OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.08.2010 - 12 N 98.09 - asyl.net: M17529
https://www.asyl.net/rsdb/M17529
Leitsatz:

Ein Visum für den Besuch eines deutschen Kindes ist nicht zwingend zu erteilen. Entscheidend ist im Einzelfall die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern und es ist auch mit Blick auf die Rückkehrbereitschaft die wirtschaftliche, soziale und familiäre Verwurzelung im Heimatstaat zu berücksichtigen.

Schlagwörter: Visum, Besuchsvisum, Schengen-Visum, Visumsverfahren, Familienzusammenführung, gemeinsames Sorgerecht, deutsches Kind, Eltern-Kind-Verhältnis, Rückkehrbereitschaft, Ermessen
Normen: AufenthG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, BGB § 1626, GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ebenso kann dahinstehen, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthaltsG und die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für ein Schengen-Visum gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorliegen. Denn das Verwaltungsgericht hat die Klage selbständig tragend mit der weiteren Begründung abgewiesen, dass die Versagung des Besuchsvisums auch dann rechtmäßig gewesen sei, wenn alle Erteilungsvoraussetzungen erfüllt wären, weil die Beklagte das ihr nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die von der Beklagten insoweit vorgenommene Abwägung – auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG und den ergänzenden Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 114 Satz 2 VwGO) – im Ergebnis nicht beanstandet und insbesondere keine Gründe für eine sog. Ermessensreduzierung auf Null feststellen können. Das stellt der Zulassungsantrag vor dem rechtlichen Hintergrund, dass der Beklagten bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG grundsätzlich ein weites Ermessen zusteht, nicht mit Erfolg in Frage.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang zunächst vorträgt, das Verwaltungsgericht habe in seinem Urteil völlig übersehen, dass ihm zusammen mit der Kindesmutter nach § 1626 BGB die elterliche Sorge und damit ein zwingendes Recht zustehe, sein Kind zur Ausübung der Sorge zu sehen, folgen daraus keine ernstlichen Richtigkeitszweifel. Unabhängig davon, dass die Kammer die elterliche Sorge nicht übersehen, sondern diesem Gesichtspunkt keine maßgebliche Bedeutung beigemessen hat, weil aus Art. 6 Abs. 1 GG unmittelbar kein Anspruch auf Familiennachzug folge, führt die Berufung des Klägers auf seine elterliche Sorge auch im Rahmen des angestrebten Besuchsvisums zu keiner Änderung des Normcharakters: § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufentG bleibt eine Ermessensvorschrift, so dass es - anders als der Kläger offenbar meint - bei der Abwägung mit seinen berechtigten Interessen an einem Besuch seines Sohnes mit Blick auf seine Rückkehrbereitschaft durchaus auf seine wirtschaftliche, soziale und familiäre Verwurzelung in der Türkei ankommt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung daher angenommen, dass der Besuch eines deutschen Kindes allein das Ermessen noch nicht reduziert. Denn Art. 6 Abs. 1 GG entfaltet seine ausländerrechtlichen Schutzwirkungen nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr im Einzelfall die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, Kammerbeschluss v. 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - juris, Rn. 17 f. m.w.N.). Hierzu verhält sich der Zulassungsantrag nicht.

Es bleibt vielmehr offen, wie sich die Beziehung des Klägers zu seinem im Februar 2004 geborenen Sohn nach der Ausweisung im August 2004 entwickelt hat. Ob der Kläger überhaupt Kontakt zu seinem Sohn aufgenommen hat und - wenn ja - seit wann, in welcher Form und Regelmäßigkeit, ist nicht vorgetragen. Die wiederholte pauschale Berufung auf die abstrakte elterliche Sorge ersetzt insoweit nicht die geforderte Darlegung der tatsächlichen familiären Verbundenheit. Die ebenfalls sorgeberechtigte Mutter des Kindes hat sich zu dem Besuch nicht geäußert; der Kläger hat sich auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts dagegen ausgesprochen, sie in dem gerichtlichen Verfahren zu hören. Da der Kläger zu der Kindesmutter offenbar keinen Kontakt hat, ist für die Annahme einer tatsächlichen familiären Verbundenheit zu seinem 6-jährigen Sohn nicht einmal hinreichend substantiiert dargetan, wo die Besuche überhaupt stattfinden sollen. Ausführungen dazu hätten im Zulassungsantrag schon deshalb nahegelegen, weil der Kläger als einladende Person Herrn S. angegeben hat, ohne auf dessen Verhältnis zu ihm und dem Kind einzugehen.

Vor diesem Hintergrund ist es unter Berücksichtigung des der Beklagten eingeräumten weiten Ermessens nicht zu beanstanden, dass die Abwägung angesichts der widersprüchlichen und teils fehlerhaften Angaben des Klägers im Visumsverfahren, dem nicht nachgewiesenen Einkommen als "Geschäftsführer" der Firma seines Vaters sowie der kaum verständlichen deutschen Fassung seiner eingereichten Vermögensaufstellung zu Lasten des Klägers ausgefallen ist. Dabei durfte die Beklagte zumindest als Indiz für ihre Zweifel an der Rückkehrbereitschaft ermessensfehlerfrei auch den Voraufenthalt des Klägers in Deutschland wertend berücksichtigen und den Schluss ziehen, dass jedenfalls damals der Wunsch nach einem Daueraufenthalt bestanden habe. Dass sich seither die familiären Bindungen und damit die familiäre Verwurzelung des Klägers in der Türkei grundlegend geändert haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch der Zulassungsantrag enthält dazu keine weiteren Ausführungen. Dem seinerzeit angestrebten Daueraufenthalt standen aber aus Sicht des Klägers – wie das Verwaltungsgericht zu Recht betont – die schon damals in der Türkei lebenden Angehörigen nicht entgegen. [...]