VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 29.09.2009 - 2 L 530/09.TR - asyl.net: M17654
https://www.asyl.net/rsdb/M17654
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland (Änderung der Rechtsprechung).

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Griechenland, Abänderungsantrag, Änderung der Sachlage, Selbsteintritt, subjektives Recht, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: VwGO § 123, VwGO § 80 Abs. 7, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die Kammer sieht sich jedoch von Amts wegen veranlasst, ihren Beschluss wegen einer veränderten Sachlage entsprechend § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO abzuändern. Bislang hat die Kammer hinsichtlich der Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland die Auffassung vertreten, dass Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG unstatthaft seien, wenn Griechenland gemäß § 27 a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteile vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 -), da einer der dort aufgeführten Ausnahmefälle oder ein vergleichbarer Fall, der zur Unanwendbarkeit des § 34 a Abs. 2 AsylVfG führe, nicht generell bei Rückführungen nach Griechenland anzunehmen sei. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass Griechenland als Vertragsstaat nach dem Dubliner Übereinkommen den notwendigen Schutz für Asylsuchende – wenn auch mit Defiziten – gewähre, so dass lediglich erhebliche individuelle Gründe einen Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründen könnten.

Angesichts der von dem Verwaltungsgericht Frankfurt in das Verfahren 7 K 4376/07.F.A (Urteil vom 8. Juli 2009, veröffentlicht in Juris) eingeführten Erkenntnismittel hält die Kammer diese Auffassung so nicht mehr aufrecht. Das Verwaltungsgericht Frankfurt ist im Rahmen einer umfangreichen Beweisaufnahme zu der Tatsachenfeststellung gelangt, dass das griechische Asylverfahren an erheblichen Mängeln leide, was die Art und Weise der Bearbeitung von Asylanträgen, den Zugang zu Dolmetschern und Rechtsanwälten, die menschenwürdige Unterbringung und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen ablehnende Entscheidungen betreffe und nach Griechenland rückgeführten Flüchtlingen daher dort kein asylrechtliches Prüfungsverfahren offenstehe, welches die Mindestnormen der Richtlinien 2005/85 EG vom 1. Dezember 2005 sowie 2003/9/EG vom 27. Januar 2003 einhalte. Es spricht daher vieles dafür, dass sich die Verhältnisse in Griechenland mittlerweile so drastisch verschlechtert haben, dass der notwendige Schutz für Asylsuchende dort generell nicht mehr gewährleistet ist. Damit aber unterläge jeder nach Griechenland rücküberstellte Flüchtling zugleich einer individuellen Gefährdung seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das Bundesverfassungsgericht hat in den o.g. Urteilen ausgeführt, dass ein Ausnahmefall von der Anwendbarkeit des § 34 a Abs. 2 AsylVfG, der vom Konzept der normativen Vergewisserung nicht erfasst ist, dann vorliegt, wenn sich aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zu Tage tretenden Umständen ergibt, dass der Drittstaat sich von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell auch eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird. Dieser Fallgruppe dürfte die vorliegende Konstellation bei summarischer Prüfung zumindest vergleichbar sein, mit der Folge, dass die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG in verfassungskonformer Auslegung auf den hier zu entscheidenden Fall nicht anzuwenden ist. Damit ist dem Antragsteller die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes eröffnet.

Weiter spricht auch einiges dafür, dass dem Antragsteller ein subjektiv öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Selbsteintritt der Antragsgegnerin gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zusteht. Zwar dient die Möglichkeit des Selbsteintritts in erster Linie der internen Lasten- und Verantwortungsverteilung unter den EU-Mitgliedsstaaten. Im Falle außergewöhnlicher humanitärer Gründe liegt es jedoch nahe, dass sich auch ein Flüchtling darauf berufen kann und das Ermessen des betreffenden Staates sich auf eine Eintrittspflicht reduziert. Letztlich kann diese Frage im vorliegenden Eilverfahren jedoch nicht geklärt werden und bleibt einer Hauptsacheentscheidung vorbehalten. [...]