VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.12.2009 - 6 B 55/09 - asyl.net: M17326
https://www.asyl.net/rsdb/M17326
Leitsatz:

Keine Aussetzung der Dublin-Überstellung eines Christen aus dem Irak nach Schweden. Da der Asylantrag des Klägers in Schweden abgelehnt worden ist, muss er auch die dort offenbar übliche nunmehr anstehende Abschiebung in den Irak hinnehmen. Eine "Zweitprüfung" seines Asylantrags in Deutschland ist nicht vorgesehen; derzeit noch bestehende nationale Unterschiede in den jeweiligen Asylverfahren usw. sind hinzunehmen. Eine unzulässige Kettenabschiebung kann das Gericht vor dem Hintergrund, dass in Schweden grundsätzlich eine Einzelfallprüfung im Asylverfahren vorgenommen wird und auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dort derzeit kein rechtsstaatliches Verfahren bei Asylstreitigkeiten gewährleistet ist, nicht erkennen.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Schweden, vorläufiger Rechtsschutz, örtliche Zuständigkeit, Sicherungshaft, Aufenthaltsort, Zuweisung, Aufenthaltsgestattung, sichere Drittstaaten, Konzept der normativen Vergewisserung, Christen, Irak, Refoulement, Kettenabschiebung
Normen: VwGO § 52 Nr. 2 S. 3, AufenthG § 62 Abs. 2, AsylVfG § 55 Abs. 1, AsylVfG § 50 Abs. 4, VwGO § 52 Nr. 5, GG Art. 16a Abs. 2, AsylVfG § 26a
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, jedoch unbegründet.

Entgegen der vom Antragsgegner zu 1) vertretenen Rechtsauffassung ist nicht das Verwaltungsgericht Ansbach, sondern das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht örtlich zuständig.

Das Gericht folgt insoweit der Auffassung der Einzelrichterin der 9. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts, die in einem Beschluss vom 12. August 2009 (Az.: 9 B 37/09) hierzu u.a. Folgendes ausgeführt hat:

"[...]

Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts hängt nach § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1 VwGO nicht davon ab, wo sich der Asylsuchende tatsächlich aufhält oder wo sein Wohnsitz ist, sondern in erster Linie davon, wo er sich aufzuhalten hat. [...]

Der Antragsteller hat sich gegenwärtig am Haftort in Schleswig-Holstein aufzuhalten, da er hier nach § 62 Abs. 2 AufenthG aufgrund einer richterlichen Entscheidung in Sicherungshaft genommen worden ist. Hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung knüpft das Asylverfahrensrecht hier an. Mit dem wirksam gestellten Asylantrag (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 2 AsylVfG) entsteht von Gesetzes wegen eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG. [...] Die Aufenthaltsgestattung wiederum ist räumlich beschränkt auf den Bezirk der Ausländerbehörde, in dem sich der Asylsuchende aufhält (§ 56 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 1 AsylVfG) - hier der Haftort. Dieser Umstand genügt, um eine Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1 VwGO zu begründen, auch wenn daneben keine asylverfahrensrechtlich begründete Aufenthaltspflicht in Form einer Zuweisungsentscheidung besteht. Letzteres beruht darauf, dass der Asylsuchende seinen Asylantrag im Falle der Haft nicht bei einer Außenstelle, sondern direkt beim Bundesamt zu stellen hat (§ 14 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylVfG) und dass die ansonsten bestehende Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, während der Dauer der Haft entfällt. Diese Pflicht träte erst dann ein, wenn auch bei Entlassung aus der Haft noch nicht über den Antrag entschieden wäre (§ 47 Abs. 1 AsylVfG). Erst dann wäre auch Raum für eine Zuweisungsentscheidung nach § 50 Abs. 4 AsylVfG.

Nach Auffassung der 13. Kammer des VG Ansbach (Beschl. v. 21.08.2002 - 13 K 02.30459 -, ihm folgend VG Sigmaringen, Beschl. v. 14.05.2004 - A 3 K 10724/04 - beide in juris) kann eine den Aufenthalt räumlich beschränkende Regelung einer Zuweisungsentscheidung nicht gleichgestellt werden, weil sie keine Aufenthaltsbestimmung nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes (§§ 44 ff. AsylVfG) darstelle. Die örtliche Zuständigkeit richte sich deshalb nach § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 2, § 52 Nr. 3 und § 52 Nr. 5 VwGO. Der Wortlaut des § 52 Nr. 2 S. 3 VwGO stützt dieses Ergebnis allerdings nicht. Die Bestimmung enthält für eine Differenzierung danach, woraus sich die Pflicht der Aufenthaltsnahme in einem bestimmten Bezirk herleitet, keinen Anhaltspunkt. Sie kann sich nicht nur aus einer Zuweisungsentscheidung, sondern ebenso gut unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Besteht weder Anlass noch Möglichkeit, eine Zuweisungsentscheidung nach dem AsylVfG zu treffen, kann daher ebenso gut auf die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nach dem AsylVfG abgestellt werden, die sich der aktuell geltenden Aufenthaltsbestimmung jeweils anpasst (vgl. schon VG Ansbach, Beschl. v. 29.08.2001 - AN 10 K 01.31269 - in juris und v. 03.12.1998 - AN 17 K 98.34469 - NVwZ 1999, 328; ebenso BayVGH, Beschl. v. 18.1.2001 - 21 S 00.32364 - in juris).

Bestätigt wird dieser Ansatz auch von der ratio des § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1 VwGO. Er soll dazu dienen, die dezentrale gerichtliche Bewältigung der Asylverfahren und der damit unmittelbar zusammenhängenden Streitigkeiten zu ermöglichen (BVerwG, Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 11) und ist in diesem Sinne weit auszulegen (Ziekow in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 52 Rd. 18; VG Berlin, Gb. v. 08.02.2001 - 34 X 275.00 -; vgl. auch BayVGH, aaO). Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus der o.g. Entscheidung des BVerwG, da die örtliche Zuständigkeit nicht abschließend vom Vorliegen eines Zuweisungsbescheides abhängig gemacht wird."

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers selbst einräumt, dass nach den einschlägigen genannten Regelungen grundsätzlich Schweden für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Gericht folgt allerdings nicht der Auffassung des Antragstellers, dass hier ein Sonderfall vorliegt, der nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Drittstaatenregelung derartigen Rechtsschutz in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich macht.

Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten iSd Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-VO wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV).

Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. Dabei sind an die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen.

Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller vorliegend einen solchen Sonderfall nicht dargelegt. So ist es insbesondere nicht Aufgabe der zitierten Rechtsprechung, im Einzelnen die Asylrechtsprechung sicherer Drittstaaten gewissermaßen nochmals zu überprüfen und mit der entsprechenden deutschen Rechtsprechung bzw. deutschen Gesetzeslage "abzugleichen". Hierauf läuft jedoch das Vorbringen des Antragstellers hinaus, der im Wesentlichen rügt, sein Christentum sei in Schweden nicht hinreichend gewürdigt worden. Ein entsprechendes Vorbringen begründet keinen Ausnahmefall im Sinne der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Da der Asylantrag des Antragstellers in Schweden abgelehnt worden ist, muss er dementsprechend auch die dort offenbar übliche nunmehr anstehende Abschiebung nach dem Irak hinnehmen. Die genannten asylrechtlichen Regelungen haben insoweit nämlich - dies sei nochmals betont - nicht eine "Zweitprüfung" in der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand oder als Zielsetzung.

Vor diesem Hintergrund handelt es sich vorliegend bei einer möglichen Abschiebung des Antragstellers von Schweden aus in den Irak auch nicht um eine grundsätzlich unzulässige "Kettenabschiebung". In dem geschilderten Rechtssystem ist vielmehr eigentümlich, dass derzeit noch bestehende nationale Unterschiede in den jeweiligen Asylrechtsverfahren usw. hinzunehmen sind. Dies gilt auch für möglicherweise unterschiedliche Praxen im Hinblick auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen und Abschiebungen. Eine unzulässige "Kettenabschiebung" kann das Gericht vor dem Hintergrund, dass in Schweden grundsätzlich eine jeweilige Einzelfallprüfung im Asylverfahren vorgenommen wird und auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in Schweden derzeit kein rechtsstaatliches Verfahren bei Asylstreitigkeiten gewährleistet ist, nicht erkennen.