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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 23.06.2010 - 6 A 140/10 - asyl.net: M17573
https://www.asyl.net/rsdb/M17573
Leitsatz:

Für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG reicht es aus, wenn der die Niederlassungserlaubnis begehrende Ausländer seinen eigenen Lebensunterhalt sichern kann.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Niederlassungserlaubnis, Sicherung des Lebensunterhalts, Bedarfsgemeinschaft
Normen: AufenthG § 28 Abs. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 2 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht ist allerdings zu Unrecht davon ausgegangen, die von der Klägerin begehrte Niederlassungserlaubnis scheitere daran, dass sie nicht in der Lage sei, den Lebensunterhalt für sich und die mit ihr in familiärer Gemeinschaft lebenden Söhne ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann (§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG); wobei die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht bleiben.

Die vorbezeichneten Vorschriften hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die frühere Rechtsprechung des 9. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs dahingehend ausgelegt, dass die Sicherung des Lebensunterhalts nur dann gewährleistet sei, wenn für die Lebensunterhaltssicherung aller Mitglieder der familiären Wirtschaftsgemeinschaft des betreffenden ausländischen Familienmitglieds - unabhängig von deren Staatsangehörigkeit - ausreichende Mittel erwirtschaftet würden oder verfügbar seien, so dass innerhalb der Gemeinschaft der Bezug öffentlicher Mittel nicht erforderlich sei.

Der beschließende Senat vertritt demgegenüber den Standpunkt, dass es für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausreicht, wenn der die Niederlassungserlaubnis begehrende Ausländer seinen eigenen Lebensunterhalt sichern kann.

Die Frage, ob sich die Sicherung des Lebensunterhalts auf die familiäre Bedarfsgemeinschaft erstreckt oder allein auf den einen Aufenthaltstitel begehrenden Ausländer bezieht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 -, InfAuslR 2007, 336 mit weiteren Nachweisen zum Streitstand). Die zwischenzeitlich in Kraft gesetzten Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (BR-Drs. 669/09) deuten darauf hin, dass die Sicherung des Lebensunterhalts der unterhaltsberechtigten Familienangehörigen grundsätzlich Bestandteil der eigenen Lebensunterhaltssicherung sein soll (vgl. Nr. 2.3., insbesondere 2.3.2). Dagegen ist der 9. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 14. Dezember 2009 (9 A 1733/09) von diesem Grundsatz abgerückt und zu der Einschätzung gelangt, dass für die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 i. V. m. § 9 Abs. 2 AufenthG keine Gesamtbetrachtung der Familiengemeinschaft zu erfolgen hat, sondern der jeweilige Antragsteller isoliert zu betrachten ist (im Ergebnis ebenso: OVG des Saarlandes, Urteil vom 24.09.2009 - 2 A 287/08 -, Juris-Dokument). Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 AufenthG findet zwar mit Blick auf die Spezialregelung in § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG keine Anwendung (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.07.2006 - 18 E 1500/05 -, InfAuslR 2006, 407, m.w.N.). Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG deutet allerdings ebenso wie derjenige des § 9 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zunächst darauf hin, dass es nur der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts des nachziehenden Ausländers bedarf (so ausdrücklich: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.08.2009 - OVG 11 B 1.09 -, InfAuslR 2009, 448; VG Karlsruhe, Urteil vom 25.04.2006 - 11 K 1392/05 -, Juris-Dokument, unter Hinweis auf einen nicht veröffentlichten Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 31.01.2006 - 11 S 1884/05 -; Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl., § 2 AufenthG Rdnr. 17). Aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG wird zwar die Schlussfolgerung gezogen, dass eine häusliche familiäre Gemeinschaft im Bundesgebiet im Grundsatz sowohl auf der Kosten- als auch auf der Einkommensseite als "Bedarfs- und Einkommensgemeinschaft" zu betrachten sei (so ausdrücklich auch für den Fall der Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG: VG Osnabrück, Beschluss vom 11.09.2009 - 5 A 124/09 -, Juris-Dokument; VG Dresden, Beschluss vom 01.08.2007 - 3 K 1359/07 -, Juris- Dokument). Eine teleologische Auslegung der vorbezeichneten Vorschriften gebietet die Bildung einer solchen familiären Bedarfsgemeinschaft allerdings nur dann, wenn die begehrte Aufenthaltsverfestigung die fiskalischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Das ist dann der Fall, wenn die Aufenthaltsverfestigung des jeweiligen Antragstellers zugleich aufenthaltsrechtliche Wirkungen für dessen Familienangehörige hat. Demgegenüber sind die fiskalischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland dann nicht nachteilig betroffen, wenn der aufenthaltsrechtliche Status der Familienangehörigen - und damit auch deren Sozialhilfebezug - von der Rechtsstellung des die Aufenthaltsverfestigung begehrenden Ausländers unabhängig ist (im Ergebnis ebenso: Jakober/Welte, a.a.O., A 1.0.1, Aufenthaltsgesetz (Kommentar zu § 28) Rdnr. 78a; Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, a.a.O., II § 2 Rdnr. 50.1; ausdrücklich für den Fall einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 i. V. m. § 46 Nr. 6 AuslG 1990: BVerwG, Urteil vom 28.09.2004 - 1 C 10/03 -, BVerwGE 122, 94, und Eckertz-Höfer, Anmerkung zum Urteil vom 28.09.2004 - 1 C 10/03 -, in: jurisPR-BVerwG 5/2005 Anm. 3).

Nach dieser teleologischen Auslegung des § 28 Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Sozialhilfebezug der Klägerin und ihrer beiden Söhne nicht geeignet, die Versagung der von der Klägerin begehrten Niederlassungserlaubnis zu rechtfertigen. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass der Verdienst der Klägerin ausreichen würde, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern (bei einem Nettoverdienst von 885,95 Euro verbleiben nach Abzug des Freibetrags nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Höhe von 100 Euro und des auf sie entfallenden Teils der Kosten für Unterkunft und Heizung von 133,96 Euro der Klägerin für sich selbst 651,99 Euro und damit nahezu das Doppelte des Regelsatzes für Alleinstehende nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II). [...]