OLG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 07.10.2010 - 20 W 387/10 - asyl.net: M17729
https://www.asyl.net/rsdb/M17729
Leitsatz:

Nicht jede unterlassene Passvorlage rechtfertigt die richterliche Gestattung einer Wohnungsdurchsuchung.

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, Beschluss, Abhilfeverfahren, Begründungserfordernis, Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde, gegenwärtige Gefahr für die öffentlichen Ordnung, Ordnungswidrigkeit, Passpflicht, Abschiebungshindernis, Unmittelbarer Zwang
Normen: FamFG § 62, FamFG § 68 Abs. 1, HSOG § 39 Abs. 1, HSOG § 38 Abs. 2 Nr. 1, HSOG § 40 Nr. 1, AufenthG § 48, AufenthG § 98 Abs. 2 Nr. 3, GG Art. 13 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die angegriffene auf §§ 38, 39, 47 Abs. 5 HSOG i.V.m § 50, 58 AufenthG gestützte Durchsuchungsgestattung war jedenfalls rechtswidrig.

Nach § 38 Abs. 2 Nr. 1 HSOG können die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden eine Wohnung ohne Einwilligung der Inhaberin oder des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Sache befindet, die nach § 40 Nr. 1 HSOG sichergestellt werden darf. § 40 Nr. 1 HSOG sieht eine Sicherstellungsbefugnis vor, wenn es gilt eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht erfüllt.

Es kann dahinstehen, ob eine Durchsuchungsanordnung gerechtfertigt gewesen wäre, wenn der Betroffene auf Aufforderung des Ausländeramts seinen Pass oder seine sonstigen Ausweisdokumente nicht vorgelegt hätte. Kommt ein Ausländer der ausweisrechtlichen Vorlagepflicht (§ 48 AufenthG) nämlich nicht nach, so kann von einer Ordnungswidrigkeit gem. § 98 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG auszugehen sein. Wegen der erheblichen Bedeutung der grundrechtlich geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) und wegen des im Polizeirecht stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 4 HSOG) rechtfertigt aber nicht jede unterlassene Passvorlage die richterliche Gestattung einer Wohnungsdurchsuchung. Das gilt erst recht, wenn keinerlei Anhaltspunkte vorhanden sind, die die Aufforderung zur Passvorlage von vornherein als vergeblich erscheinen lassen. Das Amtsgericht hat keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob der Betroffene vergeblich aufgefordert worden ist, den Pass vorzulegen. Eine solche Aufforderung ergibt sich auch nicht aus der Akte öder aus der zur eingelegten Beschwerde abgegebenen behördlichen Stellungnahme. Der Betroffene hat mit der Beschwerde unwidersprochen vorgetragen, dass die schriftliche Vorladung vom 23.09.2009 eine Ladung "im Strafverfahren wegen des Verdachts illegaler Aufenthalt" betroffen habe. Wenn sich daraufhin der Anwalt des Betroffenen mit dem Antrag auf Akteneinsicht meldet und der Betroffene selbst nicht vorspricht, stellt dies keinen Grund für eine Wohnungsdurchsuchung dar. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene - wie die Antragstellerin vorbringt - zu unterschiedlichen Zeiten seine Tür nicht öffnete und auch Hausbewohner oder der Vermieter nicht angetroffen werden konnten. Es ist kein Umstand vorgetragen oder ersichtlich, der den Betroffenen verpflichtet hätte, sich in seiner Wohnung den Behörden zur Verfügung zu halten. Es braucht deswegen auch nicht weiter geklärt zu werden, ob nur versucht wurde, den Betroffenen unter seiner amtlichen Anschrift zu erreichen, auf die auch die Durchsuchungsgestattung ausgestellt war oder auch unter seiner der Antragstellerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitgeteilten Anschrift bei der Kindsmutter (Bl. 3215), was nahe gelegen hätte.

Auch der weitere mit der Durchsuchung verfolgte Zweck, nämlich die Ergreifung des Betroffenen, rechtfertigt die Durchsuchungsgestattung nicht. Es sind keine Umstände ersichtlich, warum für die Ergreifung des Betroffenen das bloße Betreten der Wohnung und die Festnahme als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs nicht ausgereicht hätte (verneinend auch AG Hameln, NdsRpfl 2005, 256 und OLG Celle, OLGR Celle 2003, 131 ff.; Zschieschak, Ausländerrechtliche Durchsuchungen aufgrund allgemeinen Polizeirechts, NJW 2005, 3318 ff.), sofern die Voraussetzungen hierfür überhaupt vorlagen, was dahingestellt bleiben kann, da es an der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsgestattung nichts ändert. [...]