BlueSky

VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.07.2010 - 11 S 492/10 - asyl.net: M17302
https://www.asyl.net/rsdb/M17302
Leitsatz:

Keine zwingende Ermäßigung der Verwaltungsgebühr bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II und XII mangels planwidriger Regelungslücke. Eine geringe Leistungsfähigkeit kann ggf. im Betreibungsverfahren berücksichtigt werden, da Stundungen, Ratenzahlungen und letztlich auch ein Billigkeitserlass der Verwaltungsgebühren möglich sind.

Schlagwörter: Gebühr, Gebührenermäßigung, Niederlassungserlaubnis, Verwaltungsgebühr, SGB II, SGB XII, Ermessen, planwidrige Lücke, allgemeiner Gleichheitssatz
Normen: AufenthV § 50 Abs. 1 S. 2, VwGO § 114 S. 2, AufenthV § 52 Abs. 3, AufenthV § 52 Abs. 4, AufenthV § 52 Abs. 7, SGB II § 30 S. 1 Nr. 1, GG Art. 3 Abs. 1, AufenthV § 53
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise die vom Kläger geforderte Gebühr nach § 50 Abs. 1 Satz 2 AufenthV nicht ermäßigt oder von der Erhebung nicht abgesehen. Die im Berufungsverfahren ergänzten Ermessenserwägungen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) tragen diese Entscheidung.

Der Senat verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die er sich zu eigen macht (vgl. § 130b Satz 2 VwGO).

Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Vorbringen im Berufungsverfahren auszuführen: Die vom Kläger aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09) in mehrfacher Hinsicht gezogenen Schlussfolgerungen tragen schon deshalb nicht, weil das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont hat, die jeweiligen Regelsätze seien keineswegs der Höhe nach evident unzureichend und daher aus diesem Grund verfassungswidrig.

Für die vom Kläger für richtig gehaltene entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 4 Nr. 1 AufenthV besteht keine Grundlage. Es ist für den Senat schon nicht ersichtlich, dass eine planwidrige Lücke vorliegen könnte. Der Normgeber hat vielmehr ausdrücklich verschiedene humanitäre Aufenthaltstitel in § 52 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG in den Blick genommen und sich dahin gehend entschieden, nur diese unmittelbar zu befreien und den humanitären Aspekt im Übrigen nur nach Maßgabe des Einzelfalls im Rahmen des § 52 Abs. 7 AufenthG im Ermessenswege zu berücksichtigen. Diese ausdrückliche Differenzierung und Abstufung steht der Annahme einer Lücke entgegen. Für die Annahme einer Lücke kann auch nicht der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ins Feld geführt werden, da der Normgeber ein sehr weites rechtspolitisches Ermessen hat, in welchen Fällen und in welchem Umfang er Befreiungen ausspricht. In diesem Zusammenhang ist aber eine Ausdifferenzierung nach Maßgabe des unterschiedlichen Schutzstatus und dessen Qualität möglich, wenn sicherlich auch nicht zwingend.

Weiter übersieht der Kläger, dass in der Differenzierung des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthV einerseits und des Halbsatzes 2 andererseits die von der Beklagten vorgenommenen Ermessenserwägungen auch in Bezug auf den Befreiungstatbestand des § 52 Abs. 7 AufenthV angelegt sind bzw. ihre Rechtfertigung finden können. Wenn nämlich der Normgeber bei Beziehern von Leistungen nach SGB II und XII nur im Fall enumerativ aufgeführter Gebührentatbestände eine unmittelbare normative Befreiung vorsieht, folgt hieraus umgekehrt, dass er in den anderen nicht genannten Fällen grundsätzlich eine Belastung von Leistungsbeziehern mit der Gebühr für möglich und zumutbar ansieht und ggf. eine Berücksichtigung der geringen Leistungsfähigkeit dem Betreibungsverfahren vorbehält, in dem Stundungen und Ratenzahlungen eingeräumt werden können und letztlich auch ein Billigkeitserlass möglich ist. Der Unterschied liegt somit entscheidend darin, dass hier nicht von vornherein und generell auf die Gebührenforderung verzichtet wird, sondern im Falle eines Absehens von einer Befreiung im Einzelfall zunächst im Beitreibungsverfahren die weitere Entwicklung der Lebensverhältnisse der Betroffenen abgewartet wird. In vergleichbarer Weise muss aus der Differenzierung zwischen § 52 Abs. 3 und 4 AufenthV einerseits und Absatz 7 andererseits der Schluss gezogen werden, dass der humanitäre Aspekt nicht von vornherein und regelhaft zu einer Ermäßigung oder gar Befreiung zwingt. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund im Rahmen der wirtschaftlichen Bewertung der Situation des Klägers maßgeblich berücksichtigt, dass die hier infrage stehende Gebühr nach § 50 Abs. 1 Satz 2 AufenthV ohnehin im Vergleich zu den sonstigen für Niederlassungserlaubnisse vorgesehenen Gebührentatbeständen erheblich reduziert wurde, so vermag der Senat die Entscheidung auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger Schüler ist, nicht als ermessensfehlerhaft zu qualifizieren. Hinzu kommt, dass er nach dem vorliegenden Bescheid über die Bewilligung von Leistungen nach SGB II vom 18.12.2009 jedenfalls zum Zeitpunkt der Ermessensausübung durch die Beklagte über (geringes) Erwerbseinkommen verfügt und insoweit auch ein einkommensmindernder Freibetrag nach § 30 Satz 1 Nr. 1 SGB II den finanziellen Spielraum erhöht hat. Die vom Kläger missbilligte Differenzierung zwischen Minderjährigen und Volljährigen, wie sie im Ergebnis den Erwägungen der Beklagten zugrunde liegt, findet ihre Begründung darin, dass der hier infrage stehende Gebührentatbestand des § 50 Abs. 1 Satz 2 AufenthV ausschließlich Minderjährige betrifft und diese begünstigt. [...]