VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 04.03.2010 - 13a ZB 09.30303 - asyl.net: M17705
https://www.asyl.net/rsdb/M17705
Leitsatz:

Ablehnung eines Berufungszulassungsantrags wegen fehlender grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich der Bewertung, dass selbst bei Unterstellung eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Kirkuk, Provinz Tamin, keine Gefahrendichte vorliegt, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG führt.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Irak, Kirkuk, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, willkürliche Gewalt, erhebliche individuelle Gefahr, Gefährdungsdichte
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2009 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 36 zu § 124).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, "ob die in Kirkuk, also im Herkunftsort des Klägers, stattfindenden volksgruppen- und stammesbezogenen Kämpfe, Selbstmordanschläge, Attentate auf religiöse Minderheiten und Zivilbevölkerung sowie terroristische Übergriffe, Entführungen und Tötungen eine derartige Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, dass die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erfüllt sind bzw. der den Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass eine erhebliche individuelle Gefahr anzunehmen ist". Vom Verwaltungsgericht sei dies verneint worden. Hierfür sei die zivile Opferzahl von 2008 für die Provinz Tamin angeführt worden. Eine genaue Auseinandersetzung mit der speziellen Situation in Kirkuk habe jedoch nicht stattgefunden. Auch sprächen verschiedene Berichte dafür, dass eine Änderung der Lage in Kirkuk zu 2008 stattgefunden habe. Die willkürliche Gewalt habe im Zusammenhang mit dem in Kirkuk bestehenden Konflikt ein derartiges Niveau erreicht, dass allein die Anwesenheit in diesem Gebiet genüge, um einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Damit lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor.

Seitens des Klägers wird damit durchaus gesehen, dass das Verwaltungsgericht die Opferzahlen in der Zivilbevölkerung in der Provinz Tamin, dessen Hauptort Kirkuk ist, ermittelt hat und entsprechend den Schätzungen des Iraq Body Count für das Jahr 2008 von einer - unbestrittenen - Opferzahl dort von 0,029 % ausgegangen ist. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts könne damit selbst bei Unterstellung eines innerstaatlichen Konflikts nicht davon ausgegangen werden, dass das vom Bundesverwaltungsgericht geforderte bestimmte Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit bzw. der vom Europäischen Gerichtshof angesetzte Gefahrengrad vorliege (Amtlicher Umdruck S. 14). Die erforderliche Gefahrendichte im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat damit zutreffend gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Beurteilung der Frage, ob in einer allgemeinen Gefahrenlage jede einzelne Zivilperson in dem betreffenden Gebiet individuell erheblich bzw. ernsthaft bedroht ist, neben qualitativen auch quantitative Kriterien herangezogen (BVerwG vom 24.6.2008, BVerwG 10 C 43.07 = BVerwGE 131, 198; vom 14.7.2009, BVerwG 10 C 9.08 = DVBl 2009, 1466 - LS -).

Nicht zu beanstanden ist weiter die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne der nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderlichen Gefahrendichte lasse sich auch für das Jahr 2009 nicht feststellen. Im Jahre 2009 sei die Zahl der jährlichen zivilen Opfer von Gewalt insbesondere gegenüber 2007 und 2008 im Gesamt-Irak deutlich zurückgegangen. Anhaltspunkte, dass dies signifikant für Kirkuk nicht gelten würde, liegen nicht vor und ergeben sich auch nicht aus den vom Kläger genannten Quellen. Zwar wird im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 12. August 2009 (Lagebericht - Stand: August 2009) ausgeführt, dass die Lage in der Provinz Tamin (Kirkuk) besonders prekär sei (S. 14). Dies aber ist in gleicher bzw. ähnlicher Form bereits in den früheren Lageberichten ausgeführt. Bereits im Lagebericht vom November 2005 wird auf die Aussage eines Mitarbeiters der Vereinten Nationen von Mitte September 2004 hingewiesen, wonach Kirkuk vor dem Ausbruch eines ethnischen Konflikts zwischen Arabern und Kurden stehe. Auch aus den weiteren vom Kläger genannten Unterlagen ergibt sich (lediglich), dass die Situation in Kirkuk weiterhin ausgesprochen unsicher ist und sich möglicherweise nicht oder nicht erheblich verbessert hat. Den Quellen lassen sich jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte entnehmen, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts zur Gefahrendichte in Hinblick auf die Provinz Tamin fehlerhaft sein und dort ein bewaffneter Konflikt vorliegen könnte, bei dem die willkürliche Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH vom 17.2.2009, NVwZ 2009, 705).

Soweit der Kläger auf im Einzelnen genannte Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung und der Süddeutschen Zeitung sowie auf Schriften der UNHCR und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe verweist, handelt es sich um allgemeine Ausführungen, die die zweifellos ausgesprochen unsichere Lage um Kirkuk beschreiben. Konkrete Gesichtspunkte, wonach dort ein so hoher Gefahrengrad besteht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, enthalten sie nicht. Insbesondere lässt sich eine Erhöhung der Opferzahlen gegenüber 2008 nicht feststellen. Damit wird ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. [...]