VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - asyl.net: M17816
https://www.asyl.net/rsdb/M17816
Leitsatz:

1. Das Inkrafttreten der EU-Qualifikationsrichtlinie stellt keine Änderung der Rechtslage zu Gunsten eines Ahmadis aus Pakistan dar, dem im abgeschlossenen Asylverfahren allein die bloße Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft geglaubt wurde.

2. Die Tatsachen, die den Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist, ihn in der Vergangenheit praktiziert hat und aktuell praktiziert, müssen im Asylfolgeverfahren innerhalb der Dreimonatsfrist vorgetragen werden.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Pakistan, Ahmadiyya, religiöse Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Asylfolgeantrag, Wiederaufnahme des Verfahrens, Drei-Monats-Frist, Änderung der Rechtslage, Qualifikationsrichtlinie, Gruppenverfolgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 71 Abs. 1, VwVfG § 51 Abs. 3, RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

[...]

Der 34 Jahre alte Kläger begehrt im Asylfolgeverfahren die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 6 und 7 AufenthG sowie die Aufhebung der Abschiebungsandrohung.

Er ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyyas, Qadian-Gruppe. [...]

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Bundesamt hat zu Recht bereits die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt.

Rechtsgrundlage für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ist § 71 Abs. 1 AsylVfG. Danach ist im Falle der Stellung eines Asylantrages nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.

Ein weiteres Asylverfahren ist folglich nur durchzuführen, wenn (1.) sich die der bestandskräftigen Entscheidung im Erstverfahren zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, oder (2.) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeiführen würden, oder (3.) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG); der Antrag muss ferner binnen drei Monaten gestellt werden, gerechnet von dem Tage ab, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG).

Bei dem am 21.05.2007 (zunächst umfassend) gestellten Asylantrag handelt es sich um einen Folgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylVfG. Denn der Kläger hat vor der Stellung dieses Antrags bereits einen Asylantrag gestellt, der unanfechtbar abgelehnt worden ist. Allerdings verfolgt der Kläger den Folgeantrag im vorliegenden Klageverfahren nicht mehr in Bezug auf die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern (nur noch) in Bezug auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG weiter.

Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn (1.) die sich dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach. oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat; (2.) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; (3.) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden; die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).

Ist ein Antrag auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens auf mehrere Wiederaufnahmegründe gestützt, gilt für jeden Grund eine eigenständige Dreimonatsfrist nach § 51 Abs. 3 VwVfG. (BVerwG, Beschluss vom 11.12.1989 - 9 B 320.89 -, DVBl. 1990, 494 = Buchholz 310 § 51 VwVfG Nr. 24 und Urteil vom 13.05. 1993 - 9 C 49.92 -, InfAuslR 1993, 357 358>).

Die Verwaltungsgerichte sind in diesem Zusammenhang nicht befugt, andere als die vom Folgeantragsteller selbst geltend gemachten Gründe für ein Wiederaufgreifen zugrunde zu legen. (BVerwG, Urteil vom 30.08.1988 - 9 C 47.87 -, NVwZ 1989, 161).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vor.

Der Kläger hat seinen Asylfolgeantrag auf eine Änderung der Rechtslage gestützt: Aufgrund des Inkrafttretens der EU-Qualifikationsrichtlinie zum 11.10.2006 habe sich die Rechtslage mit der Folge geändert, dass die Frage der Gruppenverfolgung von Ahmadis aus Pakistan wohl zumindest als offen anzusehen sei. Während in Deutschland bisher nur das religiöse Existenzminimum abseits der Öffentlichkeit asylrechtlich geschützt gewesen sei, werde nach Art. 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie nunmehr auch die Glaubensausübung im "öffentlichen Bereich" und damit etwa auch das aktive Missionieren in der Öffentlichkeit vom Schutzbereich der Richtlinie erfasst. Davon habe der Bevollmächtigte erst in der 19. Kalenderwoche 2007 erfahren, so dass der Folgeantrag noch in der Dreimonatsfrist gestellt worden sei. [...]

Die Ablehnung seines Antrages auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 im abgeschlossenen Verfahren ist daran gescheitert, dass dem Kläger über die bloße Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyyas hinaus nicht geglaubt wurde: Soweit er sich darauf berufen habe, in besonderer Weise von sunnitischen Moslems verfolgt worden zu sein, habe er das nicht durch eine detaillierte Darstellung konkreter und nachvollziehbarer Fakten belegen können. Schon für die angeblichen Nachstellungen in seiner Heimatstadt habe er nicht darzutun vermocht, was ausgerechnet ihn in den Augen der muslimischen Widersacher aus dem Kreis seiner Glaubensbrüder und -schwestern herausgehoben haben könnte. Seine behauptete Missionierungstätigkeit beschränke sich auf die lapidare Erklärung, gelegentlich Andersgläubigen auf deren Bitte hin den eigentlichen Unterschied zwischen sunnitischen Muslimen und Ahmadis erklärt zu haben. Auch sonst sei nicht einmal ansatzweise deutlich geworden, womit er in besonderem Maße das Interesse radikaler sunnitischer Muslime auf sich gezogen haben könnte. Gleiches gelte in Bezug auf den behaupteten dreijährigen Aufenthalt in Karachi. Seine dortigen Probleme seien allein dadurch veranlasst worden, dass er in der Nachbarschaft als Besucher eines Ahmadiyya-Gebetszentrums aufgefallen sei. Allerdings habe er zugleich behauptet, keine Kenntnis zu haben, ob auch andere Besucher des Zentrums , bei denen es sich merkwürdigerweise alles um Angestellte des Gebetszentrums gehandelt habe, ähnliche Probleme gehabt hätten. Gerade in seiner Situation sei nichts näherliegend gewesen, als bei seinen Glaubensbrüdern rat und Hilfe zu suchen, was er aber nicht vorgetragen habe. [...]

Soweit der Kläger mit der schriftlichen Begründung seines Asylfolgeverfahrens durch seinen Bevollmächtigten geltend gemacht hat, die Rechtslage habe sich nach dem Abschluss des ersten Asylverfahrens insoweit geändert, als die EU-Qualifikationsrichtlinie in Kraft getreten sei und nunmehr nicht mehr nur das "religiöse Existenzminimum", sondern auch die Religionsausübung im öffentlichen Bereich vom Schutzbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG erfasst sei, kann dahinstehen, ob es sich dabei tatsächlich um eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG handelt. Denn diese - unterstellte – Änderung der Rechtslage wirkte sich vorliegend nicht im Verständnis von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG "zu Gunsten" des Klägers aus, weil ihm nicht zu glauben ist, dass er seinem Glauben eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von Verfolgungsmaßnahmen betroffen wäre. [...]

Der Kläger mit seinem schriftlichen Asylfolgeantrag vom 15.05.2007 allein geltend gemacht, die Rechtslage habe sich mit dem Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie geändert, indes nicht einmal ansatzweise vorgetragen, er sei eine mit seinem Glauben eng verbundene Persönlichkeit, die ihren Glauben in der Vergangenheit praktiziert hat und aktuell praktiziert. Bereits im abgeschlossenen Asylverfahren ist das Vorbringen des Klägers – mit Ausnahme seiner Zugehörigkeit zu den Ahmadis - insgesamt gesehen für nicht glaubhaft gehalten worden. Das betrifft damit auch sein Vorbringen über seine – über das sog. forum internum hinausgehende – Glaubenspraktizierung.

Hat der Kläger damit mit seinem Asylfolgeantrag innerhalb der Frist von 3 Monaten ab Kenntnis keine Tatsachen vorgebracht, die den Rückschluss darauf zulassen, dass es sich bei ihm um eine mit seinem Glauben eng verbundene Person handelt, die ihn in der Vergangenheit praktiziert hat und aktuell praktiziert, so ist aufgrund des allein maßgeblichen Vorbringens im Asylfolgeverfahren davon auszugehen, dass er zu den etwa vier Millionen Ahmadiyyas in Pakistan und nicht zu den etwa 500.000 bis 600.000 bekennenden Mitgliedern gehört. Damit besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass sich die Rechtslage nach dem Abschluss der ersten Asylverfahrens aufgrund des Inkrafttretens der EU-Qualifikationsrichtlinie "zu Gunsten" des Klägers geändert haben könnte. [...]

Das auf die Initiative seines Bevollmächtigten erfolgte vage Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe in seinem Heim (seit Januar 2003) bereits "ungefähr fünf Personen über Glaubensfragen aufgeklärt", lässt nicht den Schluss zu, dass dies innerhalb der letzten drei Monate erfolgt sein könnte.

Der in der mündlichen Verhandlung beantragten Beweiserhebung bedurfte es nicht, weil der regelmäßige Besuch der Gebetsräume der Gemeinde und die Teilnahme an Treffen der Gemeinde (im hessischen Riedstadt, wo ihm der Aufenthalt von Rechts wegen nicht erlaubt ist) keinen Rückschluss auf ein nach außen gerichtetes Glaubensbekenntnis zulässt.

Liegen danach die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vor, hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]