VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.03.2006 - 9a K 4180/05.A - asyl.net: M17486
https://www.asyl.net/rsdb/M17486
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender Genitalverstümmelung.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Kamerun, Genitalverstümmelung, geschlechtsspezifische Verfolgung, politische Verfolgung, interne Fluchtalternative, Schutzfähigkeit,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

In Anwendung dieser Maßstäbe steht aufgrund der mündlichen Verhandlung sowie nach Würdigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse sachverständiger Organisationen und Stellen zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Klägerin bei einer Verbringung nach Kamerun politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Der Klägerin drohen bei der Abschiebung nach Kamerun erhebliche Rechtsverletzungen in Form der Verstümmelung ihrer Genitalien. Sie hat glaubhaft vorgetragen, dass sie aus einem Dorf stamme, in dem Frauen kurz vor ihrer Hochzeit beschnitten würden. Ihr Vater, dem die Traditionen sehr wichtig seien, unterstütze dies. Kurz vor ihrer Beschneidung, die für den 29. März 2005 geplant gewesen sei, sei sie geflohen. Dabei hätten ihr ihr Biologielehrer, der sich in der Vergangenheit öffentlich gegen die Tradition der Beschneidung der weiblichen Genitalien gewandt habe, sowie eine in Yaounde lebende Tante geholfen. [...]

Die die Genitalverstümmelung betreffenden Aussagen der Klägerin stehen in Einklang mit den dem Gericht vorliegenden - in wesentlichen Punkten einheitlichen - Erkenntnissen zur diesbezüglichen Lage in Kamerun. Zwar werden nur von wenigen kamerunischen Stämmen Beschneidungen der weiblichen Genitalien durchgeführt, diese Tradition ist jedoch insbesondere bei muslimischen Volksgruppen im Norden des Landes verbreitet (Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 26. Februar 2001 an das Verwaltungsgericht (VG) Aachen und vom 26. September 2002 an das VG Potsdam; Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 12. August 1998 an das VG Gera).

Die Klägerin stammt aus dem Norden Kameruns (aus einem Dorf in der Nähe von Garoua). Ihr Vater ist muslimischen Glaubens. [...]

Der Klägerin ist es nicht möglich, sich in Kamerun mit Erfolg gegen die drohende Beschneidung zu stellen. Denn die Beschneidung ist ein Ritual, das als Angelegenheit der Gemeinschaft oder der Großfamilie angesehen wird und - zumal wenn der Vater die Beschneidung befürwortet- nicht der Verfügungsgewalt der Betroffenen unterliegt. Die Genitalverstümmelung wird in Kamerun oftmals gegen den Willen der betroffenen Frauen und Mädchen vorgenommen.

Die der Klägerin durch die Beschneidung drohende Rechtsgutverletzung überschreitet auch die asylerhebliche Intensitätsschwelle. Es handelt sich bei dieser um einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität der betroffenen Frauen und Mädchen, der bleibende körperliche und psychische Schäden zur Folge hat und der infolge der in der Regel unfachmännischen Durchführung sowie unzureichendener hygienischer Bedingungen nicht selten zum Tod der Betroffenen führt (Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 22. Dezember 2004, Bl. 68 der Gerichtsakte; Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Informationsschrift zum Thema "Weibliche Genital-Verstümmelung" von November 2000).

Die der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Genitalverstümmelung stellt auch eine politische Verfolgung dar. Zunächst trifft sie die Klägerin in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal. [...]

Der asylerhebliche Anknüpfungspunkt für die der Klägerin drohende Genitalverstümmelung ist ihre Zugehörigkeit zu der Gruppe der Frauen und Mädchen, also das unverfügbare Merkmal des weiblichen Geschlechts. Dieses Merkmal umfasst unter anderem auch das vorliegend betroffene Recht der Klägerin, über vollständig erhaltene, unversehrte Geschlechtsorgane zu verfügen.

Ob es für das Vorliegen eines asylerheblichen Anknüpfungspunktes weiter voraussetzt, dass die betroffene Asylbewerberin sich weigert, der Beschneidung unterzogen zu werden (vgl. hierzu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21. Juli 2004 - 10a K 5337/01.A - VG Aachen, Urteil vom 12. August 2003 - 2 K 1924/00.A -, Seite 9 des Urteilabdrucks; VG Freiburg, Urteil vom 05.02.2004 - A 2 K 10475/00 -, Seite 8 des Urteilabdrucks), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn eine an ein asylerhebliches Kriterium anknüpfende Verfolgung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Betroffene - wie hier die Klägerin - mit der Beschneidung nicht einverstanden ist.

Weiterhin stellt die drohende - an das weibliche Geschlecht der Klägerin anknüpfende - Genitalverstümmelung eine politische Verfolgung dar, durch die die Klägerin aus der staatlichen Friedensordnung ausgegrenzt wird (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21. Juli 2004 - 10a K 5337/01.A -, VG Berlin, Urteil vom 3. September 2003 - VG 1 X 23.03 -; VG Frankfurt, Urteil vom 29. August 2001 - 3 E 30495/98.A (2) -; VG Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 20. Juni 1996 -1 A 185/95 -, NVwZ-Beilage 1998, 18, 19; VG Wiesbaden, Urteil vom 27. Januar 2000 - 5 E 31472/98.A (2) -; VG Freiburg, Urteil vom 5. Februar 2004 - A 2 K 1075/00 -; VG München, Urteil vom 2.12.1998 - M 21 K 97.53552 -, NVwZ-Beilage I 1999, 74).

Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen steht, also - etwa im Unterschied zu einer privaten Verfolgung - einen öffentlichen Bezug hat, und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, a.a.O.).

Dabei ist die Frage, ob eine ausgrenzende Zielrichtung der Verfolgung vorliegt, allein anhand des objektiven Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die die Verfolgenden leiten (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, a.a.O.).

Bei dieser objektiven Beurteilung ist nicht auf die in dem Herkunftsland herrschenden Verhältnisse abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr die dem Grundgesetz zugrundeliegende Werteordnung, wie sie insbesondere in den Grundrechten ihren Ausdruck findet.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat die der Klägerin drohende Genitalverstümmelung einen öffentliche Bezug. Denn die Beschneidung erfolgt vorrangig, um den - die Rolle der Frau betreffenden, der Werteordnung des Grundgesetzes, das von der Gleichheit aller Menschen ausgeht, entgegenstehenden - herrschenden Gesellschaftsvorstellungen bei dem Stamm des Vaters der Klägerin Genüge zu tun. Die Beschneidung beruht auf der bei diesem Stamm in Kamerun gesellschaftlich jedenfalls noch ganz überwiegend akzeptierten Vorstellung, dass die Frauen und Mädchen den Eingriff der Beschneidung über sich ergehen lassen müssen, um überhaupt als heiratsfähig angesehen und sozial akzeptiert zu werden (vgl. zu diesem gesellschaftlichen Hintergrund etwa das Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 22. Dezember 2004 an das VG Gelsenkirchen).

Demgegenüber hat das Selbstbestimmungsrecht der Mädchen und Frauen zurückzutreten, gleichgültig, ob ihnen hierdurch Verletzungen, Traumatisierungen und sogar das Risiko des Todes droht.

Dieser Qualifizierung der Zwangsverstümmelung als politische Verfolgung kann auch nicht entgegengehalten werden, sie diene nicht dazu, die Betroffenen aus der staatlichen Friedensordnung auszugrenzen, sondern habe als "Initiationsritual" gerade die Funktion, die Mädchen und Frauen in die Gemeinschaft der Verheiratungsfähigen aufzunehmen und die Betroffenen als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft zu integrieren (VG Gelsenkirchen, Urteile vom 21. Juli 2004 - 10a K 5337/01 A - und vom 20. Mai 2005 - 9a K 365/03.A - a.A. VG Frankfurt a.M., Urteil vom 29. März 1999 - 9 F 30919/97.A - NVwZ - Beilage 1999, 71, 72; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 10 Juli 2003 - 3 E 31074/98.A (1) -, Asylmagazin 10/2003, 32; VG Osnabrück, Urteil vom 5. April 2004 - 5 A 69/04 -, Seite 4 des Urteilabdrucks).

Diese Argumentation greift - indem sie lediglich auf die soziale Bedeutung der Beschneidung als "Initiationsritual" abstellt - zu kurz. Bei umfassender und wertender Betrachtung wird deutlich, dass die Beschneidungspraxis den Zweck verfolgt, das gesellschaftliche Leben in den Stämmen Kameruns in sozialer Hinsicht zu ordnen und zwar derart, dass das Geschlechterverhältnis in traditioneller Weise erhalten bleiben soll. Im Rahmen dieser traditionellen Rollenverteilung werden Frauen und Mädchen darauf reduziert, bloße Objekte einer eventuellen Verheiratung zu sein. Ihre soziale Anerkennung beschränkt sich allein auf diesen Aspekt. Das ausgrenzende Moment liegt gerade darin, dass mittels der Beschneidung die Situation der sozialen Minderwertigkeit und der angestrebten Unterwerfung der Frauen und Mädchen perpetuiert wird.

Die der Klägerin drohende Genitalverstümmelung ist dem kamerunischen Staat gegenwärtig als mittelbare politische Verfolgung zuzurechnen, obwohl er nicht ihr Urheber ist. Zwar ist politische Verfolgung grundsätzlich staatliche Verfolgung. Verfolgungsmaßnahmen privater Dritter können jedoch eine "mittelbare" staatliche Verfolgung darstellen, wenn sie dem Staat zurechenbar sind. Dies ist dann der Fall, wenn der Staat zur Schutzgewähr entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter wirksam einzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 1000/86 und 961/86 - a.a.O., S. 336.).

Die Mittel, deren Einsatz insofern geboten ist, sind - ihrer Art nach - die Instrumente straf-, polizei- und ordnungsrechtlichen Handelns. In gleicher Weise wie die unmittelbare staatliche Verfolgung grundsätzlich durch den missbräuchlichen Einsatz der genannten Machtmittel gekennzeichnet ist, besteht die mittelbare Verfolgung im Nichtgebrauch eben dieser Machtmittel zum Schutze eines von Privaten verfolgten Staatsbürgers (BVerwG, Beschluss vom 24. März 1995 - 9 B 747/94 -, NVwZ1996, 85 f.).

Der kamerunische Staat setzt die ihm verfügbaren Mittel zur Bekämpfung der Vornahme von Genitalverstümmelungen nach Überzeugung der Kammer jedenfalls derzeit nicht zureichend und effektiv ein.

Der kamerunische Staat ist nicht willens oder in der Lage, betroffenen Frauen und Mädchen Schutz zu gewähren. Die politische Verfolgung ist ihm daher zuzurechnen. Zwar hat die Regierung sich verbal gegen Zwangsbeschneidungen gewandt (Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 22. Dezember 2004, Bl. 68 der Gerichtsakte; U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices - Cameroon 2001; Unabhängiger Bundesasylsenat der Republik Österreich, Spruch vom 21. März 2002 unter Berufung auf einen im Mai 1998 in Yaounde durchgeführten internationalen Workshop; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kamerun - Lageübersicht vom Dezember 2001; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24. September 1998 an das VG Gera; Institut für Afrikakunde, Gutachten vom 12. August 1998 an das VG Gera); es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Tradition ergriffen hat (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kamerun - Lageübersicht vom Dezember 2001; Institut für Afrikakunde, Gutachten vom 12. August 1998 an das VG Gera; U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices - Cameroon 2004 vom 28. Februar 2005; in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. Februar 2001 an das VG Aachen heißt es sogar, das kamerunische Recht toleriere die kulturellen Praktiken).

Ein spezielles Gesetz, das eine Verstümmelung der weiblichen Genitalien verbietet, existiert in Kamerun nicht (U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices - Cameroon 2004 vom 28. Februar 2005; Unabhängiger Bundesasylsenat der Republik Österreich, Spruch vom 21. März 2002; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. Februar 2001 an das VG Aachen).

In Betracht käme zwar eine Bestrafung der Täter nach den allgemeinen Vorschriften über Körperverletzung (Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 22. Dezember 2004, Bl. 68 der Gerichtsakte; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. Februar 2001 an das VG Aachen; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24. September 1998 an das VG Gera), es ist bislang aber kein Fall bekannt geworden, in dem tatsächlich eine solche Strafverfolgung stattgefunden hat (Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 22. Dezember 2004, Bl. 68 der Gerichtsakte; Unabhängiger Bundesasylsenat der Republik Österreich, Spruch vom 21. März 2002; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. Februar 2001 an das VG Aachen; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24. September 1998 an das VG Gera; U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices - Cameroon 2004 vom 28. Februar 2005).

Faktisch bestraft der kamerunische Staat also weder die Täter, noch schützt er die Opfer. Über bloße Erklärungen hinaus - die die kamerunische Regierung sehr wahrscheinlich auch als Reaktion auf den seitens der internationalen Gemeinschaft ausgeübten Druck getätigt hat - sind - sei es aus Gleichgültigkeit oder aus politischen und ethnischen Rücksichtnahmen - bislang keine durchgreifenden und effektiven Maßnahmen getroffen und insbesondere das bestehende Strafrecht nicht wirksam und abschreckend angewandt worden.

Dem Bestehen einer mangelnden Schutzwilligkeit des kamerunischen Staates kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Beschneidungen in der Regel im Verborgenen durchgeführt und nicht zur Anzeige gebracht werden (so aber für verschiedene andere afrikanische Staaten: VG Oldenburg, Urteil vom 7. Mai 1989 - 6 A 4610/96 -, InfAuslR 1998, 412, 414 f.; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 29. August 2001 - 3 E 30495/98.A -; VG Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 20. Juni 1996 - 1 A 185/95 -, NVwZ-Beilage 1998, 18, 19).

Dies allein führt nicht zu einer unangemessenen - die Kräfte des Staates übersteigenden - Forderung nach Schutzgewährung. Denn allein angesichts der Häufigkeit der vorgenommenen Verstümmelungen in der Vergangenheit ist es für die Kammer in keiner Weise nachvollziehbar, dass die Behörden in ganz Kamerun bislang keinerlei Erkenntnisse über durchgeführte Genitalverstümmelungen und die entsprechenden Täter erhalten haben sollen, die sie zu einem Eingreifen hätten bewegen können. Selbst wenn Anzeigen seitens der Betroffenen gegenüber staatlichen Stellen in der Regel nicht erfolgen, darf die kamerunische Regierung sich hierauf nicht zurückziehen. Vielmehr trifft sie dann die Verpflichtung, von Amts wegen einzuschreiten und zu ermitteln. Schließlich findet strafbewehrtes Verhalten typischerweise im Geheimen statt, so dass dem Staat die Schutzfähigkeit nicht deshalb abgesprochen werden kann, weil ihm die zu führenden Ermittlungen eventuell zu zeit- oder arbeitsaufwändig sind. Erst wenn der Staat alle ihm zu Gebote stehenden Mittel erfolglos ausgeschöpft hat, kann davon gesprochen werden, dass die Schutzgewährung seine Mittel übersteigt. Der kamerunische Staat hat die ihm zur Verfügung stehenden Mittel - wie dargelegt - jedoch keinesfalls ausgeschöpft.

Schließlich steht der Klägerin in Kamerun auch keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Eine solche - mit der Folge, dass ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ausscheidet - ist gegeben, wenn die Betroffenen in Teilen ihres Heimatlandes vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sind und ihnen jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86-, a.a.O.).

Angesichts der vorliegenden Auskünfte droht der Klägerin die Beschneidung in Kamerun landesweit. Die Verstümmelung weiblicher Genitalien wird in Kamerun nur von wenigen Stämmen praktiziert und war daher ursprünglich nicht in allen Landesteilen verbreitet. Aufgrund der zunehmenden Mobilität der kamerunischen Gesellschaft halten sich mittlerweile die Angehörigen eines Stammes jedoch nicht mehr nur in dessen traditionellen Siedlungsgebieten auf. Vielmehr leben einzelne Angehörige der Stämme, die Zwangsbeschneidungen durchführen, in allen Landesteilen. Da diese meist auch aus der Ferne einen engen Kontakt mit ihren Großfamilien und Stämmen halten, sind faktisch landesweite "Netzwerke" entstanden, mit deren Hilfe vor drohender Zwangsbeschneidung geflohene Stammesmitglieder im ganzen Land aufgespürt werden können (Institut für Afrikakunde, Gutachten vom 12. August 1998 an das VG Gera und Gutachten vom 5. Juli 2002 an das VG Potsdam; a.A. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kamerun - Lageübersicht vom Dezember 2001).

Da der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist, war die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid aufzuheben. [...]