februar 2007 erfolgte Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung der Hauptsache im anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren unanfechtbar geworden ist, wie das Verwaltungsgericht auf Seite 7 der angefochtenen Entscheidung meint, oder ob der Bescheid mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dem IMK-Bleiberechtsbeschluss konkludent aufgehoben wurde, wie dem Einstellungsbeschluss des Gerichts vom 11. Juli 2007 – AN 5 K 06.02026 – zu entnehmen ist. Maßgeblich ist allein, dass dem Kläger aufgrund des Fehlens der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Januar 2005 ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht zustand. [...]