VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 13.03.2009 - 3 A 285/09 [= ASYLMAGAZIN 2011, 86 ff.] - asyl.net: M17635
https://www.asyl.net/rsdb/M17635
Leitsatz:

1. Eine Zustellung (hier eines Dublin-Bescheids) durch persönliche Aushändigung in einer Aufnahmeeinrichtung gemäß § 10 Abs. 4 AsylVfG erfüllt nur dann die rechtlichen Anforderungen, wenn der Empfänger den Erhalt des zuzustellenden Schriftstücks durch schriftliches Empfangsbekenntnis ausdrücklich bestätigt. Die Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 4 S. 4 AsylVfG setzt u. a. voraus, dass der Ausländer über die Zustellungsvorschriften des § 10 AsylVfG schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis in einer im geläufigen Sprache belehrt worden ist.

2. Die Dublin-Überstellungsfrist kann nach Art. 19 Abs. 4 S. 2 Dublin II-VO auf (höchstens) achtzehn Monate verlängert werden, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Eine solche Verlängerung der Überstellungsfrist war hier rechtswidrig, da der Kläger lediglich an dem Tag des Überstellungstermins nach Griechenland in der Gemeinschaftsunterkunft nicht angetroffen wurde. Eine dauernde Präsenzpflicht bestand für ihn dort jedoch nicht.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, Anfechtungsklage, Klageart, Zustellung, Aufnahmeeinrichtung, Zustellungsmangel, Heilung, Belehrung, Sprache, Klagefrist, flüchtig,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a, VwGO § 42 Abs. 1, AsylVfG § 31 Abs. 1, AsylVfG § 10 Abs. 4, AsylVfG § 10 Abs. 7, VwZG § 8, AsylVfG § 74 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1a, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 3, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 4 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist nur zum Teil zulässig. Sie ist bereits unstatthaft, soweit der Kläger über die Aufhebung des Bescheides vom 27. Mai 2008 hinaus auch eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG begehrt. Gegen Bescheide nach §§ 27a, 34a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) ist ausschließlich die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) gegeben. Dies bedarf hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) keiner weiteren Erörterung, hat jedoch auch für die auf § 27a AsylVfG in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO), beruhenden Feststellung zu gelten, dass der Asylantrag unzulässig sie. Ist diese Feststellung rechtswidrig und wird ein Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat das Gericht sie aufzuheben mit der Folge, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von sich aus verpflichtet ist, das Asylverfahren durchzuführen, d.h. nach umfassender Prüfung des Asylbegehrens eine eigene Sachentscheidung zu treffen. Demgegenüber scheidet eine Berechtigung oder Verpflichtung des Gerichts, die Sache selbst spruchreif zu machen und "durchzuentscheiden" (anders als etwa in Folgeantragsverfahren nach Feststellung des Vorliegens der - vom Bundesamt zuvor verneinten - Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens) aus (vgl. Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, § 34a, Rdnr. 64, m.w.N.).

Soweit die Klage danach statthaft ist, ist sie auch im übrigen zulässig, insbesondere entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verfristet. Dabei kann zum einen dahingestellt bleiben, wann genau dem Kläger der Bescheid vom 27. Mai 2008 in der Aufnahmeeinrichtung persönlich ausgehändigt worden ist, ob also diese Aushändigung - wie er selbst in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und wiederholt versichert hat - erst am 30. Dezember 2008 (die am 13. Januar 2009 bei Gericht eingegangene Klage hätte dann die zweiwöchige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG gewahrt) oder aber - wofür zumindest die auf dieses Datum lautende Ausgabenotiz in der von der Beklagten auszugsweise vorgelegten Postliste der Einrichtung spricht - bereits am 29. Dezember 2008 (in diesem Falle wäre die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 AsylVfG am 13. Januar 2009 bereits verstrichen gewesen) erfolgt ist. Hierauf kommt es deshalb nicht an, weil mit der Aushändigung des Bescheides in der Aufnahmeeinrichtung eine wirksame förmliche Zustellung des Bescheides, deren es gemäß § 31 Abs. 1 AsylVfG bedurft hätte, ohnehin nicht bewirkt worden ist. Eine Zustellung durch persönliche Aushändigung in einer Aufnahmeeinrichtung gemäß § 10 Abs. 4 AsylVfG erfüllt nur dann die rechtlichen Anforderungen, wenn der Empfänger den Erhalt des zuzustellenden Schriftstücks durch schriftliches Empfangsbekenntnis ausdrücklich bestätigt (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 10 Rdnr. 272; ferner Marx, Asylverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 10 Rdnr. 160 und 166). Ein solches Empfangsbekenntnis befindet sich nicht bei den Akten des Bundesamtes oder der ZAAB und ist nach den im Laufe des Verfahrens noch gewonnenen Erkenntnissen vom Kläger auch tatsächlich nicht erteilt worden. Der Ausgabevermerk vom 29. Dezember 2008 in der Postliste der ZAST ersetzt das Empfangsbekenntnis nicht, zumal ein solcher - von einem Bediensteten der Einrichtung "einseitig" angebrachter - "Vermerk" nicht dieselbe Dokumentationseignung besitzt, d.h. dieselbe Richtigkeitsgewähr bietet wie eine vom Empfänger selbst unterzeichnete Bestätigung des Empfangs. Insoweit bedarf es auch nicht einer weiteren Erforschung des Sachverhaltes oder etwa der Erhebung eines Beweises. Vielmehr handelt es sich bei derartigen Zustellungsvorschriften wegen der erheblichen Bedeutung einer Zustellung u.a. für den Lauf von Rechtsmittelfristen grundsätzlich um streng formalisiertes, also keine Ausnahmen oder Widerlegungsmöglichkeiten zulassendes Recht.

Schließlich ist auch keine Heilung dieses Zustellungsmangels nach § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) eingetreten. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, wenn sich die formgerechte Zustellung nicht nachweisen oder es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Danach muss für eine Heilung nicht nur der Zugang des Dokumentes an sich, sondern auch der Zugangszeitpunkt nachweislich feststehen. Das ist hier jedoch gerade nicht der Fall, da sich die Beteiligten darüber streiten, ob der Kläger den Bescheid bereits am 29. Dezember oder aber erst am 30. Dezember 2008 erhalten hat, worüber auch im übrigen keine völlige Gewissheit zu gewinnen ist. Eine solche Gewissheit könnte vielmehr nur ein schriftliches Empfangsbekenntnis geben, an dem es aber gerade fehlt (vgl. grundsätzlich zum regelmäßigen Ausschluss einer Heilung nach der weitgehend inhaltsgleichen Norm des § 189 ZPO im Falle des Fehlens eines Empfangsbekenntnisses: BVerwG, Urteil vom 25. April 2005 - 1 C 6.04 -, V.n.b.).

Darüber hinaus sind aber auch nicht etwa die Voraussetzungen für die Annahme einer schon vorher eingetreten Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 4 Satz 4, 2. Halbs. AsylVfG erfüllt. Nach dieser Vorschrift gilt die Zustellung in einer Aufnahmeeinrichtung, wenn sie nicht durch Aushändigung an den Ausländer erfolgt, am dritten Tage nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt. Das wäre hier, da der angefochtene Bescheid des Bundesamtes einem Bediensteten der ZAST Oldenburg am 19. Dezember 2008 übergeben worden war, am 22. Dezember 2008 der Fall gewesen, was aus nicht erläuterungsbedürftigen Gründen bei einer Klageerhebung erst am 13. Januar 2009 eine Klagefristversäumung zur Folge gehabt hätte. Der Eintritt einer Zustellungsfiktion nach dieser Vorschrift setzt u.a. voraus, dass der Ausländer über die Zustellungsvorschriften des § 10 AsylVfG, in Fällen wie dem vorliegenden namentlich auch über seine gemäß § 10 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG bestehenden Mitwirkungspflichten (vgl. Marx, a.a.O., § 10 Rdnr. 153), schriftlich und gegen Empfangsbestätigung belehrt worden ist. Dies folgt unmittelbar schon aus § 10 Abs. 7 AsylVfG. Eine solche Belehrung ("Wichtige Mitteilung - Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und - Allgemeine Verfahrenshinweise") ist dem Kläger zwar zu Beginn seines Asylverfahrens, am 6. März 2008, ausgehändigt worden, was er durch seine Unterschrift auch bestätigt hatte. Zu einer ordnungsgemäßen Belehrung im Sinne des § 10 Abs. 7 AsylVfG gehört es indessen auch, dass sie in einer dem Ausländer geläufigen Sprache erteilt worden ist (Funke-Kaiser, a.a.O., § 10 Rdnr. 227). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt worden. Zwar ist die dem Kläger ausgehändigte Belehrung inhaltlich, wie der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, in kurdischer Sprache verfasst. Jedoch hat beim Abdruck des Belehrungstextes, was auch ohne besondere Sachkunde erkennbar ist, die lateinische Schrift Verwendung gefunden. Demgegenüber hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, der lateinischen Schrift nicht kundig zu sein, vielmehr nur die arabische Schrift zu beherrschen, so dass er den Belehrungsbogen gar nicht habe lesen können. Dies erscheint dem Gericht zum einen deshalb glaubhaft, weil der - auf diesem Gebiet als überaus sachkundig bekannte - Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, es gebe Verbreitungsgebiete der kurdischen Sprache, in denen ausschließlich die arabische Schrift verwendet werde. Bestätigt wird diese Aussage des Klägers andererseits durch allgemeinzugängliche Erkenntnisquellen (vgl. die zahlreichen im Internet verbreiteten Informationen von Sprachschulen, Kulturforen etc., z.B. auch Wikipedia zu: kurdische Sprache, Schrift), wonach das Kurdische namentlich im Iran und auch im Irak, dem Herkunftsland des Klägers, in arabischer Schrift geschrieben wird. Dem Kläger ist augenscheinlich ferner - was anderenfalls allerdings den Mangel der schriftlichen Belehrung letztlich ohnehin nicht beheben könnte - der Belehrungstext auch nicht mündlich ins Kurdische, die von ihm in erster Linie beherrschte Sprache (des Arabischen will er nur bruchstückhaft mächtig sein), übersetzt worden. So hat in der mündlichen Verhandlung mit Hilfe des Dolmetschers auch geklärt werden können, dass am 6. März 2008 bei der Übergabe der Belehrungstexte an den Kläger nur eine Dolmetscherin zugegeben war, die nach persönlicher Kenntnis des Dolmetschers die kurdische Sprache nicht beherrscht. Hierauf deutet im übrigen hin, dass in der Abschlusszeile des Belehrungsbogens ("Die Seiten 1 bis 3 der Belehrung wurden mir heute in die kurdische Sprache übersetzt, den Inhalt habe ich verstanden.") das Wort "übersetzt" gestrichen worden ist. Daraus folgt zugleich, dass die Unterschrift des Klägers nur bestätigt, dass er den Belehrungsbogen in Empfang genommen hatte, ohne damit auch zu attestieren, dass er diesen inhaltlich verstanden habe. Hierauf kommt es aber letztlich auch nicht an, da es jedenfalls - wie festgestellt - an der Übergabe des Belehrungstextes in der Fassung einer Schrift (der arabischen) gefehlt hat, die er tatsächlich beherrscht. Da es sich hierbei um die Außerachtlassung eines wesentlichen Formerfordernisses handelt, ist darüber hinaus auch dem - von dem Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung noch hervorgehobenen - Umstand kein entscheidendes Gewicht mehr beizumessen, dass der Kläger zu Beginn seiner persönlichen Anhörung am 13. März 2008 auf Nachfrage erklärt hat, dass ihm der Inhalt der bei Antragstellung ausgehändigten "Wichtigen Mitteilung - Belehrung für Erstantragsteller" bekannt sei und dass er diese auch verstanden habe. Allerdings geht das Gericht nach Lage der Dinge auch davon aus, dass ihm zu diesem Zeitpunkt die Bedeutung dieser Äußerung in Wirklichkeit nicht eigentlich bewusst gewesen ist. Vielmehr hat er wahrscheinlich angenommen, dass dies Bestandteil der von ihm nicht als bedeutend angesehenen Formalitäten sei.

Was schließlich die Möglichkeit einer Heilung des damit auch in bezug auf eine Zustellung im Wege einer Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 4 Satz 4, 2. Halbs. AsylVfG festzustellenden Mangels gemäß § 8 VwZG betrifft, kann erneut auf die vorstehenden Ausführungen zu dieser Vorschrift verwiesen werden. Das dort Gesagte gilt hier entsprechend, so dass auch insoweit eine Heilung auszuschließen ist.

War nach alledem eine wirksame Zustellung des Bescheides des Bundesamtes vom 27. Mai 2008 nach jeder möglichen Betrachtungsweise seinerzeit noch nicht erfolgt, so hatte demnach auch die Klagefrist (§ 74 Abs. 1 AsylVfG) noch nicht zu laufen begonnen. Somit konnte sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung auch noch nicht abgelaufen sein. Soweit die Klage statthaft ist, ist sie somit auch im übrigen zulässig.

Insoweit ist die Klage auch begründet. Das Bundesamt hat mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht festgestellt, der Asylantrag des Antragstellers sei unzulässig, weil für die Prüfung seines Asylantrages der griechische Staat zuständig sei (§ 27a AsylVfG, Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO). Vielmehr ist die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Demgemäß sind auch die Voraussetzungen für eine Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Griechenland nicht erfüllt (§ 34a Abs. 1 AsylVfG). Die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes ist somit rechtswidrig und verletzt den Kläger auch in seinen Rechten; sie muss deshalb aufgehoben werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist, wenn anhand eines der dort genannten Erkenntnismittel festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig. Der Kläger hatte auf dem Wege aus seinem Heimatland in die Bundesrepublik Deutschland ausweislich der in der Eurodac-Datei gespeicherten Daten am 20. Januar 2008 die griechische Landesgrenze illegal überschritten. Dies wird von ihm inzwischen selbst nicht mehr in Abrede gestellt. Gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO war damit die Prüfungszuständigkeit Griechenlands begründet worden. Griechenland war somit, zumal der Kläger dort noch keinen Asylantrag gestellt hatte, gemäß Art. 16 Abs. 1 a Dublin II-VO verpflichtet, den Kläger nach Maßgabe der Art. 17 bis 19 Dublin II-VO aufzunehmen. Gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO hat die Überstellung des Antragstellers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde (hier also der Bundesrepublik Deutschland), in den zuständigen Mitgliedstaat (hier also Griechenland) spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen. Das Aufnahmegesuch des Bundesamtes an die griechischen Behörden ist von diesen mit Schreiben vom 16. Mai 2008 angenommen worden. Dieses Schreiben muss dem Bundesamt spätestens am 27. Mai 2008 zugegangen sein, da unter diesem Datum der mit der vorliegenden Klage angefochtene Bescheid unter ausdrücklichem Hinweis auf die Zustimmung Griechenlands bereits gefertigt worden war. Auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diese Klage ist dagegen nicht abzustellen, weil sie weder (grundsätzlich!) von Gesetzes wegen (§ 34a Abs. 2 AsylVfG) aufschiebende Wirkung infolge einer Anordnung "im Einzelfall" entfalten konnte noch ihr tatsächlich ein Suspensiveffekt aufgrund des Eilantrags des Klägers im Verfahren 3 B 286/09 durch gerichtliche Entscheidung verliehen worden ist. Insofern bedarf es an dieser Stelle auch eines weiteren Eingehens auf die vom Kläger noch in Bezug genommene und vorgelegte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 29. Januar 2009 - C 19/08 -) und der sich daraus im Hinblick auf den Lauf der Überstellungsfrist ergebenen rechtlichen Gesichtspunkte nicht.

Ist somit von einem (spätesten) Beginn der sechsmonatigen Überstellungsfrist am 27. Mai 2008 auszugehen, so folgt daraus, dass diese Frist bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom gleichen Tage im Dezember 2008, nämlich am 27. November 2008, verstrichen gewesen ist, ohne dass eine Überstellung des Klägers erfolgt wäre. Für einen solchen Fall der Fristversäumung sieht Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO vor, dass die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland bereits mit Ablauf des 27. November 2008 für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zuständig geworden.

Dem steht nicht entgegen, dass gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO die Frist von sechs Monaten auf (höchstens) achtzehn Monate verlängert werden kann, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Das Gericht bezweifelt zwar nicht, dass unter "flüchtig" im Sinne dieser Vorschrift auch verstanden werden muss, dass ein Asylbewerber an dem Ort seines bisherigen (rechtmäßigen) Aufenthaltes nicht mehr angetroffen werden kann und weder von ihm hinterlassen worden noch auf andere Weise festzustellen ist, wo er sich inzwischen aufhält, nach dem Gesamtverhalten des Asylbewerbers und den Umständen im übrigen also alles dafür spricht, dass er, gleichsam um sich seiner Überstellung zu entziehen, "untergetaucht" ist. So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung in diesem Zusammenhang glaubhaft erklärt: Seit dem 6. März 2008 sei er in der Gemeinschaftsunterkunft in Oldenburg untergebracht. Seither habe er sich auch meistens in dieser Unterkunft aufgehalten. Allerdings habe er hin und wieder seine in Oldenburg lebenden entfernten Verwandten besucht. Er habe sich schon deshalb überwiegend in der Einrichtung aufgehalten, weil er gewusst habe, dass er Post bekommen könnte, die für ihn wichtig sei. Seit er sich in der Aufnahmeeinrichtung aufgehalten habe, sei er im Monat etwa eine Woche bei seinen Verwandten in Oldenburg zu Besuch gewesen. Allerdings nicht eine Woche am Stück, sondern zusammengerechnet so viele Tage, wie eine Woche ausmache. Übernachtet habe er dort eigentlich eher nicht. Auch sei er nicht jeweils den ganzen Tag dort gewesen. Vielmehr habe er sich zum Beispiel in der Stadt aufgehalten, um dann noch seine Verwandten zu besuchen. Er wiederhole, dass er dort nur selten übernachtet habe. Er könne sich nach alledem auch gar nicht erklären, warum man ihn in der Einrichtung abgemeldet habe. Er sei an sich grundsätzlich immer dort gewesen, zwar habe er sich immer wieder in der Stadt aufgehalten und dort auch seine Verwandten besucht. Verzogen oder untergetaucht sei er allerdings nicht. Regelmäßig bei irgendeiner Stelle gemeldet habe er sich in der Einrichtung nicht. Das habe er auch nicht gemusst. Wenn man sich dort aufhalte, werde man von den verantwortlichen Personen sowieso immer wieder gesehen. So sei auch er von den Verantwortlichen der Einrichtung immer wieder gesehen worden. Weil es sehr langweilig in der Einrichtung sei, sei er oft schon sehr früh, manchmal schon vor dem Frühstück, weggefahren.

Aus den Akten des Bundesamtes sowie der ZAAB ergibt sich nichts, was diesen Vortrag widerlegen oder unglaubhaft erscheinen lassen könnte. Danach war zwar die für den 20. November 2008 vorgesehen gewesene Überstellung des Klägers nach Griechenland gescheitert, weil er "in der ihm zugewiesenen Unterkunft nicht angetroffen" worden war (so ausdrücklich das Mitteilungsschreiben der ZAAB vom 17. Dezember 2008 an das Bundesamt, wobei - offenbar versehentlich - von einer Überstellung nach "Schweden" die Rede ist). Nach dem Stand der Akten liegen indessen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger seinerzeit tatsächlich die Einrichtung im Sinne eines Untertauchens endgültig verlassen hatte. Eine dauernde Präsenzpflicht bestand für ihn nicht. Wenn er sich einer solchen Pflicht auch selbst nicht unterworfen und es vielmehr vorgezogen hatte, häufig oder regelmäßig, tageweise und gelegentlich auch über Nacht, an anderen Orten Aufenthalt zu nehmen, so mag er dadurch zwar den sich für ihn aus § 10 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG ergebenen Verpflichtungen nicht voll entsprochen haben. Dies bedeutet aber nicht, dass er im Vorgriff auf den weiteren Verfahrensgang aus Furcht vor einer absehbaren Überstellung in den Drittstaat sich dem Zugriff der Behörden bewußt entzogen hatte, also "flüchtig" war. Um dies annehmen zu können, hätten von den zuständigen Stellen (ZAAB, Personal der Aufnahmeeinrichtung) intensivere Versuche unternommen worden sein müssen festzustellen, ob der Kläger wirklich dauerhaft in seiner Unterkunft nicht mehr erreichbar und ferner auch nicht etwa nun an einem anderen, womöglich - weil von ihm selbst gar nicht geheimgehalten - ohne weiteres ermittelbaren Ort zu finden sei. Hierzu hätte es zumindest einer wiederholten, möglichst nicht auf einen Tag beschränkten, Überprüfung des Wohnplatzes des Klägers in der Gemeinschaftsunterkunft bedurft, wobei u.a. besonders darauf zu achten gewesen wäre, ob er noch irgendwelche privaten oder persönlichen Dinge zurückgelassen haben könnte und dies ggf. seine Rückkehr erwarten ließ. Darüber hinaus hätte u.a. auch eine Befragung seiner Mitbewohner nach seinem etwaigen Verbleib oder Aufenthaltsort und einer möglicherweise geäußerten Absicht einer baldigen Rückkehr oder aber eines dauerhaften Verlassens der Einrichtung sinnvoll und geboten sein können. Es ist nicht zu erkennen, dass derartige oder vergleichbare Nachforschungen angestellt worden wären. In den Verwaltungsvorgängen ist dergleichen jedenfalls nicht dokumentiert. Sie vermitteln vielmehr den Eindruck, als wäre es im wesentlichen bei einem einmaligen Versuch verblieben, den Kläger anlässlich des für den 20. November 2008 geplant gewesenen Überstellungstermins in der Unterkunft anzutreffen. Allein der Umstand, dass dieser Versuch erfolglos geblieben ist, rechtfertigt jedenfalls nicht die Annahme, dass der Kläger entgegen seiner jetzigen Darstellung, die das Gericht im Eilverfahren (mit der Folge, dass ihm vorläufiger Rechtsschutz im Ergebnis zu Unrecht vorenthalten geblieben ist) noch nicht berücksichtigen konnte, tatsächlich "untergetaucht" war.

Lagen und liegen somit die Voraussetzungen für eine Verlängerung der sechsmonatigen Überstellungsfrist auf bis zu achtzehn Monaten nicht vor, so ist nach alledem (spätestens) am 27. November 2008 die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages des Klägers auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Das Bundesamt hat deshalb rechtsfehlerhaft festgestellt, dass der Antrag gemäß § 27a AsylVfG unzulässig sei. Diese Feststellung ist deshalb, weil sie den Kläger auch in seinen Rechten verletzt, aufzuheben. [...]