VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 10.08.2010 - 18 K 4662/09.A - asyl.net: M17404
https://www.asyl.net/rsdb/M17404
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Dublin-Überstellungen führt nicht zu einer Unterbrechung oder Hemmung der Überstellungsfrist.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, unbegleitete Minderjährige, Altersfeststellung, Griechenland, Zustimmungsfiktion, Überstellungsfrist, Petrosian, EuGH
Normen: AsylVfG § 27a, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 6, VO 343/2003 Art. 17, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 4 S. 1, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die Beklagte ist zwischenzeitlich für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden. Zwar war ursprünglich Griechenland zuständig. Dies dürfte bereits aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EGV 343/2003 folgen. Nach dieser Vorschrift ist für Asylbewerber, die nach den auf der Grundlage von Beweismitteln und Indizien im Sinne des Art. 18 Abs. 3 EGV 343/2003 gewonnenen Feststellungen aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten haben, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Vorliegend ist der Kläger von der Türkei aus auf griechisches Hoheitsgebiet gereist, ohne dass die Einreise in irgendeiner Form legalisiert war. Ungeachtet dessen ergibt sich die ursprüngliche Zuständigkeit Griechenlands aus Art. 18 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 EGV 343/2003, da das Gesuch der deutschen Behörden um Aufnahme des Klägers in Griechenland mit Schreiben vom 3. Februar 2009 erfolgte, dieses Gesuch nicht als besonders dringlich gekennzeichnet war (vgl. Art. 18 Abs. 6 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 der Verordnung), es am selben Tag elektronisch an die griechischen Behörden weitergeleitet wurde und eine Reaktion von dort mehr als zwei Monate nicht erfolgt ist. Die Fristüberschreitung bewirkt eine Zustimmungsfiktion mit der Folge, dass der ersuchte Mitgliedstaat allein aufgrund seiner Untätigkeit zur Aufnahme des Asylbewerbers verpflichtet ist. Die Zuständigkeit Griechenlands war damit seit dem 4. April 2009 jedenfalls aufgrund der Fiktionswirkung gemäß Art. 18 Abs. 7 EGV 343/2003 gegeben.

Die vormalige Zuständigkeit Griechenlands ist jedoch mittlerweile gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 EGV 343/2003 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 hätte die Überstellung des Klägers von Deutschland nach Griechenland erfolgen müssen, sobald dies materiell möglich ist, spätestens jedoch ab einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Die fiktive Annahme des Aufnahmebegehrens trat - wie dargelegt - mit Ablauf des 3. April 2009 ein. Damit war mit Ablauf des 4. Oktober 2009 die hier einschlägige Frist des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung von sechs Monaten abgelaufen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 19 Abs. 3 EGV 343/2003, soweit dort für den Fristbeginn geregelt ist, dass dieser ausnahmsweise mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Denn § 34 a Abs. 2 AsylVfG gibt ausdrücklich vor, dass der gegen eine Abschiebungsanordnung eingelegte Rechtsbehelf nach deutschem Recht keine aufschiebende Wirkung hat und eine solche von den Verwaltungsgerichten auch nicht angeordnet werden kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -) in verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift für bestimmte Ausnahmefälle die Möglichkeit eröffnet ist, unter den in der zitierten Entscheidung näher bestimmten Voraussetzungen einstweiligen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung im Rahmen des Dublin II-Verfahrens zu gewähren und bei Vorliegen der Voraussetzungen diesen gewähren müssen, wie dies im vorliegenden Fall durch den Beschluss der vormals zuständigen Einzelrichterin vom 28. Juli 2009 geschehen ist. Dies ergibt sich für das Gericht insbesondere aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009 (- C 19/08 - juris), die zwar ausdrücklich zu Art. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 erging, aber auf Grund des insoweit wortgleichen Inhalts des Art. 19 auch auf diese Vorschrift angewendet werden kann. [...]