VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 07.02.2008 - M 2 K 06.50602 - asyl.net: M17490
https://www.asyl.net/rsdb/M17490
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsvervot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für Angehörige der Roma-Minderheit aus dem Kosovo hinsichtlich Serbien nach Flucht vor Zwangsehe wegen schwerer PTBS.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Serbien, Roma, alleinstehende Frauen, Zwangsehe, geschlechtsspezifische Verfolgung, Posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2008 (nur noch) beantragt hat, den Bescheid des Bundesamts in Ziff. 3 aufzuheben und die Beklagte zur Feststellung zu verpflichten, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist die Klage zulässig und begründet.

Aufgrund der schweren psychischen Probleme der Klägerin ist die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die befürchtete Verschlimmerung einer Krankheit kann die Voraussetzung einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten begründen, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Dies setzt voraus, dass eine vorhandene Erkrankung der Klägerin bei ihrer Rückkehr in den Kosovo aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer individuellen, erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt.

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin gegeben.

Die Klägerin, welche von ihren Eltern zwangsverheiratet werden sollte und in dessen Folge ihr Elternhaus verließ und sich auf eigene Faust zwei Jahre lang im Kosovo durchschlug, leidet an erheblichen psychischen Problemen. Aufgrund der erlittenen Vergewaltigungen ist bei ihr eine extreme posttraumatische Belastungsstörung mit generalisierten Angststörungen festzustellen. Dies wird durch die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Atteste belegt.

Zwar sind sowohl im Kosovo als auch in der Republik Serbien posttraumatische Belastungsstörungen sowie psychische Probleme grundsätzlich behandelbar (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (Kosovo) vom 29.11.2007 sowie bezüglich Serbien vom 23.4.2007). Dennoch kann der Klägerin die Rückkehr in den Kosovo bzw. nach Serbien derzeit nicht zugemutet werden. Aufgrund der Befundberichte vom 26. Februar 2007 der Fachärztin ... vom 27. Februar 2007 des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Dr. ..., den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks, den sie dabei gemacht hat, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin schwer traumatisiert ist und dass die erhebliche konkrete Gefahr besteht, dass sich ihr Gesundheitszustand nach einer Rückkehr in den Kosovo in existenzbedrohender Weise verschlechtern würde.

Denn die erforderliche psychotherapeutische Behandlung der Klägerin kann in diesem speziellen Fall nicht im Kosovo bzw. in Serbien erfolgversprechchend durchgeführt werden. Die Klägerin, die völlig aus dem Familienverband herausgerissen ist, kann bei einer Rückkehr eine erfolgreiche Therapie nicht durchführen, da sie völlig auf sich allein gestellt ist. Dagegen ist die Klägerin nach ihrer Aufnahme bei einer Gastfamilie im Bundesgebiet in dieser Familie integriert und gefestigt, so dass die durchzuführende Behandlung Erfolg verspricht. Das Erfordernis einer Bezugsperson für eine erfolgreiche Therapie wird auch in den ärztlichen Attesten als positiv gewertet. Schließlich bemüht sich die Klägerin, die nach eigenen Angaben nur Roma spricht und in Serbien (Kosovo) eine Therapie wohl nur mit einem Dolmetscher durchführen könnte, intensiv deutsch zu lernen, um so in absehbarer Zeit die erforderliche Therapie ohne Sprachmittler durchführen zu können.

Da die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet wurde, ist die im Bescheid in Ziff. 4 enthaltene Abschiebungsandrohung nach Serbien und Montenegro rechtswidrig und daher aufzuheben (BVerwG v. 11.9.2007, Az. 10 C 8.07). [...]