VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Beschluss vom 22.07.2010 - 3 A 113/09 - asyl.net: M17425
https://www.asyl.net/rsdb/M17425
Leitsatz:

Abschiebungskosten für eine Sicherheitsbegleitung sind nur zu erstatten, wenn die Begleitung durch Sicherheitskräfte erforderlich war. Die Behörde darf nicht lediglich auf registrierte Verurteilungen zurückgreifen, sondern muss sich, wenn sich hieraus eine Gewaltbereitschaft des Ausländers nicht offensichtich ergibt, mit den konkreten Tatvorwürfen auseinandersetzen, um eine möglichst zutreffende Prognose des Verhaltens bei der Rückführung treffen zu können.

Schlagwörter: Abschiebungskosten, begleitete Abschiebung, Verhältnismäßigkeit, Amtsermittlung
Normen: AufenthG § 66 Abs. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Danach war hier Prozesskostenhilfe zu gewähren, da der Hauptsacherechtsbehelf nach summarischer Prüfung und nach der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe bestehenden Sach- und Rechtslage voraussichtlich teilweise erfolgreich sein wird.

Die Rechtmäßigkeit der Geltendmachung der Abschiebungskosten richtet sich nach § 66 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 1 AufenthG. Gemäß § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer die bei seiner Abschiebung entstehenden Kosten zu tragen. § 67 Abs. 1 AufenthG regelt dabei, in welchem Umfang Kosten von der Beklagten gegenüber dem Abgeschobenen geltend gemacht werden können. Ungeachtet der Frage der grundsätzlichen Kostentragungspflicht des Klägers gem. § 66 Abs. 1 AufenthG bestehen nach summarischer Prüfung Zweifel, ob die Begleitung durch drei Sicherheitskräfte im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erforderlich war.

Erforderlich ist eine Begleitung lediglich dann, wenn der Ausländer hierzu Anlass gibt, wenn es also in seiner Person liegende Gründe hierfür gibt. Die Begleitung muss objektiv erforderlich sein (BVerwG, Urt. v. 14.03.2006 - 1 C 5.05 -). Die objektive Erforderlichkeit kann sich daraus ergeben, dass zu befürchten steht, dass der Ausländer versucht, sich der Abschiebung zu entziehen, oder daraus, dass eine Fremd- oder Selbstgefährdung droht (VG Hamburg, Urt. v. 28.06.2007 - 15 K 2007/06 -). Sofern die Erforderlichkeit einer Begleitung aus Sicherheitsgründen oder aufgrund anderer Umstände nicht offen zutage liegt, muss sie von der Behörde ggf. in nachvollziehbarer Weise benannt und belegt werden (BVerwG, Urt. v. 14.03.2006 - 1 C 5.05 -).

An der Erforderlichkeit in diesem Sinne könnte es hier deshalb fehlen, weil die Anordnung einer Begleitung hier offenbar allein auf der Auskunft im Rückführungsersuchen des Landeskriminalamtes beruhte, nach der der Kläger wegen Bedrohung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob diese Auskunft allein für die Annahme der Gefährlichkeit des Klägers und damit zur Begründung der erforderlichen Begleitung ausreicht. Nach der einschlägigen Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte darf die Behörde nicht lediglich auf registrierte Verurteilungen zurückgreifen, sondern muss, wenn sich hieraus eine Gewaltbereitschaft des Ausländers nicht offensichtlich ergibt, sich mit den konkreten Tatvorwürfen auseinandersetzen, um eine möglichst zutreffende Prognose des Verhaltens des Ausländers bei der Rückführung treffen zu können (vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 18.01.2006 - 8 E 1402/05 -; VG Hamburg, Urt. v. 28.06.2007 - 15 K 2007/06 -). Diese Amtsermittlung entspricht nicht nur dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der eine unnötige Belastung des erstattungspflichtigen Ausländers mit den zum Teil sehr hohen Abschiebungskosten verbietet (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 21.06.2007 - 4 Bf 56/06.Z -), sondern auch dem Grundsatz sparsamen und wirtschaftlichen Handelns der Verwaltung, die unnötige Ausgaben zu Lasten der Steuerzahler vermeiden soll (VG Hamburg, Urt. v. 28.06.2007 - 15 K 2007/06 -).

Eine diesen Anforderungen entsprechende Ermittlung des Tatgeschehens, das der Verurteilung wegen Bedrohung zugrunde lag, hat hier offenkundig nicht stattgefunden. Da es auf die konkrete Gewaltbereitschaft des abzuschiebenden Ausländers ankommt, kann nicht allein auf die Tatsache der Verurteilung wegen Bedrohung oder auf die Höhe der verhängten Strafe (hier: Geldstrafe von 40 Tagessätzen) abgestellt werden. Vielmehr sind regelmäßig die Tat und ihre Hintergründe mit zu berücksichtigen (VG Hamburg, Urt. v. 28.06.2007 - 15 K 2007/06 -). Hier bleibt völlig im Unklaren, welchen Hintergrund die Verurteilung des Klägers wegen Bedrohung hat, ob es sich etwa um eine reine Beziehungstat handelte oder ob der Kläger provoziert worden war oder ähnliches. Jedenfalls rechtfertigt der Verweis auf eine Verurteilung wegen Bedrohung für sich betrachtet nicht den Schluss, der Kläger werde sich der Abschiebung zu entziehen versuchen oder stelle im Falle der Abschiebung eine Gefahr für sich oder andere dar. Allein hieraus sind keine verlässlichen Rückschlüsse auf das Verhalten des Klägers auf dem Flug in sein Heimatland zu ziehen. Insbesondere kann hieraus nicht gefolgert werden, er werde auch im Flugzeug zu unberechenbaren gewalttätigen Reaktionen neigen. [...]