OLG Naumburg

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Zitieren als:
OLG Naumburg, Beschluss vom 25.08.2010 - 3 UF 106/10 - asyl.net: M17649
https://www.asyl.net/rsdb/M17649
Leitsatz:

Abweisung eines behördlichen Vaterschaftsanfechtungsantrags, da eine sozial-familiäre Beziehung auch bestehen kann, wenn der rechtliche Vater nachweislich nicht der biologische Vater ist, Unterhaltszahlungen nicht schriftlich nachweisbar sind, Kind und Vater nicht zusammengelebt haben und der Vater weit entfernt vom Kind wohnt, da der Umgang zwischen Vater und Kind von Vertrautheit geprägt ist.

Schlagwörter: Vaterschaftsanfechtung, Vaterschaftsanerkennung, alleiniges Sorgerecht, sozial-familiäre Beziehung, Beschwerdeverfahren, Rechtsstaatsprinzip, Rückwirkung, unechte Rückwirkung, Vertrauensschutz, deutsches Kind
Normen: BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5, BGB § 1592 Nr. 2, GG Art. 6, GG Art. 100, EGBGB Art. 229 § 16, StAG § 4 Abs. 3, AufenthG § 60a, BGB § 1600 Abs. 2, FamFG § 81
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde des Antragsgegners zu 1. ist gem. §§ 58, 59, 60, 63, 64. 65 FamFG zulässig. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg.

Denn der Antragsteller konnte nicht darlegen und nachweisen, dass zwischen dem Kind, dem Antragsgegner zu 1., und dem Vater, dem Antragsgegner zu 2. zu den maßgeblichen Zeitpunkten, nämlich dem der Anerkennung bzw. der letzten mündlichen Verhandlung, keine sozial-familiäre Beziehung bestand.

Nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist die zuständige Behörde berechtigt, die Vaterschaft in den Fällen des § 1592 Nr. 2 BGB anzufechten. Die Anfechtung der zuständigen Behörde, die vorliegend vom Antragsteller vertreten wird, setzt voraus, dass zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung oder seines Todes bestanden hat und durch die Anerkennung die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils geschaffen wurden.

Daneben muss festgestellt werden, dass das Kind nicht vom Anerkennenden abstammt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung der sozial-familiären Bindung ist dementsprechend einerseits der Zeitpunkt der Anerkennung, andererseits derjenige der letzten mündlichen Verhandlung. Abs. 4 der genannten Vorschrift äußert sich zur Frage der sozial-familiären Beziehung dahin, dass der Vater zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind die tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Zur Frage der tatsächlichen Verantwortung worden als Regelbeispiele die Heirat zwischen dem Anerkennenden und der Kindesmutter oder aber ein längeres Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft aufgeführt.

Dass die Anfechtungsbestimmungen erst zum 01.06.2008 in Kraft getreten sind und der Antragsgegner zu 1. bereits davor geboren worden ist, hindert die Anwendung der Anfechtungsvorschriften zugunsten des Antragstellers nicht. Denn auch für diese Altfälle sind die Regelungen sowohl mit Art 6 GG als auch mit den Regelungen zu Art. 100 GG in Bezug auf die Vorschriften des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, Art. 229 § 16 EGBGB als verfassungsgemäß anzusehen. Insoweit hat das OLG Naumburg in seiner Entscheidung vom 12.05.2009 bereits umfassend insbesondere zum Rückwirkungsverbot ausgeführt:

"... Das Rückwirkungsverbot ist in der Verfassung nicht ausdrücklich normiert. Das Verbot einer echten Rückwirkung ist in der Rechtsprechung des BVerfG überwiegend aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip, zu dem der Grundsatz der Rechtssicherheit gehöre, hergeleitet worden (BVerfGE 13, 261 (271) 30, 392 (401 ff.), 45, 142 (167 f.) 72, 200 (242)), während unechte Rückwirkungen grundrechtlichen Grenzen unterliegen sollen (BVerfGE 97, 67 (78 ff.). Eine - nur in Ausnahmefällen zulässige - echte Rückwirkung liegt nach herkömmlicher Sichtweise dann vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Demgegenüber ist eine unechte Rückwirkung dadurch gekennzeichnet, dass Normen auf in der Vergangenheit begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirken. Eine derartige Rückwirkung wird nur dann als unzulässig eingestuft, wenn bei einer Abwägung im Einzelfall das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer Regelung gegenüber dem Allgemeinwohl überwiegt (BVerfGE 72, 200 (242 f.).

Die hier in Rede stehende Übergangsvorschrift ist als unechte Rückwirkung anzusehen. Das Anfechtungsrecht ist der Behörde nur für die Zukunft zuerkannt worden. Allerdings wirkt die erfolgreiche Anfechtung auf den in den Übergangsfällen vor Inkrafttreten der Vorschrift liegenden Zeitpunkt der Geburt zurück (Palandt/Diederichsen aaO. § 1599 Rz. 7). Diese mittelbare Einwirkung auf die Vergangenheit bezieht sich aber auf einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt. Das Anerkenntnis schafft nämlich einen fortdauernden Tatbestand, indem es sowohl die rechtliche Zuordnung des Kindes zu dem anerkennenden Vater als auch den damit verbundenen dauerhaften Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bewirkt.

Die unechte Rückwirkung ist zulässig, weil der Gesetzgeber durch die Übergangsregelung, die die absolute Ausschlussfrist von fünf Jahren unberührt lässt, dem Vertrauen auf den Fortbestand der Regelung gegenüber den widerstreitenden allgemeinen Interessen angemessen Rechnung getragen hat. Bei der Wahrung des Vertrauensschutzes hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Einen Lösungsweg durch Befristungsregelungen hat das Bundesverfassungsgericht In seiner Entscheidung zur Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen aufgezeigt (BVerfGE 116. 24 unter III. a.E.). Bei der konkreten Regelung ist das Vertrauen der betroffenen Personen in den Bestand der Vaterschaft, die ein bloßes rechtliches Konstrukt ohne soziale Bindung darstellt, nicht hoch anzusetzen. Ein Vertrauen kann allerdings im Hinblick auf die mit der Anerkennung verbundenen weit reichenden Folgen im privaten und öffentlichen Bereich entstehen. Die Abstammung hat Auswirkungen in vielen Rechtsbereichen, wie Erbrecht, Steuerrecht und Sozialrecht. Insbesondere kann auf den Fortbestand der mit der Anerkennung verbundenen Einbürgerung vertraut werden. Hierfür ist aber Voraussetzung, dass durch Zeitablauf tatsächlich ein schutzwürdiges Vertrauen gewachsen ist. Auf der anderen Seite ist das Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung von missbräuchlichen Anerkenntnissen zur Schaffung von Einbürgerungsvoraussetzungen hoch anzusetzen. Diesem Bedürfnis nach Rechtssicherheit einerseits und öffentlichen Interessen andererseits hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung angemessen Rechnung getragen, ohne seinen Gestaltungsspielraum zu überschreiten."

Diesen Ausführungen folgt der Senat einschränkungslos.

Zutreffend ist das Amtsgericht - wenn auch ohne Begründung - davon ausgegangen, dass der erlaubte Aufenthalt des Antragsgegners zu 1. und der Mutter in der Bundesrepublik Deutschland durch die Vaterschaftsanerkennung des Antragsgegners zu 2. gesichert wurde.

Nach § 4 Abs. 3, StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit 8 Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. In diesem Fall wird der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit in das Geburtenregister, in dem die Geburt des Kindes beurkundet ist, eingetragen. Der am 19.03.1989 in die Bundesrepublik eingereiste Antragsgegner zu 2. erhielt am 30.04.1999 die Aufenthaltserlaubnis von der Ausländerbehörde in Chemnitz. Er vermittelt dem Antragsgegner zu 1. die deutsche Staatsangehörigkeit. Ferner verhindert der Antragsgegner zu 2. durch die Vaterschaftsanerkennung eine Abschiebung der Kindesmutter des Antragsgegners zu 1. Nach § 60a AufenthaltsG ist der aus Nigeria stammenden Kindesmutter die weitere Anwesenheit im Bundesgebiet letztlich zu gestatten.

Daneben hat das Amtsgericht nach Einholung des schriftlichen Abstammungsgutachten vom 26.02.2010 des Prof. Dr. med. ... zutreffend festgestellt, dass der Antragsgegner zu 2. nicht der Erzeuger des Antragsgegners zu 1. ist.

Dennoch dringt die Anfechtung der nachweisbelasteten Behörde (vgl. insoweit BGH FamRZ 2007, 538 für den ähnlich gelagerten Fall der Anfechtung durch den angeblichen leiblichen Vater) nicht durch, da der Bestand einer sozial-familiären Beziehung zwischen den Antragsgegnern nicht ausgeschlossen werden kann. Diese entscheidungserhebliche Frage hätte das Amtsgericht vordergründig, nämlich vor der Einholung des Abstammungsgutachtens aufklären müssen, da durch die Begutachtung in massiver Weise in eine wie auch immer ausgerichtete und ausgestattete Beziehung der Eltern und des Kindes eingegriffen wird.

Aus der Darlegungs- und Nachweislast des Antragstellers folgt zwar nicht, dass dieser alle denkbaren Gründe dafür nennen müsste, dass eine solche sozial-familiäre Bindung nicht besteht. Vielmehr gelten hier die allgemeinen Grundsätze für die Fälle, in denen eine negative Tatsache behauptet und bewiesen werden muss, nämlich die Grundsätze der sekundären Darlegungslast (BGH NJW 1999, 579). Dies bedeutet, dass zunächst die Antragsgegner die Voraussetzungen einer sozial-familiären Bindung darlegen müssen und der Antragsteller dann darzulegen und nachzuweisen hat, dass dieser Vortrag nicht zutrifft.

Dem Antragsteller und der angefochtenen Entscheidung ist, da vorliegend lediglich unter ausländerrechtlichen Gesichtspunkten in den Beziehungs- und Vertrauensbereich zwischen einem rechtlichen Vater zu einem Kind eingebrochen wird, um ein möglicherweise bestehendes Band endgültig zu entzweien, zwar darin beizupflichten, dass, da der Antragsgegner zu 2. mit der Kindesmutter des Antragsgegners zu 1. weder verheiratet war noch längere Zeit mit dieser in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, zunächst keines der Regelvermutungen der Vorschrift des § 1600 Abs. 4 BGB erfüllt ist. Weiterhin spricht dem ersten äußeren Anschein nach gegen eine sozial-familiäre Beziehung die sich aus der Anhörung vom 17.08.2010 durch den Senat ergebende Tatsache, dass die Kindesmutter nunmehr am 24.06.2010 ein weiteres Kind aus einer anderen Beziehung geboren hat und mit diesem Kindesvater nunmehr zusammenleben will und sich der rechtliche Vater jedenfalls zuletzt auf Grund seiner Arbeitsaufnahme in Regensburg nur noch unregelmäßig um den Antragsgegner zu 1. gekümmert hat.

Auf die Beziehung des rechtlichen Vaters zur Kindesmutter kommt es nach § 1600 Abs. 2 BGB dabei nicht an. Sie kann allenfalls, wenn die Kindesmutter nicht oder aber nicht mehr mit dem rechtlichen Vater zusammenlebt, zusätzliche indizielle Wirkung für das Nichtbestehen einer sozial-familiären Beziehung entfalten (BGH FamRZ 2008, 1821).

Eine sozial-familiäre Beziehung kann aber auch bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn diese gegebenenfalls andauert und das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise trägt, die auf Dauer angelegt erscheint (BGH, NJW 2007, 1677). Für diese Beurteilung ist, wie bereits oben angeführt, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (BGH a.a.O. und NJW 2008, 2985).

Die Annahme des Amtsgerichts, es läge keine sozial-familiäre Beziehung vor, ist danach und auf Grund weiterer hervorgetretener Tatsachen zu beanstanden. Das Amtsgericht führt in seiner Würdigung, sich der Auffassung des Antragstellers anschließend, aus, dass monatliche Kontakte von zwei- bis dreimal zum Besuch und zum erweiterten Umgang, die in der Vergangenheit erfolgte Zahlung von Kindesunterhalt und die örtliche Entfernung nicht für eine sozial-familiäre Beziehung sprechen. Dabei mag unterstützend wirken, dass dem Antragsgegner zu 2. zum damaligen Zeitpunkt der Kindergartenbesuch des Antragsgegners zu 1. unbekannt war und sich der Antragsgegner zu 2. im Verfahren nach Eingang des Abstammungsgutachtens schriftlich dahin äußerte, er freue sich, dass die Wahrheit endlich herausgekommen sei (Bl. 71 d.A.).

Entscheidend für das Anfechtungsverfahren ist allerdings, dass wegen der Freizügigkeitsbeschränkung der Kindesmutter, die auch nach der Geburt von ... den damaligen Aufenthaltsbereich in Sachsen-Anhalt nicht verlassen durfte, ein intensiverer Kontakt des Antragsgegners zu 1. zum Antragsgegner zu 2., der mit seinen zwei Töchtern in Chemnitz wohnhaft ist, erschwert und sogar unterbunden wurde. Die Kontakte erschöpften sich zwar in wenn auch zuletzt unregelmäßigen Wochenendkontakten, durch das Aufsuchen der Kindesmutter durch den Antragsgegner zu 2. Informationsverluste mögen dabei entstanden sein. Eine solche Prozedur mag aber auch in Familien zu beobachten sein, in dem ein Mitglied einer auswärtigen Montagetätigkeit nachgeht. Dennoch konnte sich der Senat bei der persönlichen Anhörung von ..., was das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, davon in Kenntnis setzen, dass dieser bei seiner Anhörung unter Anwesenheit des Verfahrensbeistandes in kindgerechter Umgebung äußerte, dass er seinen Papa kenne und dass er da draußen sei. Daneben konnten die Senatsmitglieder vor und nach dem Termin vom 17.08.2010 nebenbei beobachten, dass sich ... und der Antragsgegner zu 2. zueinander sehr vertraut verhielten. So holte sich der Antragsgegner zu 2. einen Kaffee am Automaten und ... lehnte sich seinen Arm anlegend an sein linkes Hosenbein. Aber auch der sonstige Umgang zwischen beiden war von Vertrautheit und nicht von Fremdheit geprägt. Daneben konnte der Verfahrensbeistand, der im Vorfeld vergeblich versucht hatte, Kontakt zur sich vorübergehend in Bremen aufhaltenden Mutter und ... aufzunehmen, in Erfahrung bringen, dass der Antragsgegner zu 2. die Kindereinrichtung in Köthen nicht aufgesucht hatte. Jedoch fiel ihr eines von dort viel vorhandenen Familienbildern/-fotos in der Einrichtung auf. Auf diesem älteren Foto sind der Antragsgegner zu 2. und der noch jüngere ... unzweifelhaft zu erkennen. Der Verfahrensbeistand hat dieses Bild bei der Anhörung zur Akte gereicht. Kurz vor der Anhörung hatte der Verfahrensbeistand [dieses] in einem Gespräch allein mit ... diesem das Foto vorgelegt. Der Verfahrensbeistand erklärte, ... habe auf Nachfrage sofort erklärt, der Mann auf dem Bild sei sein Papa.

Dass Belege für die Unterhaltszahlungen in der Vergangenheit nicht vorgelegt werden konnten, spricht allein nicht gegen eine solche Zahlung, da in einer intakten Elternbeziehung derartige Zahlungen regelmäßig nicht schriftlich quittiert werden. Daneben erklärte sich der Antragsgegner zu 2. auch zukünftig bereit, im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit Unterhalt fürs zahlen zu wollen. Derartiges habe er auch schon früher der Kindesmutter erklärt und getan.

Das dementsprechend sich entwickelte und bis heute gepflegte Vertrauensverhältnis des Antragsgegners zu 2. zu seinem Sohn vermag die sozial-familiäre Beziehung nicht auszuschließen und steht daher einer erfolgreichen Anfechtung entgegen.

Die Verfahrenskosten sind der veranlassenden Behörde nach § 81 FamFG aufzugeben. Hiernach ist im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller ohne nähere Informationen, insbesondere zur biologischen Abstammung von ... oder zuvor ermittelter konkreter Tatsachen unter Mitwirkung bzw. Beteiligung des zuständigen Jugendamts gegen das Vorliegen einer sozial-familiäre Beziehung sprechen, bereits zur Verfahrensdurchführung entschlossen hat. [...]