SG Hannover

Merkliste
Zitieren als:
SG Hannover, Beschluss vom 27.09.2010 - S 54 AS 3724/10 ER [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 396 f.] - asyl.net: M17675
https://www.asyl.net/rsdb/M17675
Leitsatz:

Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II trotz Duldung, da heimatlose Ausländer deutschen Staatsangehörigen weitestgehend gleichgestellt sind und daher nicht dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen.

Schlagwörter: SGB II, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, heimatloser Ausländer, Duldung, Asylbewerberleistungsgesetz, Ausweisung
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2, AsylbLG § 1, AufenthG § 60a, HAuslG § 12 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Dem Antragsteller steht ein Anordnungsanspruch zu. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Antragsteller nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 2. HS SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Gem. § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB Il Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Ausgenommen davon sind insbesondere Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG; § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II). Leistungsberechtigt nach § 1 des AsylbLG sind insbesondere Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen (Ziffer 4) oder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist (Ziffer 5). Für den Leistungsausschluss wird dabei ausschließlich der dem Aufenthalt des Ausländers zu Grunde liegende Aufenthaltstitel als Bezugspunkt gewählt. Dabei ist jedoch aus Sicht der Kammer zu berücksichtigen, dass der Leistungsausschuss des § 7 SGB II für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz damit begründet ist, dass es sich bei dem Asylbewerberleistungsgesetz um ein besonderes Sicherungssystem handelt, das eigenständige und abschließende Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, sowie zur Annahme und Durchführung von Arbeitsgelegenheiten für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern enthält (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 52). Wegen ihres Ausnahmecharakters ist wiederum die Norm des § 1 AsylbLG auf weitere, nicht in Abs. 1 genannte Ausländergruppen nicht anwendbar. Zwar besitzt der Antragsteller eine Duldung gem. § 60a Aufenthaltsgesetz und unterliegt insofern zunächst formal der Regelung des § 1 AsylbLG und wäre damit leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Gleichzeitig besitzt er jedoch den Status eines heimatlosen Ausländers. Diesen stehen besondere Rechte nach dem Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAuslG) zu. Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Regelungen lex specialis zur Regelung des § 7 SGB II sind. Heimatlose Ausländer sind deutschen Staatsangehörigen weitestgehend gleichgestellt. Sie sind in der Wahl ihres Aufenthaltsortes und in der Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt (§ 12 Abs. 1 S. 1 HAuslG). Insbesondere bedürfen heimatlose Ausländer gern. § 12 S. 2 HAuslG keines Aufenthaltstitels. Sie sind deutschen Staatsangehörigen in der Ausübung nichtselbständiger Arbeit gleichgestellt (§ 17 HAuslG). Sie sind in der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt (§ 18 HAuslG) und erhalten in der öffentlichen Fürsorge Leistungen in gleicher Höhe wie deutsche Staatsangehörige (§ 19 HAuslG). Heimatlose Ausländer als solches unterliegen damit dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht. Im Falle des Antragstellers liegt der Sonderfall vor, dass dieser gleichzeitig über eine Duldung gem. § 60a verfügt. Insoweit bestimmt § 23 HAuslG, dass heimatlose Ausländer nur nach Maßgabe des § 56 Aufenthaltsgesetzes aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden dürfen. Dies ist hinsichtlich des Antragstellers geschehen. Der entsprechende Bescheid ist rechtskräftig. Ihren Status als heimatloser Ausländer verlieren diese Personen nach Ansicht der Kammer durch den Erlass einer Ausweisungsverfügung jedoch nicht. Auch sonstige Einschränkungen sieht das HAuslG bezüglich eines ausgewiesenen heimatlosen Ausländers nicht vor. Insoweit gilt auch für einen heimatlosen Ausländer, der eine Duldung gem. § 60a Aufenthaltsgesetz besitzt, dass die Regelungen des HAuslG, mit dem er deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt wird, weiterhin Gültigkeit haben. Dass heimatlose Ausländer wie der Antragsteller in der öffentlichen Fürsorge Leistungen in gleicher Höhe wie deutsche Staatsangehörige erhalten (vgl. § 19 HAuslG), führt dann aber dazu, dass dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II zustehen und er davon nicht durch eine etwaige Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgeschlossen ist. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass heimatlose Ausländer in der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge, die wirksam wurde, wenn die Arbeitslosenunterstützung nach spätestens 26 Wochen auslief, ebenfalls deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt sind (vgl. § 18 HAuslG). Im Arbeitsförderungsrecht hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass heimatlose Ausländer ebenso förderungswürdig sind, wie deutsche Staatsangehörige (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 7 SGB III). Diese Nennung hat vor dem Hintergrund der oben genannten Normen des HAuslG jedoch nur deklaratorische Bedeutung (Hauck/Noftz - Petzold, Kommentar zum SGB III, EL vom 27.07.2010, § 63, Rn. 11; Eicher/Schlegel, Buser, Kommentar zum SGB III, § 63, Rn. 85). Daraus wird deutlich, dass das HAuslG dem heimatlosen Ausländer einen selbständigen Anspruch auf Leistungen vermittelt. Der Gesetzgeber war insoweit nicht gehalten, im SGB II ausdrücklich festzustellen, dass heimatlose Ausländer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, da ein entsprechender allgemeiner Anspruch durch das HAuslG bereits konstituiert wurde. Einen Ausschluss heimatloser Ausländer von den Leistungen des SGB II hätte der Gesetzgeber dagegen ausdrücklich kenntlich machen müssen. Eine solche erfolgte nicht. Eine Bezugnahme auf die Normen des Asylbewerberleistungsgesetzes reicht dafür aus Sicht der Kammer nicht aus. [...]