VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 07.10.2010 - 10 K 339/09 - asyl.net: M17733
https://www.asyl.net/rsdb/M17733
Leitsatz:

Kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot hinsichtlich Kosovo (Ashkali, Wirbelsäulenerkrankung, Depression, Suizidalität, Erwerbsunfähigkeit). Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer ist im Kosovo eine Behandlung psychischer Erkrankungen medikamentös und begleitet von supportiven Gesprächen möglich. Nach Registrierung im Heimatort ist der Kläger sozialhilfeberechtigt. Gegebenenfalls wird er finanzielle Unterstützung von seiner in Deutschland lebenden Schwester und seinem Bruder erhalten, auch für evtl. Zuzahlungen zu Medikamenten oder Kosten für evtl. privat abzurechnende medizinische Leistungen.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Ashkali, Wiederaufnahme des Verfahrens, medizinische Versorgung, erhebliche individuelle Gefahr, Depression, Erkrankung der Wirbelsäule, Bandscheibe, Suizidgefahr, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Medikamente, Amitriptylin, Glomipramin, Haloperidol, Ibuprofen, Zuzahlungen, Sozialhilfe, Krankenversicherung, erwerbsfähig, Existenzminimum, Transferleistungen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Dem Kläger steht der von ihm gegenüber der Beklagten geltend gemachte Anspruch, im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des mittlerweile eigenstaatlichen Kosovo festzustellen, nach wie vor bzw. auch nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) nicht zu, so dass der diesbezüglich ablehnende Bescheid der Beklagten vom 07.04.2009 rechtmäßig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). [...]

Was die von den Kliniken - Fachklinik für Neurologie und Innere Medizin - im Bericht vom 17.05.2010 diagnostizierte mittelgradige depressive Episode angeht, wird diese im Schwerpunkt auf die aktuellen Belastungen aufgrund einer drohenden Abschiebung zurückgeführt (Bl. 135 GA; vgl. auch die zusammenfassende psychologische Stellungnahme der Assistenzärztin ... der Bosenberg-Kliniken vom 30.04.2010, Bl. 125 f. GA). Hiermit macht der Kläger jedoch im Schwerpunkt eine Suizidgefährdung aus Anlass der Abschiebung geltend und beruft sich damit, wie dargelegt, auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen sind. Genügende Anhaltspunkte dafür, dass aus der psychischen Problematik nach Durchführung einer Abschiebung weiterhin von einer existenziellen Gefährdung des Klägers prognostisch auszugehen sein wird, ergeben sich hieraus nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit, zumal nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer im Kosovo eine Behandlung psychischer Erkrankungen, wie auch mittelgradiger Depressionen, medikamentös und begleitet von supportiven Gesprächen möglich ist. Dem entsprechend wird aus dem vorgelegten Entlassungsbericht vom 17.05.2010 deutlich, dass die dortige Behandlung ebenfalls im Schwerpunkt medikamentös durch die Gabe von Amitriptylin erfolgt ist und zwar eine dringende weitere Behandlungsbedürftigkeit attestiert wird, eine engmaschige ambulante nervenärztliche und psychotherapeutische Anbindung indes nur empfohlen wird. Im Übrigen muss sich der Kläger hinsichtlich des Standards der Behandlung auf denjenigen des Kosovo verweisen lassen. Dies gilt auch, soweit in dem Arztbericht eine Erhöhung der Medikation von Amitriptylin bzw. das Ansetzen einer zusätzlichen Medikation in den Blick genommen wird und zugleich bestätigt wird, dass Medikamente auch durch Präparate anderer Hersteller mit gleichen Wirkstoffen und vergleichbarer Galenik ersetzt werden könnten (vgl. dazu die Urteile der Kammer vom 19.07.2005, 10 K 360/03.A, und 02.04.2007, 10 K 11/05.A).

Die Kammer hat bereits in ihrem Urteil vom 19.07.2005, a.a.O., festgestellt, dass das Medikament Amitriptylin und andere Anti-Depressiva, wie Glomiprämin oder Haloperidol, zu den im Kosovo grundsätzlich kostenlos erhältlichen Basismedikamenten zur Behandlung depressiver Störungen gehören und dass angesichts dessen davon auszugehen ist, dass die so erforderliche medikamentöse Behandlung - wenn unter Umständen auch mit gewissen Nachteilen bei der Wirkungsweise von Ersatzmedikamenten verbunden - im Kosovo nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 29.10.2002, 1 C 1.02, DVBl. 2003, 463, m.w.N.) verfügbar ist. [...]

Der Auskunft von Mattern, Schweizerische Flüchtlingshilfe, vom 05.12.2007 an VG Freiburg ist abschließend zu entnehmen, dass die ärztliche und medikamentöse Behandlung eines rezidivierenden Lumbalsyndroms nach operiertem Bandscheibenvorfall im öffentlichen Gesundheitssystem u.a. mit Ibuprofen und bei Bedarf mit Schmerzmittelinjektionen möglich ist und bei Sozialhilfeberechtigung (vgl. dazu unten Kostenfreiheit besteht (vgl. dazu auch die Auskunft der Deutschen Botschaft Pristina vom 26.06.2009, RR 516.80-E 101/08, S. 2).

Angesichts dessen bestehen keine Zweifel, dass die zum Entscheidungszeitpunkt ärztlicherseits nach der letzten Bandscheibenoperation im Hinblick auf die von diesem beklagten Schmerzen für erforderlich angesehene medikamentöse Behandlung durch ein gängiges Schmerzmittel, wie Ibuprofen, und einen Protonenpumpen-Hemmer im Kosovo möglich ist. Entgegen der Auffassung des Klägers und der im Urteil des VG Lüneburg vom 20.04.2010, 4 A 24/08, juris, geäußerten Zweifel an den Möglichkeiten der für die dortige Klägerin notwendigen schmerztherapeutischen Behandlung im Kosovo, über die in jenem Urteil letztlich nicht entschieden worden ist, hat die Kammer keine Zweifel, dass die für den Kläger im Bundesgebiet bisher als erforderlich angesehene Behandlung seiner Schmerzen, wie sie insbesondere aus dem Arztbrief der Bosenberg-Kliniken vom 17.05.2010 - wie dargelegt - hervorgeht, auch im Kosovo zur Verfügung steht. Soweit der Kläger diesbezüglich im Schriftsatz vom 09.07.2010 darauf hinweist, dass aus seiner Sicht die Schmerzsymptomatik im Kosovo gar nicht behandelt werden kann, entspricht dies nicht den vorliegenden tatsächlichen Erkenntnissen über die medizinischen Möglichkeiten im Kosovo. Seinem weiteren Hinweis darauf, dass der Stand der Medizin in Deutschland auf jeden Fall weiter fortgeschritten sei als im Kosovo, kommt keine Bedeutung zu, da Maßstab der Beurteilung alleine der Stand einer genügenden medizinischen Behandlung im Kosovo ist. Ungeachtet dessen beruft sich der Kläger insoweit weiter lediglich darauf, dass bei einer Rückkehr des Klägers eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu befürchten sei. Dabei verkennt er, dass es nicht auf einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes ankommt, sondern auf eine alsbald und konkret zu erwartende wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung. Dafür spricht hier aber angesichts der im Kosovo möglichen Behandlung, wie sie der Kläger nach hiesiger ärztlicher Auskunft benötigt, nichts. Dessen weiterer Hinweis darauf, dass nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20.06.2010 die Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für die Ärzte und Pflegepersonal im Kosovo weiterhin begrenzt seien und die Ärzte bei Anwendung neuartiger Operationsmethoden und -technik nicht immer über die erforderlichen Kenntnisse verfügten, führt insoweit nicht weiter, da es sich dabei um einen allgemeinen Einwand handelt, der keinerlei Substantiierung im Hinblick auf die konkreten Umstände der Erkrankung des Klägers zulassen. Soweit darauf hingewiesen wird, dass krankengymnastische Behandlungen, die der Kläger in der Lage ist selbst auszuüben, nicht dazu geeignet seien, die Schmerzsymptomatik des Klägers zu beseitigen, stellt dies eine bloße Behauptung dar, die keine andere Beurteilung rechtfertigt.

Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei Rückkehr in den Kosovo im Übrigen aus finanziellen Gründen nicht in der Lage wäre, eventuelle Zuzahlungen zu Medikamenten zu leisten oder Kosten für eventuell privat abzurechnende medizinische Leistungen aufzubringen (vgl. dazu die Auskünfte des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 16.03.2005, 32336017, und vom 05.04.2005, A18K12572/02 RK 516.80, sowie den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, vom 22.08.2008, 3 A 38/08, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger behaupteten Zugehörigkeit zur Minderheit der Ashkali aus dem Kosovo. [...]

Der Kläger kann sich bei einer Rückkehr an seinen Herkunftsort ... bei Vuciton (Bl. 88 GA: Eskati Novolan, 38214 Vuciton: vgl. die Angabe des Klägers, Bl. 9 BA, E 1809135-138), wo er gewohnt hat und seine Familie ein Landgrundstück besitzt, registrieren lassen. Nach den Erkenntnissen der Kammer (vgl. insbesondere Ministerium für Inneres, Sport und Integration des Landes Niedersachsen, Bericht über die Reise einer Delegation des niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration in die Republik Kosovo vom 15. - 18.11.2009; Mattern, Kosovo: Zur Rückführung von Roma; Update der SFH-Länderanalyse, Bern, 21.10.2009; ai Berlin, Stellungnahme zur Situation der Roma im Kosovo, 06.05.2010) können sich aus dem Ausland zurückkehrende frühere jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo grundsätzlich nur an dem Ort registrieren lassen, für den sie vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo zuletzt gemeldet waren, und ist eine freie Wahl des Ortes der Wohnsitznahme nach einer Rückkehr aus Deutschland insoweit nicht möglich, als auch nur am letzten Wohnort Sozialleistungen beantragt werden können. Dementsprechend setzt das Verfahren zur Prüfung der Rückübernahmeersuchen aus Deutschland auch die Überprüfung einer entsprechenden Registrierungsmöglichkeit voraus. Aufgrund der vorliegend eindeutig zu erwartenden Wohnsitznahme des Klägers bei einer Rückkehr am Ort seines letzten Aufenthalts im Herkunftsland ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass irgend etwas einer Registrierung an diesem Ort entgegenstehen könnte.

Ist mithin davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr eine Registrierung an seinem Herkunftsort im Kosovo möglich sein wird, so stehen ihm auch grundsätzlich alle Maßnahmen der Sozialhilfe und der Teilhabe am öffentlichen Gesundheitssystem des Kosovo zur Verfügung (vgl. zur Sozialhilfe das Gesetz Nr. 2003/15, LAW ON THE SOCIAL ASSISTANCE SCHEME IN KOSOVO, vom 18.08.2003, Official Gazette of the Provisional Institutions of Self Government in Kosovo, Pristina, Nr. 15 vom 01.08.2007, www.ks-gov.net/gazetazyrtare).

Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft in Pristina an die Beklagte vom 26.06.2009, RK 516.80-E101/08, vom 17.08.2009 an das VG Schwerin, ... 90/90, und vom 08.05.2009 an das VG Frankfurt am Main, ... E 282/07) haben Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialhilfegesetz in der Kategorie 1 Familien (bzw. Einzelpersonen) ohne Einkommen, deren Mitglieder als nicht arbeitsfähig eingestuft werden, für Arbeiten nicht verfügbar und tatsächlich nicht arbeitsfähig sind. Hiervon ist bei dem Kläger, der nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 10.07.2010 ein sozialgerichtliches Verfahren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente betreibt, und angesichts des andauernden chronischen Schmerzsyndroms und bestehender depressiver Störung (vgl. die Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung des Gesundheitsamtes des Landkreises St. Wendel vom 14.03.2008, Bl. 237 der Ausländerakte der Ehefrau des Klägers und den o.a. Entlassungsbericht der Mediclin-Bosenberg Kliniken vom 17.05.2010, Bl. 130ff. GA) ersichtlich auszugehen. Auch soweit nach dem letztgenannten Bericht im Verlaufe der letzten Bandscheiben-OP "ausgedehnte periradikuläre Verwachsungen gelöst" worden sind, klagt der Kläger weiterhin über starke Schmerzen, so dass die in dem o.a. amtsärztlichen Attest weiter angegebene Vorhandensein eines chronischen Wirbelsäulensyndroms geeignet ist, die Fähigkeit des Klägers zur Aufnahme einer Arbeit als auf absehbare Zeit nicht vorhanden anzusehen ist. Von daher fällt er nach Auffassung der Kammer unter die zur Kategorie 1 gehörenden Personen, nämlich dem Kreis von Personen mit dauerhafter Arbeitsunfähigkeit, die Leistungen nach dem kosovarischen Sozialhilfegesetz in Anspruch nehmen können. Der Kläger ist gehalten, im Kosovo nach Rückkehr feststellen zu lassen, dass er zu diesem Personenkreis gehört, zumal er sich selbst bereits im Bundesgebiet auf eine bei ihm bestehende Arbeitsunfähigkeit beruft. Der Gewährung von Sozialhilfe steht auch nicht entgegen, dass der Kläger nach seinen Angaben (Bl. 88 GA) an der früheren Wohnanschrift im Kosovo, ..., zumindest in Teilen über ein Grundstück von 40 Ar, das seinen verstorbenen Eltern gehört hat, verfügt. Dies führt nicht zum Ausfall der Sozialhilfe, da die Grenze, nach der dort Sozialhilfe wegen Landbesitzes nicht mehr gewährt wird, einen Besitz von "mehr als über 0,5 Hektar Land" erfordert (vgl. die Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina vom 26.06.2009, a.a.O., Seite 3).

Dabei. geht die Kammer davon aus, dass der Kläger bzw. dessen Familie über diesen Grundbesitz verfügen können, selbst wenn der Kläger nach seinen Angaben keine Kenntnisse von den konkreten Eigentums- bzw. Besitzverhältnissen haben will. Auch für eine eventuelle Übergangszeit bis zur Feststellung seiner Berechtigung, im Kosovo Sozialhilfe beziehen zu können, bestehen keine Bedenken dahingehend, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr nicht gewährleistet sein könnte, da der Kläger nach seinen weiteren Angaben jedenfalls noch eine im Bundesgebiet aufenthaltsame Schwester hat und einen Bruder, der unbekannten Aufenthalts ist. Er ist zumutbar auf deren Hilfe über Transferleistungen, die nach Rechtsprechung der Kammer der traditionellen Einstellung familiärer Unterstützung innerhalb des Traditionskreises, aus dem die Familie des Klägers stammt (vgl. das Urteil der Kammer vom 24.06.2010, 10 K 484/09 und vom 16.07.2010, 10 K 2165/09) zu verweisen. Auch wenn der Kläger erklärt hat, nicht zu wissen, wo sich sein Bruder aufhält, ist es allein seine Sache bzw. Sache seiner Familie, insoweit für Aufklärung zu sorgen und diesen in eine eventuelle möglicherweise erforderliche übergangsweise familiäre Hilfe einzubeziehen. Im Hinblick auf den letztgenannten Gesichtspunkt kommt es nicht darauf an, ob der Kläger alleine oder zusammen mit seiner Ehefrau, einer marokkanischen Staatsangehörigen, und seinen Kindern in sein Herkunftsland zurückkehrt. Auch dann, wenn er alleine zurückkehren sollte, ist, wie dargelegt, sein Existenzminimum durch die dort zu erwartende Sozialhilfe gesichert. Nichts anderes gilt unbeschadet sich möglicherweise stellender, durch die Ausländerbehörde zu bewertender ausländerrechtlicher Fragestellungen bei einer gemeinsamen Rückkehr der Familie, da in diesem Falle die Voraussetzungen der Kategorie 2 des Sozialhilfesystems im Kosovo zutreffen, auch wenn die Ehefrau des Klägers als Ausländerin voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, dort eine Arbeit aufzunehmen (vgl. dazu die Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina vom 26.06.2009, a.a.O.).

Nach allem ist - auch unter Berücksichtigung der gesamten Situation des Klägers - die Klage abzuweisen. [...]