VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 18.08.2010 - 5 K 4355/10.A - asyl.net: M17641
https://www.asyl.net/rsdb/M17641
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Konversion zum Christentum (Iran).

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Iran, Konvertiten
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ein Konvertit, der vom muslimischen Glauben abfällt, muss künftig im Iran ernstlich mit schwerer politischer Verfolgung wegen seiner Religion im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG rechnen. Denn nach dem Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom (5. und) 6. Oktober 2008 ist am 9. September 2008 in das iranische Parlament ein Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des iranischen Strafgesetzbuches (iStGB-Entwurf) eingebracht und an die Ausschüsse zur Beratung weitergeleitet worden, der erstmals die Kodifizierung des Straftatbestandes der "Apostasie" (Abfall vom (muslimischen) Glauben) im staatlichen Gesetzbuch mit dem Strafmaß der Todesstrafe (für männliche Konvertiten) vorsieht; gegen "abtrünnige" Frauen soll eine lebenslängliche durch besondere "Härten" verschärfte Haftstrafe verhängt werden. Die Apostasie könnte bei Inkrafttreten der Strafbestimmungen als "Hadd"-Delikt, d.h. als - im Sinne des iranisch-muslimischen Rechtsverständnisses - "Verstoß gegen göttliches Recht" auch rückwirkend bestraft werden. Nach Einschätzung der Botschaft ist angesichts der Zusammensetzung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane nicht zu erwarten, dass der Entwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Sinne der Menschenrechte "verbessert" werden könnte. Es ist daher mit der Verabschiedung der neuen Strafvorschriften zur Apostasie ernstlich zu rechnen (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom (5./) 6. Oktober 2008).

An dieser Gefährdungssituation hat sich bis heute nichts geändert. Der Gesetzgebungsprozess dauert noch an (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 19. November 2009 (S. 23 f.), wonach der zuständige Justizausschuss in den nächsten Monaten die Arbeit an dem Gesetzentwurf abschließen und anschließend das Parlamentsplenum über den Zeitpunkt und die Dauer des Inkrafttretens beschließen sollte).

Er ist zwar mittlerweile wieder ins Stocken geraten und eine Verabschiedung des Gesetzes ist zur Zeit nicht absehbar (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 28. Juli 2010 (S. 23)).

Diese Entwicklung bedeutet aber keine "Entwarnung" in dem Sinne, dass eine dem Entwurf entsprechende künftige Bestrafung von Konvertiten nicht mehr beachtlich wahrscheinlich wäre. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Gesetzesvorhaben aufgegeben oder der Entwurf in den hier in Rede stehenden Punkten erheblich entschärft worden wäre.

Mit Blick auf die rückwirkende Geltung eines solchen Gesetzes, mit dessen Inkrafttreten in absehbarer Zeit (weiterhin) ernstlich gerechnet werden muss, und die Schwere der Strafdrohung, ist ein Konvertit, dem die Rückkehr in den Iran angesonnen wird, schon jetzt der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen seiner religiösen Überzeugungen ausgesetzt.

Auch der Kläger muss bei Rückkehr in den Iran mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit einer solchen Verfolgung rechnen.

Nach Art. 225-1 iStGB-Entwurf ist Apostat jeder Muslim, der eindeutig verkündet, dass er oder sie den Islam verlassen hat und sich zum Unglauben bekennt. Allerdings sieht Art. 225-2 iStGB-Entwurf vor, dass ein Beschuldigter u.a. dann nicht als Apostat eingeschätzt wird, wenn er behauptet, dass seine eigentliche Intention etwas anderes gewesen ist (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom (5./) 6. Oktober 2008).

Das bedeutet, dass Personen, die nicht ernsthaft, sondern zum Schein "konvertieren", um ihre Aussichten auf den Erwerb einer sonst nicht erlangbaren Aufenthaltsmöglichkeit im Ausland asyltaktisch zu verbessern, sich auf diese Regelung berufen können und wegen ihrer "eigentlichen", nicht auf den Abfall vom muslimischen Glauben gerichteten Intention bei der "Scheinkonversion" nicht mit einer Verurteilung als Apostat rechnen müssen. Denn die Berücksichtigung asyltaktischer Handlungsweisen bei der Bewertung des Verhaltens ihrer Staatsbürger im westlichen Ausland ist den iranischen Behörden nicht fremd (vgl. in diesem Sinne für die entsprechende Bewertung etwa einer Asylantragstellung durch iranische Stellen: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Aachen vom 31. März 2005 (Az.: 508-516.80/43432), oder exilpolitischer Aktivitäten: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Juli 2007 (S.26)).

Nach Überzeugung des Gerichtes ist der Kläger allerdings ein ernsthafter Apostat in dem soeben angesprochenen Sinne, so dass ihm bei Rückkehr in den Iran eine Bestrafung nach den im Entstehen begriffenen Normen des iStGB droht. Denn ihm kann als überzeugtem Christen nach den Schutzintentionen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht angesonnen werden, unter Verleugnung des neuen Glaubens vorzugeben, er habe den Glaubenswechsel nicht ernstlich vollzogen.

Für eine wirkliche Abkehr des Klägers vom muslimischen Glauben und für eine Hinwendung zum christlichen Glauben, d.h. für ein ernsthaftes "Bekenntnis zum Unglauben" im Sinne des Art 225-1 iStGB-Entwurf, für das Vorliegen einer christlichen Glaubensüberzeugung und gegen einen nur asylverfahrenstaktischen Einsatz der Taufe sprechen folgende Umstände:

Der Kläger hat sich in der umfassenden Befragung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen und Auslösern der Hinwendung zum christlichen Glauben, zu den Inhalten des christlichen Glaubens und vor allem zu der Bedeutung des christlichen Glaubens für ihn selbst und sein Leben frei, ausführlich, detailliert, plastisch und mit nachvollziehbarer emotionaler Beteiligung eingelassen. Er hat dem Gericht in der mündlichen Verhandlung dadurch die Überzeugung zu vermitteln vermocht, dass er eine ernste und dauerhafte Glaubensentscheidung getroffen hat, als er Christ wurde. Dagegen spricht auch nicht, dass seine Kenntnisse der christlichen Theologie noch recht oberflächlich sind. Dies erklärt sich daraus, dass er in einer deutschsprachigen Gemeinde getauft worden ist und nach Angaben des in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehörten evangelischen Pfarrers, der die Taufe vollzogen hat, mangels Sprachkenntnissen zuvor keinen Taufunterricht genossen hat. Dennoch hat sich der Pfarrer, der nach eigenen Angaben nicht bereit ist, die Taufe jemandem "hinterherzuwerfen", bei den in englischer Sprache geführten Gespräche mit dem Kläger von der Ernsthaftigkeit des Taufwunsches überzeugen lassen. Für die Ernsthaftigkeit sprach auch für das Gericht das "Bekehrungserlebnis", das der Kläger bereits im Iran gehabt hat und das er in der mündlichen Verhandlung eindrücklich zu schildern wusste. [...]