OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.07.2010 - 8 ME 139/10 - asyl.net: M17267
https://www.asyl.net/rsdb/M17267
Leitsatz:

1. Die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit gebietet nur dann die Aussetzung der Abschiebung, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht.

2. Unmittelbar steht die Eheschließung grundsätzlich nur dann bevor, wenn ein zeitnaher Eheschließungstermin von dem zuständigen Standesbeamten bestimmt oder zumindest von diesem als unmittelbar bevorstehend bezeichnet ist. Fehlt es an einem solchen Eheschließungstermin, kann ein unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung ausnahmsweise schon dann bejaht werden, wenn das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen nachweislich erfolgreich abgeschlossen ist und die Eheschließung sich nur aus nicht in der Sphäre der Verlobten liegenden Gründen verzögert.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Duldung, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, vorläufiger Rechtsschutz, Beschwerde, rechtliche Unmöglichkeit, Eheschließung, Scheinehe, Schutz von Ehe und Familie, Ehefähigkeit, Sachprüfung
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2, GG Art. 6 Abs. 1, PStG § 11
Auszüge:

[...]

Geht man zugunsten des Antragstellers davon aus, dass er seinen im erstinstanzlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag mit der Beschwerde unverändert weiter verfolgt, ist die Beschwerde zudem unbegründet. Denn aus den vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen ergibt sich kein Anspruch des Antragstellers auf eine weitere Duldung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet nach § 60a Abs. 2 AufenthG.

Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem Sinne kann sich etwa aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind.

Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C. 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -, juris Rn. 10 m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst dabei neben dem Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben grundsätzlich auch die Freiheit der Eheschließung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1, 42). Die so durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit gebietet aber nur dann die Erteilung einer Duldung im Hinblick auf eine beabsichtigte Heirat, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht (vgl. Senatsbeschl. v. 30.1.2009 - 8 ME 7/09 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.3.2002 - 11 ME 66/02 -; GK-AufenthG, Stand: Mai 2010, § 60a Rn. 138; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2010, AufenthG § 60a Rn. 30 jeweils m.w.N.).

Unmittelbar steht die Eheschließung aber grundsätzlich nur dann bevor, wenn ein zeitnaher Eheschließungstermin von dem zuständigen Standesbeamten bestimmt oder zumindest von diesem als unmittelbar bevorstehend bezeichnet ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 11.3.2010 - 19 CE 10.364 -, juris Rn. 3; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 4.4.2007 - 3 Bs 28/07 -, NVwZ-RR 2007, 559, 560; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9.2.2007 - OVG 3 S 5.07 -, NVwZ-RR 2007, 634; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 7.11.2006 - 7 ME 176/06 -, juris Rn. 8; GK-AufenthG, a.a.O., Rn. 140.1 jeweils m.w.N.). Ausnahmsweise kann auch schon dann ein unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung bejaht werden, wenn jedenfalls das - durch die Anmeldung der Eheschließung beim zuständigen Standesamt eingeleitete - Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit, also der Ehevoraussetzungen nach §§ 11 ff. Personenstandsgesetz - PStG - in der Fassung vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122) nachweislich erfolgreich abgeschlossen ist (vgl. Nr. 60a.2.1.1.2.1 i.V.m. Nr. 30.0.6 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 877); weitgehender noch Nr. 30.0.6 Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz EU).

Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann hingegen dann nicht ausgegangen werden, wenn aus in der Sphäre der Verlobten liegenden Gründen der Standesbeamte einen Termin zur Eheschließung nicht festsetzen kann (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 11.3.2010, a.a.O., Rn. 5; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.11.2001 - 11 S 1848/01 -, InfAuslR 2002, 228, 230 f.; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 4.4.2007, a.a.O.) oder der Präsident des Oberlandesgerichts über den Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses nicht abschließend entscheiden kann, weil es noch an Unterlagen fehlt oder sonst Zweifel oder Unklarheiten bestehen (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 11.3.2010, a.a.O., Rn. 5; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 4.4.2007, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16.5.2006 - 3 B 61/06 -, AuAS 2006, 242 f.).

Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass eine Eheschließung mit seiner deutschen Verlobten, Frau D., unmittelbar bevorsteht.

Ein Eheschließungstermin ist vom Standesbeamten des Standesamts E. bisher weder bestimmt noch als unmittelbar bevorstehend bezeichnet worden. Der Standesbeamte hat mit Zwischenbescheid über die Anmeldung der Eheschließung vom 6. Mai 2010 vielmehr darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Eheschließung noch nicht erfüllt sind und ein Antrag des Antragstellers auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet worden ist. Diesen Antrag hat der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts F. indes mit Schreiben vom 19. Mai 2010 an das Standesamt E. zurückgegeben und die Erteilung der vom Antragsteller begehrten Befreiung abgelehnt. Es bestünden zum einen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Eingehung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die weitere Ermittlungen des Standesbeamten erforderlich machten. Zum anderen seien vom Antragsteller noch vom kosovarischen Innenministerium, Abteilung für Registrierung und Personenstand (Department of Registration and Civil Status, vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo, Stand: Mai 2010, S. 11 f.), überbeglaubigte Ausfertigungen seiner Geburtsurkunde, seines Staatsbürgerschaftsnachweises und seiner Familienstandsbescheinigung beizubringen. [...]