VG Schwerin

Merkliste
Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 08.01.2008 - 5 A 763/07 As - asyl.net: M17514
https://www.asyl.net/rsdb/M17514
Leitsatz:

Gegen die Gefahr einer Genitalverstümmelung kann in Togo staatlicher Schutz bzw. eine inländische Fluchtalternative in Anspruch genommen werden.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Togo, politische Verfolgung, Genitalverstümmelung, interne Fluchtalternative, interner Schutz, staatlicher Schutz, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Änderung der Sachlage, Wegfall der Umstände,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 73, AsylVfG § 73 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Bescheid vom 6. Juni 2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die mit Bescheid vom 30. Oktober 2003 getroffene Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) widerrufen. [...]

Die für eine Widerrufsentscheidung zu fordernde nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Vergleich zu denjenigen zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung ist im vorliegenden Fall festzustellen. Auf sich beruhen kann insoweit, ob der Klägerin zeitweilig aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit bei einer Rückkehr in ihr Heimatland politische Verfolgung gedroht hat. Die Klägerin ist jedenfalls vor einer erneuten und damit gleichartigen Verfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104,97) aufgrund der genannten Umstände zum heutigen Zeitpunkt hinreichend sicher. [...]

Aufgrund dieser Erkenntnislage geht das Gericht davon aus, dass die erforderliche nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse vorliegt und folgt ausdrücklich nicht der anderslautenden Auffassung des Verwaltungsgerichts Osnabrück in dem von der Klägerin vorgelegten Urteil vom 20. November 2007 (Az. 5 A 209/07). Zwar ist es richtig, dass seit dem Zeitpunkt der Änderung der politischen Lage in Togo, dem Beginn der Dialogs zwischen Regierung und Opposition im April 2006, erst ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum verstrichen ist. Allerdings sind die tatsächlichen Veränderungen innerhalb des Regimes so grundlegend, dass eine Rückkehr zu den früheren undemokratischen und diktatorischen Gegebenheiten derzeit nicht zu erwarten ist. So waren - bis auf die UFC, die allerdings den Demokratisierungsprozess unterstützte - alle wichtigen Oppositionsparteien in der Regierung der nationalen Einheit vertreten. Der im Wesentlichen reibungslose Ablauf der Parlamentswahlen vom 14. Oktober 2007, die nach Einschätzung internationaler Beobachter frei und fair waren, bestätigt den fortdauernden Demokratisierungsprozess. Über Unruhen oder gewalttätige Auseinandersetzungen im Vorfeld oder nach den Wahlen - von anfänglichen Protesten der UFC gegen das Wahlergebnis abgesehen - ist bislang nichts bekannt geworden. Fälle von Verfolgung Oppositioneller sind nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes seit Beginn des politischen Dialogs ebenso wenig zu verzeichnen gewesen wie Verstöße gegen die Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs- und Pressefreiheit. Soweit es nach Presseberichten im November 2006 zu Übergriffen mehrerer Brüder des derzeitigen Präsidenten Faure Gnassingbé auf Journalisten gekommen sei, handelt es sich um Einzelfälle, die nicht geeignet sind, die grundlegende Verbesserung der politischen Lage in Togo in Frage zu stellen. Dies gilt auch im Hinblick auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. September 2007 ("Togo: Desertion eines Berufssoldaten"), wonach das Militär nach Auskunft eines Mitarbeiters eines deutschen Hilfswerks in Togo praktisch einen rechtsfreien Raum darstelle, von dem derzeit die massivsten Bedrohungen für einen sehr zögerlichen Prozess der Demokratisierung ausgehe. Selbst wenn diese Auskunft zutreffen würde, hätte dies für die Situation der Klägerin bereits deshalb keine Auswirkungen, da sie dem Militär nie angehört hat und nicht erkennbar ist, wieso ihr von dieser Seite Gefahr drohen könnte. Im übrigen ist den sonst vorliegenden Quellen nicht zu entnehmen, dass der Demokratisierungsprozess in Togo von der Armee aktuell gefährdet ist. Dieser ist vielmehr infolge der Parlamentswahlen vom 14. Oktober 2007 - wie bereits festgestellt - weiter gestärkt worden. Dies gilt umso mehr, als der frühere Verteidigungsminister und stärkste politische Rivale des Präsidenten, sein Bruder Kpatcha Gnassingbé, der neuen Regierung nicht mehr angehört.

II. Der Klägerin droht im übrigen auch nicht aus anderen Gründen politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG (vgl. zur erneuten Verfolgung BVerwG, Urt, v. 01.11.2005 a.a.O.). Zur Vermeidung von Wiederholungen kann hierzu gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffenden Gründe in dem Bescheid vom 6. Juni 2007 verwiesen werden.

Soweit die Klägerin sich im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens darauf berufen hat, sie könne deshalb nicht nach Togo zurückkehren, weil ihren beiden in Deutschland geborenen Töchtern dort eine Genitalverstümmelung drohe, vermag dies ihrem Begehren ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen, Dies gilt bereits deshalb, weil die Töchter der Klägerin nicht Beteiligte in diesem Verfahren sind und die Klägerin hier somit nur eine eigene Verfolgung geltend machen kann. Im übrigen wäre die Klägerin einer ihren Töchtern drohenden Genitalverstümmelung in ihrem Heimatland auch nicht schutzlos ausgesetzt.

So hat der togoische Staat nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (vgl. Auskunft v. 15.06.2005 an das VG Hamburg) bereits vor Jahren ein Gesetz erlassen, das u. a. Beschneidungen aller Art unter Strafe stellt. Es seien Haftstrafen zwischen zwei Monaten und fünf Jahren vorgesehen. Die Regierung führe Aufklärungskampagnen durch und auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen (ONG) arbeiteten mit internationaler Unterstützung in dem Bereich, um betroffene Frauen einerseits über ihre Rechte aufzuklären, den dieses Ritual initierenden Müttern und Tanten die mit der Beschneidung verbundenen Risiken und Schäden darzustellen und andererseits den Beschneiderinnen alternative Berufsmöglichkeiten durch Umschulung anzubieten. Bestimmte Ethnien praktizierten - trotz gesetzlicher Strafbestimmungen - immer noch Beschneidungen, insbesondere in ländlichen Gegenden. Dort sei nicht auszuschließen, dass die sich wehrenden Frauen gesellschaftlichem Druck ausgesetzt seien. Die Missachtung des Gesetzes werde dort insbesondere durch die Beschneiderinnen, aber auch durch die Polizei in Kauf genommen. Bei einer Rückkehr nach Lomé ohne familiären Rückhalt, d.h. ohne Wiedereingliederung in die alte Familie, sei die Gefahr des familiären Drucks nach bisherigen Erkenntnissen aber auszuschließen. Da Frauen traditionell selbst für ihren Unterhalt sorgten, bestünde für Frauen, die nach Togo zurückkehrten, ausreichend Ausweichmöglichkeiten, um der unerwünschten Beschneidung zu entgehen. Im Süden des Landes seien Beschneidungen auch traditionell verboten. Sie würden durch den dort vertretenen Animismus als Entweihung der Frau angesehen, der die Rache der Göttin nach sich ziehe. Beschneidungen würden somit dort nicht durchgesetzt.

Nach dieser Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass die Klägerin gegenüber einer ihren Töchtern drohenden Genitalverstümmelung - sofern dies tatsächlich der Fall sein sollte - staatlichen oder anderweitigen Schutz in Anspruch nehmen könnte bzw. in der Lage wäre, sich einem entsprechenden Druck zu entziehen, in dem sie nicht in ihren Familienverband zurückkehrt. [...]