LG Saarbrücken

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Zitieren als:
LG Saarbrücken, Beschluss vom 27.08.2010 - 5 T 85/10 - asyl.net: M17502
https://www.asyl.net/rsdb/M17502
Leitsatz:

Die Haftanordnung gegenüber einem Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat, zum Zwecke der Zurückschiebung nach Griechenland nach der Dublin II-VO wird unzulässig, wenn der betroffene Ausländer einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt hat.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Zurückschiebungshaft, Zurückschiebung, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, Bundespolizei, Asylgesuch, Asylantrag, Haftgründe, unerlaubte Einreise, vollziehbar ausreisepflichtig, vorläufiger Rechtsschutz, Verwaltungsgericht, Beschwerde, Entziehungsabsicht, sichere Drittstaaten, Aufenthaltsgestattung
Normen: FamFG § 417, AufenthG § 71 Abs. 3 Nr. 1, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 58 Abs. 2 Nr. 1, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, AsylVfG § 26a, AsylVfG § 29a Abs. 2, AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 3, AsylVfG § 13, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist insoweit begründet, als auf den Fortsetzungsfeststellungsantrag des Betroffenen auszusprechen war, dass die gegen den Betroffenen verhängte Zurückschiebungshaft ab dem 12.02.2010 rechtswidrig gewesen ist.

1. Die Anordnung der Zurückschiebungshaft auf den Antrag der Bundespolizei (vgl. § 417 FamFG), die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständig ist und der nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz die Zurückweisung und Zurückschiebung von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung der Haft übertragen ist (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 616, 617), war ursprünglich begründet.

Es lag ein Haftgrund gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz vor. Der Betroffene war aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).

Des Weiteren war auch der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz wegen des begründeten Verdachts, dass der Betroffene sich der Zurückschiebung nach Griechenland entziehen werde, aufgrund seiner unerlaubten Einreise und seines bei seiner Vernehmung durch die Bundespolizei gestellten Asylgesuchs begründet.

2. Dass der Betroffene gegenüber den Beamten der Bundespolizei bei seiner Festnahme um Asyl nachgesucht hat, stand der Anordnung der Zurückschiebungshaft nicht entgegen.

Bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) - im vorliegenden Fall aus Griechenland (vgl. § 29 a Abs. 2 AsylVfG) - wird die Aufenthaltsgestattung nicht schon mit dem Asylersuchen gegenüber der Grenz- oder Ausländerbehörde, sondern nach § 55 Abs. 1 S. 3 Asylverfahrensgesetz erst mit der Stellung eines Asylantrages nach §§ 13, 14 Asylverfahrensgesetz bei dem zuständigen Bundesamt erworben (vgl. BGHZ 153, 18, 20; BGH NVwZ 2010, 726 - 728, juris Rdnr. 20).

3. Der Anordnung der Zurückschiebungshaft stand nicht entgegen, dass beabsichtigt war, den Betroffenen nach Griechenland zurückzuschieben. Zwar liegen ernsthafte Anhaltspunkte dafür vor, dass Griechenland die europarechtlichen Mindestnormen für die Anerkennung und den Status der Bewerber um internationalen Schutz nach der Richtlinie 2004/82/EG des Rates vom 29.04.2004 (Amtsblatt L 304/12) und für das Verfahren nach der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2004 (Amtsblatt L 326/13) nicht einhält (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659; OVG Münster NVwZ 2009, 1571). Allerdings ist bei der Haftanordnung zu berücksichtigen, dass für die Überprüfung der Zulässigkeit der Zurückschiebung die Verwaltungsgerichte zuständig sind und der Haftrichter grundsätzlich nicht befugt ist, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu befinden (vgl. BGHZ 78, 145, 147; BGHZ 98, 109, 112; BGH NVwZ 2010, 726 - 728, juris Rdnr. 23).

Jedoch wird die Haftanordnung gegenüber einem Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat, zum Zwecke seiner Zurückschiebung nach Griechenland nach der Dublin II-Verordnung nach § 62 Abs. 2 S. 4 Aufenthaltsgesetz unzulässig, wenn der betroffene Ausländer einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte gestellt hat (vgl. BGH NVwZ 2010, 726 - 728, juris Rdnr. 27). Solange in derartigen Fällen durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. § 32 Abs. 1 BVerfGG) oder durch die Verwaltungsgerichte (vgl. §§ 80, 123 VwGO) Anordnungen zur Aussetzung des Vollzugs der Abschiebung oder Zurückschiebung ergehen, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass eine Abschiebung nach Griechenland nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

Dieses von dem Haftrichter zu beachtende Zurückschiebungshindernis, das einem alsbaldigen Vollzug des Zurückschiebungsbescheides entgegen steht, entsteht erst, wenn der Antrag auf Eilrechtsschutz bei dem zuständigen Verwaltungsgericht gestellt ist (vgl. BGH a.a.O., juris Rdnr. 29).

Wenn der betroffene Ausländer kein Rechtsmittel gegen seine Abschiebung einlegt, hat der Haftrichter davon auszugehen, dass die zuständige Behörde die Zurückschiebung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat der EU so schnell wie möglich vollziehen wird (vgl. BGH a.a.O. juris Rdnr. 30).

Da im vorliegenden Fall der auf § 123 VwGO gestützte Eilantrag des Betroffenen am 12.02.2010 beim zuständigen Verwaltungsgericht in Saarlouis eingegangen ist, war die Fortsetzung der Zurückschiebungshaft gegen den Betroffenen ab diesem Tag rechtswidrig und damit unzulässig. Der Betroffenen wird insoweit durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt (§ 62 Abs. 1 FamFG). [...]