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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 13.07.2010 - 1 C 15.09 - asyl.net: M17440
https://www.asyl.net/rsdb/M17440
Leitsatz:

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2004/38/EG entsteht.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: Vorabentscheidungsverfahren, Unionsbürger, Daueraufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, freizügigkeitsberechtigt, Aufenthaltsrecht, Polen, Erwerbstätigkeit, Sicherung des Lebensunterhalts, Sozialhilfebezug,
Normen: FreizügG/EU § 2 Abs. 2, FreizügG/EU § 4, FreizügG/EU § 4a Abs. 1, FreizügG/EU § 5 Abs. 6, FreizügG/EU § 11 Abs. 2, FreizügG/EU § 13, AEUV Art. 21, AEUV Art. 267, VO 1612/68/EG Art. 12, RL 2004/38/EG Art. 1, RL 2004/38/EG Art. 6, RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1, RL 2004/38/EG Art. 14, RL 2004/38/EG Art. 16 Abs. 1 S. 1, RL 2004/38/EG Art. 37
Auszüge:

[...]

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Ist Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG so auszulegen, dass er einem Unionsbürger, der sich seit über fünf Jahren nur aufgrund nationalen Rechts rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, in dieser Zeit aber die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG nicht erfüllt hat, ein Recht auf Daueraufenthalt in diesem Mitgliedstaat verleiht?

2. Sind auf den rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG auch Aufenthaltszeiten des Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat vor dem Beitritt seines Herkunftsstaats zur Europäischen Union anzurechnen? [...]

2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich das Begehren der Kläger auf Ausstellung von Bescheinigungen über das Bestehen ihres Daueraufenthaltsrechts. Soweit sie ursprünglich die Verlängerung bzw. Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen beantragt haben, haben sie diese Begehren im Klageverfahren nicht weiterverfolgt. Mit der nachträglichen Erteilung befristeter Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen haben sich die in den ablehnenden Bescheiden des Beklagten mitverfügten Abschiebungsandrohungen erledigt. Die Kläger haben nach nationalem Recht keinen Anspruch auf Ausstellung der begehrten Bescheinigungen (a). Die darauf gerichteten Klagen können daher nur Erfolg haben, wenn die Kläger unmittelbar aus Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG ein Recht auf Daueraufenthalt erworben haben (b).

a) Nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU wird Unionsbürgern auf Antrag unverzüglich ihr Daueraufenthalt bescheinigt.

Das Freizügigkeitsgesetz/EU findet hier Anwendung, auch wenn die Kläger die Voraussetzungen des § 13 FreizügG/EU nicht erfüllen. Als polnische Staatsangehörige sind sie seit dem Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 Unionsbürger. Die in den Beitrittsverträgen und -akten festgelegten Übergangsregelungen betreffen den Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie unter bestimmten Voraussetzungen einige Dienstleistungssektoren bis zur Herstellung der vollständigen Freizügigkeit. Ohne Einschränkung freizügigkeitsberechtigt sind dagegen Staatsangehörige, die - wie die Kläger - keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, soweit die weiteren unionsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen (vgl. Nr. 13 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/ EU vom 26. Oktober 2009 - VwV-FreizügG/EU - GMBl S. 1270).

Dem Begehren der Kläger steht aber entgegen, dass sie die Voraussetzungen des § 4a FreizügG/EU für das Entstehen eines Rechts auf Daueraufenthalt nicht erfüllen. Nach der hier allein in Betracht kommenden Grundnorm des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und Lebenspartner, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). In § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind die nach Unionsrecht freizügigkeitsberechtigten Personengruppen aufgezählt. Aus dem Zusatz "unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2" ergibt sich, dass nicht jeder nach nationalem Recht rechtmäßige Aufenthalt ausreicht, sondern das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts voraussetzt, dass der Betroffene nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt war, und nur ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrecht durch einen späteren Wegfall der Freizügigkeitsberechtigung nicht mehr berührt wird.

Dabei kann dahinstehen, ob für das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erforderlich ist, dass der Betroffene - wie vom Berufungsgericht angenommen - während des gesamten Zeitraums von fünf Jahren freizügigkeitsberechtigt war, oder ob es - wie vom Vertreter des Bundesinteresses vertreten - ausreicht, wenn der Aufenthalt fünf Jahre lang erlaubt war und jedenfalls zuletzt auf dem Freizügigkeitsrecht beruhte (so auch Nr. 4a.1 der VwV-FreizügG/EU). Denn die Kläger halten sich zwar seit über fünf Jahren ununterbrochen erlaubt im Bundesgebiet auf. Sie waren während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet aber zu keinem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt.

Als Rechtsgrundlage einer Freizügigkeitsberechtigung käme hier nur § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU in Betracht. Danach sind nicht erwerbstätige Unionsbürger - wie die Kläger - freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Diese Voraussetzungen erfüllen die Kläger nach den Feststellungen der Ausländerbehörde in ihren ablehnenden Bescheiden nicht (vgl. § 11 Abs. 2 FreizügG/EU). Auch das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kläger nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 nie freizügigkeitsberechtigt waren. Damit kommt es bei der Anwendung des nationalen Rechts auch nicht auf die Frage an, ob und unter welchen Voraussetzungen bei Staatsangehörigen neuer Mitgliedstaaten auf den Fünfjahreszeitraum Aufenthaltszeiten vor dem Beitritt ihres Heimatstaats in die Europäische Union anzurechnen sind, da auch in diesem Fall erforderlich wäre, dass der Betroffene mit dem Beitritt - zumindest für eine logische Sekunde - freizügigkeitsberechtigt war.

b) Enthalten die nationalen Vorschriften für die Kläger keine günstigeren Regelungen (vgl. Art. 37 der Richtlinie 2004/38/EG), kommt es für den Ausgang des Verfahrens darauf an, ob sie unmittelbar aus Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG ein Recht auf Daueraufenthalt erworben haben. Dies hängt zunächst davon ab, ob Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie so auszulegen ist, dass er einem Unionsbürger ein Recht auf Daueraufenthalt verleiht, der sich seit über fünf Jahren nur aufgrund nationalen Rechts rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, in dieser Zeit aber nicht die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie erfüllt (1. Vorlagefrage). Zudem kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob auf den rechtmäßigen Aufenthalt auch Aufenthaltszeiten des Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat vor dem Beitritt seines Herkunftsstaats zur Europäischen Union anzurechnen sind (2. Vorlagefrage). Nach ständiger Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen (vgl. Urteile vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 88> m.w.N.; vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329, Leitsatz 3 und Rn. 37 ff. und vom 1. Dezember 2009 - BVerwG 1 C 32.08 - juris Rn. 12). Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - im Wege einer allgemeinen Leistungsklage die Ausstellung einer Bescheinigung über ein Daueraufenthaltsrecht begehrt wird. Da der Beitritt Polens im hiernach maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 28. April 2009 noch keine fünf Jahre zurücklag, könnten die Klagen mithin nur Erfolg haben, wenn auf die Fünfjahresfrist auch vor dem Beitritt liegende Aufenthaltszeiten anzurechnen sind.

3. Die vorgelegten Fragen bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.

a) Nach Auffassung des vorlegenden Senats sind beide Vorlagefragen zu verneinen mit der Folge, dass die Kläger auch aus dem Unionsrecht kein Recht auf Daueraufenthalt herleiten können.

Nach Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - (ex-Art. 18 EGV) hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen, sowie das Recht auf Daueraufenthalt und die Beschränkungen dieser Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit sind in der Richtlinie 2004/38/EG geregelt (Art. 1 der Richtlinie). Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten.

aa) Der Senat ist der Auffassung, dass auch nach dieser Bestimmung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts sich nicht nach dem im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat geltenden - möglicherweise günstigeren (vgl. Art. 37 der Richtlinie) - nationalen Recht richtet, sondern nach Unionsrecht. Er sieht sich hierin durch die Ausführungen der Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen vom 11. Mai 2010 in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-162-09, Secretary of State for Works and Pensions ·/· Lassal (Rn. 88 und 93) bestärkt.

Für eine unionsrechtliche Sichtweise sprechen neben den klaren Hinweisen in den Erwägungsgründen auch systematische Gründe und die Entstehungsgeschichte der Richtlinie:

Den der Richtlinie vorangestellten Erwägungsgründen 17 und 18, die zwar keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben, bei der Auslegung der Richtlinie aber als Auslegungshilfe herangezogen werden können, ist zu entnehmen, dass das einmal erlangte Recht auf Daueraufenthalt keinen Bedingungen unterworfen ist (es mithin auch beim Bezug von Sozialhilfeleistungen bestehen bleibt), für seinen Erwerb hingegen erforderlich ist, dass der Betroffene sich "gemäß den in der Richtlinie festgelegten Bedingungen" fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Aus diesem ausdrücklichen Verweis auf die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen und damit auf das Unionsrecht ist zu folgern, dass es für das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG in keinem Fall genügt, wenn der Aufenthalt des Betroffenen - wie hier - immer nur nach Maßgabe nationaler Bestimmungen rechtmäßig war und ist.

Hierauf deutet auch die der Richtlinie 2004/38/EG immanente Systematik hin, die mit ihrem dreistufigen System aufeinander aufbauender und sich verfestigender Aufenthaltsrechte für Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen ein in sich geschlossenes Regelungswerk für die Einreise und den (Dauer-)Aufenthalt der von ihr erfassten Personen enthält: Auf der ersten Stufe haben Unionsbürger und sie begleitende oder nachziehende Familienangehörige nach Art. 6 der Richtlinie das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten. Hierzu müssen sie lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein und brauchen ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen. Dieses Recht bleibt bei Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats erhalten, solange die Inanspruchnahme nicht unangemessen ist (Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie). Für einen Zeitraum von über drei Monaten besteht - auf der zweiten Stufe - nach Art. 7 der Richtlinie das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Ist der Unionsbürger weder Arbeitnehmer noch Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie), und absolviert er dort auch keine Ausbildung (Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie) ist auf dieser Stufe erforderlich, dass der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen. Außerdem müssen sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie). Dieses Aufenthaltsrecht besteht, solange die Betroffenen die in Art. 7, 12 und 13 genannten Voraussetzungen erfüllen (Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie). In Art. 16 ff. der Richtlinie ist schließlich - auf der dritten und letzten Stufe - das Recht auf Daueraufenthalt geregelt. Nach der allgemeinen Regelung in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen in einem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III (Aufenthaltsrecht) geknüpft und geht nur nach einer mehr als zweijährigen Abwesenheit (Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie) oder nach einer Ausweisung (Art. 27, 28 Abs. 2 der Richtlinie) verloren.

Dieser der Richtlinie 2004/38/EG zugrunde liegenden Systematik widerspräche es, wenn das Recht auf Daueraufenthalt, das dem Betroffenen die stärkste aufenthaltsrechtliche Position vermittelt, allein durch die Erfüllung nationaler Tatbestände erworben werden könnte, ohne dass die Voraussetzungen für ein längerfristiges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht jemals vorgelegen haben.

Dies zeigt auch die Entstehungsgeschichte des Art. 16 der Richtlinie. Nach dem ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission (Art. 14 des Kommissionsentwurfs) vom 23. Mai 2001 (KOM 2001> 257 endg.) sollte der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts bei Unionsbürgern voraussetzen, dass sie sich rechtmäßig vier Jahre lang ununterbrochen im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben. Dies wurde auf Nachfrage Dänemarks in den Beratungen von der Kommission dahin präzisiert, dass die Bedingungen nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie in den vier Jahren Aufenthalt, die dem Recht auf Daueraufenthalt vorausgehen, erfüllt werden müssten und sie erst nach dem Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt keine Anwendung mehr fänden (vgl. Protokoll über die Beratungsergebnisse der Gruppe "Freizügigkeit" vom 10. Juli 2002, Ratsdokument 10572/02 S. 36 Fn. 67). Später wurde die Aufenthaltsdauer auf fünf Jahre erhöht und zur Präzisierung des Begriffs "rechtmäßiger Aufenthalt" der 17. Erwägungsgrund um die Formulierung "die sich gemäß den in der Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben" ergänzt (vgl. 17. Erwägungsgrund im Gemeinsamen Standpunkt <EG> Nr. 6/2004 vom Rat festgelegt am 5. Dezember 2003, 2004/C 54 E/02, und Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Art. 251 Abs. 2 Unterabs. 2 EG-Vertrag betreffend den vom Rat angenommenen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten vom 30. Dezember 2003, SEK 2003> 1293 endg. S. 10, abgedruckt in: Übermittlungsvermerk des Rats der Europäischen Union vom 12. Januar 2004, Ratsdokument 5191/04).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck des Daueraufenthaltsrechts. Dieses soll das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und zum sozialen Zusammenhalt beitragen (17. Erwägungsgrund). Beide Gedanken gebieten bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zwar keine Anknüpfung an die unionsrechtlichen Bestimmungen, stehen dem aber auch nicht entgegen.

bb) Reicht allein ein nach nationalem Recht rechtmäßiger Aufenthalt für das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts nicht aus, stellt sich die weitere Frage, ob bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf Unionsebene ausschließlich auf die Richtlinie 2004/38/EG abzustellen ist. Die Frage stellt sich nicht nur in Übergangsfällen hinsichtlich der Berücksichtigung von Aufenthaltszeiten, die vor Umsetzung bzw. Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2004/38/EG liegen und nach den damals geltenden Vorgängerregelungen rechtmäßig waren, sondern auch im Hinblick auf andere unionsrechtliche Aufenthaltsrechte, die durch die Richtlinie 2004/38/EG nicht ersetzt wurden, sondern daneben weiter Bestand haben. Sie bedarf hier indes keiner Entscheidung, da die Kläger sich während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet nie auf ein unionsrechtliches Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht berufen konnten.

Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllten die Kläger nie die Voraussetzungen des Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG für ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate. Denn sie verfügen jedenfalls seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 als nicht erwerbstätige Unionsbürger nicht über ausreichende Existenzmittel und beziehen Sozialhilfeleistungen. Dabei ist unerheblich, dass dieser Umstand nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie nicht automatisch zu einer Ausweisung führen darf. Diese Bestimmung regelt die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, setzt also ein unionsrechtliches Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht voraus. Davon zu trennen ist die hier entscheidungserhebliche Frage, ob trotz Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen ein unionsrechtliches Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht bestand. Dies hängt von der erreichten Aufenthaltsstufe ab: Nach dem Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt - der höchsten Stufe - spielt der Bezug von Sozialhilfeleistungen keine Rolle mehr (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie). Dagegen hängt das Aufenthaltsrecht für einen Aufenthalt bis zu drei Monaten nach Art. 6 der Richtlinie davon ab, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch genommen werden (Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie). Nach diesem Zeitraum kommt es bis zum Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts darauf an, ob der Nichtbezug von Sozialhilfeleistungen Anspruchsvoraussetzung ist (Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie). Dies ist bei nichterwerbstätigen Unionsbürgern der Fall. Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Kläger - auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 20. September 2001 in der Rechtssache Grzelczyk - C-184/99 - (Slg. 2001, I-06193). Denn diese Entscheidung betrifft ebenfalls nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein - im dortigen Verfahren auf der Richtlinie 93/96 beruhendes - Aufenthaltsrecht beim Bezug von Sozialhilfeleistungen entfällt und der Mitgliedstaat aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergreifen darf. Soweit der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass sich ein Unionsbürger hinsichtlich der Leistungen der Sozialhilfe auf das Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit berufen kann, wenn er sich im Aufnahmemitgliedstaat für eine bestimmte Zeit rechtmäßig aufgehalten hat oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. März 2005 - Rs. C-209/03, Bidar - Slg. 2005, I-02119 Rn. 37), lässt sich auch dieser zum Diskriminierungsverbot ergangenen Rechtsprechung nichts für die hier entscheidungserhebliche Frage entnehmen, ob ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger trotz Bezugs von Sozialhilfeleistungen ein Recht auf Daueraufenthalt erwerben kann. {...]

cc) Ist Voraussetzung für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG, dass der Unionsbürger sich fünf Jahre ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sein Aufenthalt in dieser Zeit nach Maßgabe des Unionsrechts rechtmäßig war, dürften bei Staatsangehörigen neuer Mitgliedstaaten auch vor dem Beitritt liegende Aufenthaltszeiten, während derer der Aufenthalt nur nach nationalem Recht rechtmäßig war, weil kein unionsrechtliches Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht bestand und bestehen konnte, nicht anzurechnen sein. Ansonsten stünden Neu-Unionsbürger besser als Alt-Unionsbürger.

b) Der Senat sieht sich allerdings angesichts des beim Gerichtshof bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchens des Supreme Court of the United Kingdom vom 5. November 2009 in der Rechtssache Shirley McCarthy ·/· Secretary of State for the Home Department (Rs. C-434/09 - ABl EU 2010 Nr. C 11 S. 18) an einer eigenen Entscheidung ohne Anrufung des Gerichtshofs gehindert.

Jenes Vorabentscheidungsersuchen betrifft zwar primär die - hier nicht entscheidungserhebliche - Frage, ob sich ein Unionsbürger, der neben der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats auch die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaats besitzt, in dem er sich sein Leben lang aufgehalten hat, "Berechtigter" im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 2004/38/EG ist. In diesem Zusammenhang wurde dem Gerichtshof aber die weitere Frage vorgelegt, ob sich eine "solche Person" im Sinne von Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, wenn sie die Erfordernisse von Art. 7 der Richtlinie nicht erfüllen konnte. Auch wenn man die Formulierung "solche Person" auf den speziellen Fall der dortigen Klägerin bezieht, ist der Fragestellung zu entnehmen, dass der Supreme Court offensichtlich Zweifel hat, ob der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 der Richtlinie stets das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 der Richtlinie voraussetzt. Die gleiche Frage stellt sich im vorliegenden Fall. Im Hinblick auf das beim Gerichtshof anhängige Vorabentscheidungsersuchen des obersten Gerichts eines anderen Mitgliedstaats ist daher von einer unionsrechtlichen Zweifelsfrage auszugehen.