OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.07.2010 - 7 A 11230/09.OVG - asyl.net: M17536
https://www.asyl.net/rsdb/M17536
Leitsatz:

Rechtmäßigkeit einer Ausweisung nach Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen Drogendelikten.

1. Kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG, da der Kläger zwar als 14-Jähriger 1992 nach Deutschland einreiste. Er besitzt jedoch seit dem 24.2.2006 keine Aufenthaltserlaubnis mehr, sondern nur noch eine Fiktionsbescheinigung (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Notwendig ist der tatsächliche Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.

2. Die Gefahr der Begehung neuer vergleichbarer Straftaten ist zwar sehr gering, dem Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG liegt aber auch ein generalpräventiver Zweck zugrunde.

3. Nach Auffassung des Senats spricht einiges dafür, dass mit Blick auf Art. 8 EMRK die Abschiebung und freiwillige Ausreise der Ehefrau und minderjährigen Kinder aus Deutschland aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Die Ehefrau hat als ethnische Albanerin und Muslima aus dem Kosovo in Serbien erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten. Sie wird in der serbischen Öffentlichkeit weit verbreiteten Vorbehalten und Vorurteilen, wenn nicht sogar Anfeindungen, Belästigungen und Bedrohungen begegnen müssen, selbst gewalttätige Übergriffe durch serbische Nationalisten können nicht vollständig ausgeschlossen werden; auch entspricht die tatsächliche Situation der Minderheiten in Serbien noch nicht dem Stand der EMRK. In Zentralserbien ist die Situation zwar besser, doch ist dort die wirtschaftliche Lage (noch) schlechter als in Serbien allgemein. Eine Registrierung wird jedoch möglich sein.

Sofern die Ehefrau und die minderjährigen Kinder den Kläger nicht nach Serbien begleiten können und wollen, wurde dem aber dadurch Rechnung getragen, dass die Ausländerbehörde zugesagt hat, die Sperrwirkungen der Ausweisung auf zwei Jahre zu befristen und eine Vorabzustimmung zur Erteilung eines Visums für die Wiedereinreise zu erteilen.

Schlagwörter: Ausweisung, Serbien, rechtmäßiger Aufenthalt, Fiktionswirkung, Straftat, Drogendelikt, zwingende Ausweisung, Schutz von Ehe und Familie, Achtung des Familienlebens, Achtung des Privatlebens, Verhältnismäßigkeit, notwendig in einer demokratischen Gesellschaft, Bewährung, Generalpräventiver Zweck, Verwurzelung, faktischer Inländer, Integration, Zumutbarkeit, Sperrwirkung, Vorabzustimmung
Normen: AufenthG § 53 Nr. 2, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 6, EMRK Art. 8, AufenthG § 72 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 22. Februar 2008 in der Gestalt ihrer Ergänzung vom 2. Oktober 2008 so wie der Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 18.Dezember 2008 erweisen sich – zumindest mittlerweile – als im Ergebnis rechtmäßig.

Rechtsgrundlage der Ausweisung des Klägers ist § 53 Nr. 2 AufenthG. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil der Kläger vom Landgericht Zweibrücken wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden ist.

Ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG steht dem Kläger nicht zu. Er kann sich insbesondere nicht auf die Bestimmung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen, die voraussetzt, dass der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Zwar ist er als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist und hat sich hier auch über fünf Jahre rechtmäßig aufgehalten. Er besitzt jedoch seit 24. Februar 2006 keine Aufenthaltserlaubnis mehr. Notwendig ist der tatsächliche Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Es genügt nicht, dass eine Aufenthaltserlaubnis wegen eines – wie hier am 20. Februar 2006 – rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gilt (vgl. das Urteil des Senats vom 4. Dezember 2009 – 7 A 10881/09.OVG – InfAuslR 2010, 144 [145] und den Beschluss des Senats vom 2. Dezember 2008 – 7 B 11049/08.OVG – ESOVGRP, BayVGH, Beschluss vom 13. März 2006 – 24 ZB 05.3191 – juris sowie Armbruster in HTK-AuslR zu § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG m.w.N. [Stand: März 2008]; so zu § 26 Abs. 4 AufenthG auch das den Beteiligten bekannte Urteil des BVerwG vom 30. März 2010 – 1 C 6.09 – juris Rn. 21). Unabhängig davon hatte der Kläger am 20. Februar 2006 die Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz bereits begangen. Der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis stand also entgegen, dass die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht – mehr – erfüllt war. Nach alledem ist § 53 Nr. 2 AufenthG anzuwenden, der die Ausweisung des Klägers als zwingende Rechtsfolge vorsieht.

Allerdings stellt die Ausweisung des Klägers einen Eingriff in seine Grundrechte aus Art. 2 Abs.1 GG auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG auf Schutz seiner Ehe und Familie dar, der am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in das durch Art.8 EMRK gewährleistete Recht auf Schutz des Familienlebens und Achtung des Privatlebens gelten, sind auch hier heranzuziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 10. August 2007 – 2 BvR 535/06 – InfAuslR 2007, 443 [444] m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK, die auch als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dient (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 1. März 2004 – 2 BvR 1570/03 – NVwZ 2004, 852 [853]), sichert die Konvention Ausländern nicht das Recht zu, in ein bestimmtes Land einzureisen oder sich dort aufzuhalten, auch ist danach ein Staat berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Hoheitsgebiet und ihren Aufenthalt dort nach Maßgabe seiner vertraglichen Verpflichtungen zu regeln (vgl. EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006 – 46410/99 [Üner] – NVwZ 2007, 1279 [1280]). Zur Erfüllung ihrer Aufgabe, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, haben die Vertragsstaaten die Befugnis, einen strafrechtlich verurteilten Ausländer auszuweisen. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob ein Ausländer als Erwachsener oder in sehr jungen Jahren in das Gastland eingereist ist oder dort geboren wurde (vgl. EGMR, Urteile vom 28. Juni 2007 – 31753/02 [Kaya] – InfAuslR 2007, 325 f., vom 18. Oktober 2006, a.a.O., und vom 9. Oktober 2003 – 60654/00 [Slivenko] – EuGRZ 2006, 560). Allerdings muss die Entscheidung des Vertragsstaates, sofern sie in ein nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht eingreift, gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein (Art. 8 Abs. 2 EMRK), insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen (vgl. EGMR, Urteile vom 18. Oktober 2006, a.a.O., vom 26. September 1997 – 85/1996/704/896 [Mehemi] – InfAuslR 1997, 430 [432] und vom 26. März 1992 – 55/1990/246/31 [Beldjoudi] – EuGRZ 1993, 556).

Im Zusammenhang mit der Ausweisung von Straftätern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verschiedene Kriterien aufgezeigt, anhand derer geprüft werden muss, ob eine Ausweisung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist (vgl. hierzu nur EGMR, Urteile vom 6. Dezember 2007 – 69735/01 [Chair] – InfAuslR 2008, 111 [112], vom 28. Juni 2007, a.a.O., vom 18. Oktober 2006, a.a.O., und vom 2. August 2001 – 54273/00 [Boultif] – InfAuslR 2001, 476 [478]).

Maßgeblich ist danach

- die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat

- die Dauer des Aufenthalts im Land, aus dem der Ausländer ausgewiesen werden soll,

- die seit der Straftat vergangene Zeit ebenso wie das Verhalten des Ausländers seit der Tat,

- die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten,

- die familiäre Situation des Ausländers, wie die Dauer der Ehe und andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen,

- ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte,

- ob der Verbindung Kinder entstammen, und gegebenenfalls deren Alter,

- der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Ausländer ausgewiesen wurde,

- das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Ausländer ausgewiesen wurde, sowie

- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt sich die Ausweisung des Klägers auch unter Berücksichtigung seiner durch Art. 2 und 6 GG sowie Art. 8 EMRK geschützten Belange trotz seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet, trotz seines Verhaltens nach Begehung der Straftaten und trotz der Beziehung zu seiner Ehefrau und zu seinen Kindern nicht als unverhältnismäßig dar.

Der Kläger wurde wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Er hat diese Straftaten auch nicht etwa als Jugendlicher, sondern im Alter von 27 ½ Jahren begangenen. Die vom Kläger begangenen Drogendelikte zählen zu den besonders schwerwiegenden Straftaten, was auch in der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zum Ausdruck kommt, die lediglich "unter besonderer Berücksichtigung" der von ihm "geleisteten Aufklärungshilfe" – also nicht wegen eines im Zusammenhang mit seiner Schuld stehenden Umstandes – auf "nur" zwei Jahre und zehn Monate festgesetzt wurde. [...]

Was im Fall des Klägers das eben angesprochene spezialpräventive öffentliche Präventionsinteresse anbelangt, so ist zu sehen, dass er trotz einer ausländerrechtlichen Verwarnung im März 2003 wegen geringfügiger Vergehen nahezu "aus heiterem Himmel" im März 2005 mit dem Handel mit Amphetamin nur aus Gewinnstreben begonnen hatte. Auch ist die Begehung derart schwerwiegender Straftaten im allgemeinen Ausdruck einer erheblichen kriminellen Energie, aufgrund derer die erneute Begehung vergleichbarer Straftaten ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, so dass mit Blick auf die mit zunehmender Schwere der zu erwartenden Straftaten geringer werdenden Anforderungen an das Maß der Wiederholungswahrscheinlichkeit im Regelfall eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für erneute erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. März 1998 – 18 B 1718/96 – InfAuslR 1998, 393 [395]). Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger während seiner Inhaftierung bis zum 7. März 2008 "durchgängig beanstandungsfrei" verhalten hat, dass das Landgericht Zweibrücken die Strafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt hat, weil nach seiner Einschätzung "das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit" dadurch "nicht gefährdet" wurde, dass das Bewährungsverhalten des Klägers bislang nicht beanstandet worden ist und dass er – soweit ersichtlich – bislang nicht erneut straffällig wurde. Ferner hatte der Kläger den Handel mit Amphetamin schon Ende April 2005, also bereits etwa zwei Monate nach dessen Beginn und – anders als der Mitangeklagte – zudem schon ein Jahr vor seiner Festnahme am 26. April 2006 wieder eingestellt. Vor allem aber hat sich der Kläger – auch wenn allein die Geburt seines Sohnes A. sechs Wochen nach seiner Verhaftung keine "Zäsur" in seiner Lebensführung dargestellt haben dürfte, die in Anbetracht aller Umstände erwarten ließ, dass er bei legalisiertem Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 23. Januar 2006 – 2BvR 1935/05 – NVwZ 2006, 682 [683Rn.23]) – nach der Geburt A.s, mit dem und mit dessen Mutter er auch während seiner Inhaftierung regelmäßigen Kontakt hatte, dessen Mutter er alsbald nach seiner Freilassung geheiratet hat, mit der er und A. er inzwischen in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebt und die kürzlich die Tochter L. geboren hat, durch die nunmehr entstandenen familiären Bindungen und die damit zugleich übernommenen Verpflichtungen sichtlich stabilisiert und gefestigt. Nach alledem ist im Fall des Klägers nach Einschätzung des Senats jedenfalls mittlerweile von einer sehr geringen Gefahr der Begehung neuer vergleichbarer Straftaten auszugehen.

Indes liegt – wie oben ebenfalls bereits angesprochen – dem Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG auch ein generalpräventiver Gesetzeszweck zugrunde. § 53 Nr. 2AufenthG will durch die zwingende Ausweisung von Ausländern, die Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verübt haben, welche mit einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe geahndet wurden, andere Ausländer abschrecken, ebenfalls derartige Delikte zu begehen. Verfassungsrechtlich ist die Generalprävention grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 17. Januar 1979 – 1 BvR 241/77 – BVerfGE 50, 166 [175f.]). [...]

Die Ausweisung des Klägers allein aus generalpräventiven Gründen stellt sich auch nicht etwa wegen seiner Verwurzelung in Deutschland und seiner Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in Serbien als unverhältnismäßig dar.

Allerdings befindet er sich seit rund 18 ½ Jahren in Deutschland. Seine Integration in die hiesigen Verhältnisse war aber nicht sonderlich erfolgreich. [...]

Zudem unterscheidet sich trotz seines langen Aufenthalts in Deutschland seine Situation insofern von der eines Ausländers der so genannten zweiten Generation, als er erst im Alter von 14 ½ Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist, seine Kindheit und Jugend also ganz überwiegend in Serbien verbracht hat. Die entscheidende persönliche Prägung hat er dort erfahren, er beherrscht Serbisch in Wort und Schrift. Mit den Lebens- und Gesellschaftsverhältnissen in seinem Herkunftsland ist er deshalb in ausreichendem Maße vertraut. Dies ermöglicht es ihm, sich wieder in die serbische Gesellschaft einzugliedern, wenngleich die nach seinem langen Aufenthalt im Bundesgebiet von ihm hierbei zu bewältigenden Schwierigkeiten sicherlich nicht gering sein dürften, zumal wenn er in Serbien keine nahe Familienangehörige mehr haben sollte, wie er geltend macht. Jedoch kann ihn gegebenenfalls seine in Deutschland lebende Schwester zumindest anfangs in finanzieller Hinsicht erneut unterstützen, gleiches dürfte für seine in Belgien und Österreich lebenden Brüder gelten.

Eine Wiedereingliederung in Serbien ist dem Kläger auch dann möglich, wenn ihn seine Ehefrau und seine Kinder begleiten müssen oder wollen. Letztere erwarten allerdings erhebliche Schwierigkeiten in Serbien. Die Ehefrau des Klägers ist nämlich ethnische Albanerin aus dem Kosovo und spricht, da sie gerade siebenjährig nach Deutschland kam, nur ihre Muttersprache Albanisch und inzwischen auch gut Deutsch, aber nicht oder doch kaum Serbisch. Sie wird deshalb erst Serbisch lernen müssen. [...]

Indes verpflichtet die in Art.6 Abs.1 i.V.m. Abs.2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei einer Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen, die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse des 2. Senats vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – BVerfGE 76, 1 [49 ff.] und vom 18. April 1989 – 2 BvR 1169/84 – BVerfGE 80, 81 [93]). Auch gewichtige familiäre Belange setzen sich jedoch nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch. Wenn die Straftat besonders schwer wiegt, kann sogar die Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und mit ihr ein eheliches Kind hat, denen ein Verlassen Deutschlands zusammen mit dem Ausländer grundsätzlich nicht zuzumuten ist, allein aufgrund generalpräventiver Erwägungen mit Blick auf Art. 6 GG zulässig sein (vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 18. Juli 1979, a.a.O. S. 397ff.). Dies gilt auch wegen des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG), bei dem die familiären Belange des Ausländers – ebenfalls – angemessen zu würdigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 – InfAuslR 2006, 320 [322] m.w.N.).

Nun sind die Ehefrau und die Kinder des Klägers keine deutschen Staatsangehörigen. Gleichwohl spricht nach Auffassung des Senats einiges dafür, dass mit Blick auf Art. 8 EMRK die Abschiebung der Ehefrau des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich ist und dass damit zugleich auch ihre freiwillige Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich ist (vgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 [197] = InfAuslR 2007, 4 [6]) und auch ihr deshalb nicht zugemutet werden kann.

Der Senat teilt nicht die im Bescheid der gemeinsamen Ausländerbehörde des Saarlandes vom 22. Juli 2010 vertretene Auffassung, dass eine Aufenthaltsbeendigung "nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das Privatleben im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK" darstellt, "wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über derart 'starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte' zum Aufnahmestaat verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung 'faktisch zu einem Inländer' geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann". Vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK insoweit zum einen maßgeblich zu berücksichtigen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung in die hiesigen Lebensverhältnisse verwurzelt ist. Zum zweiten ist maßgeblich, welche Schwierigkeiten für den Ausländer – wiederum unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung – mit einer (Re-)Integration in das Land seiner Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit konkret verbunden sind. Zum dritten ist maßgeblich zu berücksichtigen, welches öffentliche Interesse an dem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK besteht (vgl. zu alledem ausführlich den Beschluss des Senats vom 6. März 2009 – 7 B 10028/09.OVG – ESOVGRP). Weder ist mithin Voraussetzung für einen mit Art. 8 EMRK nicht vereinbaren Eingriff in das Privatleben eines Ausländers, dass dieser wie ein Inländer in die hiesigen Lebensverhältnisse verwurzelt ist, noch ist ein solcher unverhältnismäßiger Eingriff stets dann ausgeschlossen, wenn sich der Ausländer (wieder) in die Verhältnisse des Staates seiner Staatsangehörigkeit einfinden könnte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat es in seinem Urteil vom 16. Juni 2005 – 60654/00 [Sisojewa I] – InfAuslR 2005, 349 [350] angesichts des sonstigen Umstände des zugrundeliegenden Falles ausreichen lassen, dass die Beschwerdeführer "in Lettland in die lettische Gesellschaft integriert sind. Zwar sind der Zweitbeschwerdeführer und Drittbeschwerdeführer russischer Nationalität und verfügen über einen in Russland registrierten Wohnsitz, jedoch scheint keiner der drei Beschwerdeführer dort ähnlich starke Bindungen wie zu Lettland aufzuweisen." Auch kommt zufolge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 1998 – 1 C 8.96 – NVwZ 1999, 303 [305] ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK lediglich "etwa" dann in Betracht, wenn ein Ausländer in einem anderen Staat aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden ist und ihm wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug hat, nicht zugemutet werden kann. [...]

Sofern deshalb im Rahmen der bereits anhängigen Untätigkeitsklage oder in einem künftigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes festgestellt werden sollte, dass eine Beendigung des Aufenthaltes der Ehefrau des Klägers im Bundesgebiet mit Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren sein sollte, diese also – zusammen mit ihren Kindern – im Bundesgebiet verbleiben dürfte, so würde sich die Ausweisung des Klägers jedoch gleichwohl nicht – mehr – als unverhältnismäßig erweisen, obwohl dann – wegen des nur noch generalpräventiven Zwecks seiner Ausweisung – mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG von einem grundsätzlichen Übergewicht seines verfassungsrechtlich abgesicherten Interesses am Erhalt seines ehelichen und familiären Zusammenlebens gegenüber dem Abschreckungsinteresse auszugehen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 18. Juli 1979, a.a.O. S.397).Denn die von ihm konkret begangenen Straftaten wiegen – wie oben bereits aufgezeigt – besonders schwer, so dass deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, sie über die strafrechtliche Sanktion hinaus zum Anlass für eine Ausweisung zu nehmen, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuschrecken. Unter diesen Umständen ist indes auch nur aus generalpräventiven Erwägungen dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein stärkeres Gewicht beizumessen als dem Schutz von Familie und Elternrecht (vgl. nur BVerfG, Beschlüsse des 2. Senats vom 6. April 1984 – 2 BvR 389/84 – EuGRZ 1984, 445 und der 2. Kammer des 2. Senats vom 22. August 2000 – 2 BvR 1363/00 – juris Rn. 3 sowie BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1997 – 1 B 123/97 – Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 15).

Allerdings würde der Kläger nicht nur von seiner Ehefrau, sondern auch von seinen Kindern getrennt werden, die erst vier Jahre bzw. erst knapp sieben Wochen alt sind. Gerade bei kleinen Kindern schreitet die Entwicklung aber sehr schnell voran, so dass auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 – InfAuslR 2000, 67 [69]). Dem wurde jedoch zwischenzeitlich dadurch Rechnung getragen, dass die hierfür zuständige zentrale Ausländerbehörde des Saarlandes zugesagt hat, sie werde, sofern gerichtlich festgestellt werden sollte, dass eine Beendigung des Aufenthaltes der Ehefrau des Klägers im Bundesgebiet mit Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren ist, die Sperrwirkungen der Ausweisung des Klägers im herzustellenden Einvernehmen mit der Beklagten auf zwei Jahre nach seiner Ausreise befristen und eine Vorabzustimmung zur Erteilung eines Visums an den Kläger für die Wiedereinreise erteilen, und dass sich die Beklagte gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 AufenthG mit einer solchen Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers für den Fall, dass dieser nicht erneut straffällig werde, ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Dadurch ist sichergestellt, dass der Kläger im Falle des Verbleibens seiner Ehefrau – und damit auch seiner Kinder – im Bundesgebiet zum Schutz ihres Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK zwei Jahre nach dem Verlassen des Bundesgebietes zu jenen zurückkehren kann, und den gemäß Art. 6 GG geschützten Belangen des Klägers ausreichend Rechnung getragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse des 1. Senats vom 18. Juli 1979, a.a.O. S. 401, und der 2. Kammer des 2. Senats vom 22. August 2000, a.a.O. Rn. 3).

Der Senat verkennt nicht, dass die Ausweisung des Klägers weitreichende Folgen für seine Bindungen im Bundesgebiet nach der langen Dauer seines Aufenthalts hier hat, erhebliche Schwierigkeiten bei seiner Wiedereingliederung in Serbien mit sich bringt, insbesondere falls ihn seine Ehefrau und seine Kinder begleiten müssen oder wollen, und andernfalls eine immerhin zweijährige Trennung von ihnen bedeutet. Unter Berücksichtigung von Art und Schwere der von ihm konkret begangenen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz erweist sich gleichwohl seine Ausweisung auch lediglich aus generalpräventiven Gründen nicht als unverhältnismäßig. [...]