LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.01.2006 - L 20 11/05 AY ER - asyl.net: M17800
https://www.asyl.net/rsdb/M17800
Leitsatz:

1. Eine nach dem Asylverfahrensgesetz erfolgte Zuweisungsentscheidung erledigt sich nach rechtskräftigem Abschluss des ursprünglichen Asylverfahrens, spätestens mit dem bestandskräftigen Abschluss des Asylfolgeverfahrens.

2. Die Zuständigkeit des Leistungsträgers bestimmt sich dann nach § 10a Abs 1 S 2 AsylbLG.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Zuweisung, Rechtskraft, Abschluss des Asylverfahrens, Asylverfahren, Zuständigkeit
Normen: AsylbLG § 10a Abs. 1 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Die Beschwerden des Antragstellers sind zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei müssen sowohl die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches als auch der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung glaubhaft gemacht sein (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund).

Dass der Antragsteller auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesen ist, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig; dementsprechend gewährt ihm derzeit die Beigeladene, allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht im Hinblick auf ihre örtliche Zuständigkeit, entsprechende Leistungen.

Die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für solche Leistungen folgt aus § 10 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG. Danach ist außerhalb der in § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG geregelten Fälle im Übrigen die Behörde zuständig, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Der Antragsteller hält sich im Bereich der Antragsgegnerin auf. Entgegen ihrer Ansicht besteht auch keine vorrangige Leistungsverpflichtung der Beigeladenen nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Danach ist für Leistungen nach dem AsylbLG örtliche zuständig die nach § 10 bestimmte Behörde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte aufgrund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentrale Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Zwar hat ursprünglich eine Zuweisungsentscheidung im Sinne dieser Vorschrift durch die Bezirksregierung vorgelegen, welche den Antragsteller dem örtlichen Bereich der Beigeladenen zugewiesen hat. Diese Zuweisungsentscheidung hat sich jedoch mit dem rechtskräftigen Abschluss des ursprünglichen Asylverfahrens, spätestens jedoch mit dem bestandskräftigen Abschluss des Asylfolgeverfahrens des Antragstellers, nach § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW (VwVfG) "auf andere Weise erledigt". Denn dem Antragsteller ist ein Aufenthaltstitel im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erteilt worden. Nach dieser Norm kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Aufenthaltserlaubnis entspricht damit im Kern einer Duldung im Sinne des § 55 Abs. 2 des früheren Ausländergesetzes. Durch eine solche Aufenthaltserlaubnis (bzw. zuvor durch eine solche Duldung) wird die asylverfahrensrechtliche Zuweisungsentscheidung gegenstandslos, so dass § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht mehr die örtliche Zuständigkeit bestimmen kann (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 10 a AsylbLG Rz. 5 m.w.N.). Denn mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird dem Ausländer ein Aufenthalt ermöglicht, der nicht mehr mit seinem Asylverfahren in Zusammenhang steht. Der Ausländer hält sich vielmehr nach Beendigung seines Asylverfahrens rechtmäßig weiter in der Bundesrepublik auf; es ist insoweit gerechtfertigt, die Zuweisungsentscheidung in ihren Wirkungen auf das Asylverfahren zu beschränken (a.a.O.; str., wie hier auch OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2001 - 16 B 44/01; vgl. auch BverwG, Urteil vom 31.03.1992 - 9 C 155/90; OVG NRW, Urteil vom 01.12.1999 - 17 A 3994/98).

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts fehlt es auch nicht an einem Anordnungsgrund. Das die fehlende Bedürftigkeit des Antragstellers nicht nachgewiesen sei, ist nicht nachvollziehbar; immerhin erbringt die Beigeladene - ohne dass auch die Antragsgegnerin die Bedürftigkeit in Frage stellen würde - nach wie vor Leistungen nach dem AsylbLG zu Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts des Antragstellers. Eine der Beigeladenen ggf. mögliche Bereitstellung einer Einzelunterkunft würde den Antragsteller zu einer erneuten Wohnsitznahme auf dem Gebiet der Beigeladenen zwingen. Dies ist ihm, der sich rechtmäßig in ganz

Nordrhein-Westfalen aufhalten darf, jedoch nicht zuzumuten; er hat gerade rechtmäßig das Gebiet der Beigeladenen verlassen, um auf dem Gebiet der Antragsgegnerin Wohnung zu nehmen. Dass seine vorübergehende Aufnahme durch einen Bekannten nicht bis zur rechtskräftigen Erledigung des Hauptsacheverfahrens andauern kann, liegt auf der Hand. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung des Herrn T1, die von ihm notfallmäßig akzeptierte Aufnahme des Antragstellers in die von ihm und seiner zweieinhalbjährigen Tochter bewohnte, kleine Wohnung möglicherweise auf längere Sicht weiter hinzunehmen.

Überwiegende Interessen der Antragsgegnerin, die gegen ihre einstweiligen Verpflichtung sprechen könnten, sind darüber hinaus nicht ersichtlich. Es ist der Antragsgegnerin zuzumuten, ggf. die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten, in dem endgültig geklärt werden kann, ob sie oder die Beigeladene leistungspflichtig ist. Sollte sich im Hauptsacheverfahren endgültig eine Leistungspflicht der Beigeladenen ergeben, so wäre zwischen Beigeladener und Antragsgegnerin eine Erstattung der zunächst von der Antragsgegnerin erbrachten Leistungen möglich.

Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin auch über die Dauer des Monats der gerichtlichen Entscheidung hinaus einstweilen weiterhin Leistungen an den Antragsteller erbringen wird, solange sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage nicht ändert. [...]