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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 24.03.2006 - 18 K 693/04.A - asyl.net: M17470
https://www.asyl.net/rsdb/M17470
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für praktizierende Christen aus dem Irak.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Irak, Christen, Gruppenverfolgung, Mosul, religiöse Verfolgung, religiöses Existenzminimum, interne Fluchtalternative,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

a) Das Gericht lässt offen, ob die Klägerinnen bei einer Rückkehr in den Irak einer gegen Christen gerichteten Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG) unterliegen würden.

Allerdings hat sich seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein die Situation von Angehörigen religiöser Minderheiten insgesamt spürbar verschlechtert. Von dieser dramatischen Verschlechterung der Situation nicht muslimischer Religionsgemeinschaften sind auch die Christen insbesondere im Großraum Bagdad und Mossul betroffen. Christen sind direkte Zielscheibe von Angriffen, die häufig und an der Tagesordnung sind. Die Urheber dieser gezielten und direkten Übergriffe sind überwiegend islamistische Gruppen. Diese Gruppen bilden keinen national organisierten Widerstand, sondern es handelt sich dabei um eine Reihe von nichtstaatlichen Akteuren, die verschiedenen Gruppen angehören oder auch alleine agieren. Die christliche Religionszugehörigkeit ist dabei ein Umstand, der in jedem Falle die Verfolgungsbetroffenheit mitprägt. Christen leben als Minderheit bereits jetzt in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser und gesellschaftlicher Verachtung. Im Irak hat sich eine Intoleranz, eine grundsätzliche Feindschaft zu religiösen Minderheiten herausgebildet, die Bestandteil des Volksbewusstseins irakischer Schiiten und Sunniten ist. Die innere Haltung ist geprägt von Ablehnung, Abgrenzung und einem tief sitzenden Empfinden von der Inferiorität der Christen (vgl. hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 01.07.2005 - 18 K 7155/01.A - Juris). [...]

b) Unabhängig von der Frage einer Gruppenverfolgung der Christen sind die Klägerinnen aber individuell aus religiösen Gründen verfolgt, weil sie bei einer Rückkehr nach Mossul dort asylerheblichen Eingriffen in ihre Religionsfreiheit durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wären.

a) Eine Verfolgung aus religiösen Gründen im Sinne des Art. 16 a GG - und des § 60 Abs. 1 AufenthG -, liegt nach ständiger Rechtsprechung auch dann vor, wenn in das religiöse Existenzminimum des Einzelnen eingegriffen wird. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn einem Glaubensangehörigen angesonnen wird, seine Religionsausübung oder gar seine Religionszugehörigkeit als solche geheimzuhalten, um (staatlichen) Repressalien zu entgehen. Die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich und die Möglichkeit zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich gehören zu dem durch das Asylrecht geschützten elementaren Bereich der sittlichen Person (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91 - InfAuslR 1995, 210-211; BVerwG, Beschluss vom 25.06.2004 - 1 B 282/03, 1 B 282/03 - zitiert nach Juris).

Nach dem übereinstimmenden Inhalt der vorliegenden Auskunftsquellen sind Christen im Großraum Mossul und Bagdad zur Vermeidung von asylerheblichen Übergriffen gezwungen, ihr Christsein zu verbergen. Sobald Christen als solche erkannt werden, besteht für sie in dem genannten Gebiet die erhebliche Gefahr, an Leib und Leben verletzt zu werden. Christliche Frauen und Mädchen sehen sich genötigt, sich auf der Straße zu verschleiern und traditionellen muslimischen Kleidungsvorschriften zu unterwerfen, christliche Männer sich einen muslimischen Bart wachsen zu lassen, um ihr Christsein in der Öffentlichkeit zu verbergen. Um nicht als Christ erkannt zu werden, vermeiden sie die Besuche von Gottesdiensten und halten sich traditionell christlichen Berufsausübungen fern. Christen sind auch gezwungen, ihre Religionszugehörigkeit im engsten nachbarschaftlich kommunikativen Bereich zu verbergen, um nicht in die Gefahr zu geraten, aufgrund von Denunziationen in das Blickfeld islamistischer Gruppen zu geraten (vgl. Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 07.03.2005 an VG Köln; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 14.02.2005 an VG Köln; amnesty international, Gutachten vom 29.06.2005 an VG Köln).

Dieser Zwang, seine religiöse Identität zu verbergen, stellt einen Eingriff in das religiöse Existenzminimum jedes Einzelnen dar und ist damit asylrechtlich erheblich. Denn es kann einem Glaubenszugehörigen nicht angesonnen werden, seine Religionsausübung oder gar seine Religionszugehörigkeit als solche geheim zu halten, um Repressalien zu entgehen.

Es kommt daher im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die der deutschen Rechtsprechung geläufige Unterscheidung zwischen "Forum internum" und "Forum externum" der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht und inwieweit diese Unterscheidung unter Berücksichtigung der EU-Qualifikationsrichtlinie noch aufrecht erhalten werden kann (vgl. zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - S. 11 f. des amtlichen Umdrucks, a.a.O., m.w.N.).

Vor diesem asylerheblichen Eingriff in ihr religiöses Existenzminimum finden die Klägerinnen auch keinen Schutz durch die irakische Übergangsregierung oder dieser nachgeordnete Stellen. Es entspricht übereinstimmender Auskunftslage, dass irakische staatliche Stellen im ehemaligen Zentralirak weder über die Möglichkeiten effektiver Schutzgewährung verfügen (vgl. hierzu im einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - NVwZ- RR 2006, 67) noch bezogen auf Christen irgendwelche Maßnahmen zur Schutzgewährung ergreifen (vgl. Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Gutachten vom 07.03.2005 an VG Köln; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 14.02.2005 an VG Köln; amnesty international, Gutachten vom 29.06.2005 an VG Köln).

Die oben genannte Auskunftslage wird durch die Angaben der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung zu der ihr bekannten Situation der Christen und ihrer Familie in Mossul in vollem Umfang bestätigt. Die Klägerinnen, die praktizierende Christen sind, wären nach allem bei einer Rückkehr in den Großraum Mossul ernsthaft gefährdet, Opfer eines islamistisch motivierten Angriffs und dabei an Leib und Leben verletzt zu werden. [...]