VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 14.07.2010 - 8 A 129/08 - asyl.net: M17385
https://www.asyl.net/rsdb/M17385
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, da die notwendige Behandlung und Medikation in Armenien aus finanziellen Gründen für den Kläger nicht erreichbar ist. Die vom BAMF bei der Ausländerbehörde eingeforderte Kostenübernahmezusage von jährlich 500 EUR ist wohl nicht ausreichend, aber selbst wenn der zugesagte Betrag ausreichen würde, wäre der Kläger aufgrund der festgestellten Arbeitsunfähigkeit dauerhaft nicht in der Lage, sein Existenzminimum sicherzustellen.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Armenien, Diabetes mellitus, Bronchitis, Herzerkrankung, rezidivierende Lumboischialgie, medizinische Versorgung, Existenzgrundlage, Kostenübernahmeerklärung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Bei dem Kläger liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungsverboten ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.01.2000 - A 14 S 786/99 -). Die Beklagte ist somit zu verpflichten festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Armenien nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt (vgl. auch BVerwG, Urteil v. 10.02.1998, NVwZ 1998, 661). [...]

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Gericht bei der vorzunehmenden qualifizierenden und bewertenden Betrachtungsweise der Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Armenien eine erhebliche krankheitsbedingte individuelle Gefahr droht. Nach den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ist davon auszugehen, dass der Kläger auf Grund seines Gesundheitszustandes einer weiteren medikamentösen Behandlung sowie einer dauernden ärztlichen Betreuung bedarf, weil anderenfalls mit einer raschen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gerechnet werden muss. Hiervon geht auch das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid aus und meint, dass die drohende alsbaldige Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch eine gut vorbereitete Rückkehr ausgeschlossen werden müsste und werden könne. Die auch nach den Erkenntnissen der Einzelrichterin notwendige gute Vorbereitung ist aber derzeit nicht gegeben.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner finanziellen und auch aufgrund seiner gesundheitlichen Situation nicht in der Lage ist, sich selbst in Armenien die notwendige Behandlung und Medikation zu sichern. Auch mit einer effektiven Unterstützung durch Familienangehörige kann er nicht rechnen. Die Behandlung der Erkrankungen des Klägers ist in Armenien nach den vorliegenden Erkenntnissen im Endeffekt weder ambulant noch stationär kostenlos, da in der Regel extralegale Zahlungen verlangt werden (siehe Lagebericht vom 11.08.2009). Der Kläger wäre daher gezwungen, Zuzahlungen in unbekannter Höhe zu leisten. In Anbetracht dieser und ähnlicher Erkenntnisse hat die Beklagte offenbar von der zuständigen Ausländerbehörde eine Kostenübernahmezusage eingefordert, auf die sie sich in dem angefochtenen Bescheid bezieht. Die Erklärungen der zuständigen Ausländerbehörde zu der Frage der Kostenübernahme sind allerdings nicht ausreichend, um die Annahme einer dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Armenien drohenden wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auszuräumen. Denn die Erklärung ist wohl nicht ausreichend für den gewollten Zweck, da sie die Höhe der Kosten auf 500,00 Euro jährlich beschränkt und die Kosten aufgrund der zwischenzeitlichen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes zu niedrig angesetzt sein dürften. Aber selbst wenn der zugesagte Betrag ausreichen würde, wäre der Kläger aufgrund seiner vom Gesundheitsamt festgestellten Arbeitsunfähigkeit dauerhaft nicht in der Lage, sein Existenzminimum sicherzustellen, da dann mit einer Verbesserung seines Gesundheitszustandes durch Gewichtsreduktion und deren Folgen in Armenien nicht gerechnet werden kann. [...]