OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 17.06.2010 - 4 Bf 51/10.AZ - asyl.net: M17241
https://www.asyl.net/rsdb/M17241
Leitsatz:

Ablehnung eines Antrags des BAMF auf Zulassung der Berufung gegen die Aufhebung eines Widerrufsbescheids durch das Verwaltungsgericht. Die vom BAMF als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage bezieht sich ganz allgemein darauf, ob sich die maßgeblichen Verhältnisse in Togo für alle zurückkehrenden Togoer, bei denen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden sind, nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben, ohne dass der Zulassungsantrag darüber hinaus - was notwendig wäre - darlegt, dass im vorliegenden Fall besondere individuelle Verfolgungsgründe nicht vorliegen.

Schlagwörter: Widerruf, Widerrufsverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Togo, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, individuelle Verfolgung, Änderung der Sachlage, Wahrscheinlichkeitsmaßstab,
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 4 S. 4, AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Aus den im Zulassungsantrag gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegten Gründen, die vom Berufungsgericht allein zu berücksichtigen sind, ergibt sich die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache weder im Hinblick auf die genannte Tatsachenfrage noch im Hinblick auf die gerügte Abweichung der angegriffenen Entscheidung von Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts Greifswald, des Verwaltungsgerichtshofs München und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

1. Die von der Beklagten - ganz allgemein - aufgeworfene Frage, "ob sich die maßgeblichen Verhältnisse in Togo nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verbessert haben, dass eine (erneute) Verfolgung für zurückkehrende Togoer, für die die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden waren, mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann", begründet keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Denn im Zulassungsantrag ist nicht dargelegt, dass sich die aufgeworfene Frage grundsätzlicher Bedeutung in dieser Form und Allgemeinheit in dem angestrebten Berufungsverfahren in entscheidungserheblicher Weise stellen wird. In einem nach Zulassung der Berufung durchzuführenden Rechtsmittelverfahren wäre vielmehr zu prüfen, ob im Falle des Klägers die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zu seiner Anerkennung als Flüchtling geführt haben, vorliegen. [...]

Die von der Beklagten in dem Zulassungsantrag als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage bezieht sich demgegenüber ganz allgemein darauf, ob sich die maßgeblichen Verhältnisse in Togo für alle zurückkehrenden Togoer, bei denen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden sind, nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben, ohne dass der Zulassungsantrag darüber hinaus - was notwendig wäre - darlegt, dass im vorliegenden Fall besondere personenbezogene Verfolgungsgründe nicht vorliegen. Weshalb es deshalb in dem hier angestrebten Berufungsverfahren nur auf diese allgemeinen Umstände ankommen soll, auf die alle nach Togo zurückkehrenden Flüchtlinge treffen, und nicht auch die weiteren spezifischen Besonderheiten des Einzelfalles des Klägers zu berücksichtigen sind, legt die Beklagte in dem Zulassungsantrag nicht dar. Sie legt auch nicht dar, dass es sich bei der aufgeworfenen Grundsatzfrage in der Sache um eine verallgemeinerungsfähige Individualprüfung im o.g. Sinne handelt, von deren Beantwortung die Entscheidung im zuzulassenden Berufungsverfahren allein, d.h. unabhängig von weiteren personenbezogenen Umständen, abhängig sei. Das wäre jedoch nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG für den Erfolg der Grundsatzrüge erforderlich. [...]

Die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht sei in der angefochtenen Entscheidung von dem von dem OVG Greifswald aufgestellten allgemeinen Rechtssatz, dass es in Widerrufsverfahren auf die konkreten für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus im Einzelfall maßgeblichen Umstände ankomme, abgewichen und das Verwaltungsgericht habe zwar nicht explizit, aber dennoch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es bei Widerrufsverfahren nicht auf eine individuelle Prüfung ankomme. Dies trifft nicht zu. [...]

3. Die Beklagte trägt weiter vor, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich aus einer Abweichung von der Entscheidung des VGH München (Beschl. v. 3.6.2009, 9 B 09.30074, AuAS 2009, 201 ff.). Der VGH München gehe davon aus, dass eine wesentliche Sachlagenänderung in Togo eingetreten sei, die generell eine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung der Flüchtlinge bei einer Rückkehr gewährleiste. Auch dieses Vorbringen führt nicht zum Erfolg.

Die Beklagte meint offenbar, der VGH München sei in der angeführten Entscheidung davon ausgegangen, dass bei der Frage, ob sich die politischen Verhältnisse in Togo nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert hätten, so dass eine erneute Verfolgung für zurückkehrende Togoer mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, nicht auf die individuellen Umstände des Einzelfalles abzustellen sei. Sollte, wie die Beklagte meint, der VGH München die politischen Verhältnisse in Togo auf dieser Grundlage beurteilt haben und hiernach zu dem Schluss gekommen sein, die Lage habe sich derart geändert, dass alle zurückkehrenden Togoer, gleich aus welchen Gründen sie Schutz vor Verfolgung erlangt hätten, bereits generell sicher vor erneuter Verfolgung seien, so käme die dargetane Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dieser Tatsachenbewertung in Betracht. Allerdings hat die Beklagte nicht dargelegt, dass es auf eine solche allgemeine Beurteilung der politischen Verhältnisse in Togo überhaupt entscheidungserheblich ankommt. Wie oben bereits näher ausgeführt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zu widerrufen, wenn sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat des Ausländers derart geändert haben, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, BVerwGE 126, 243, 247; Urt. v. 1.11.2005, BVerwGE 124, 276, 281). Der anzuwendende Maßstab ist danach ein individueller, d.h. die Gefährdung des Flüchtlings im Falle einer Rückkehr ist individuell unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu prüfen.

Sollte der VGH München hingegen davon ausgegangen sein, es komme zwar auf das individuelle Verfolgungsschicksal an, jedoch sei eine erneute Verfolgung aus dem Exil zurückkehrender Oppositioneller in Togo schon generell mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, so fehlt es an der Darlegung, inwiefern die Fälle gleich gelagert sind und es sich bei dem Kläger des vorliegenden Verfahrens um einen solchen Oppositionellen handelt, bei dem schon die von dem VGH München angenommene Veränderung der allgemeinen Verhältnisse in Togo zu einem Widerruf seines Flüchtlingsschutzes führen müsse und bei dem keine anderen individuellen Besonderheiten zu prüfen seien. Dies gilt ebenso für die von der Beklagten weiter mit dem Zulassungsantrag gerügte Abweichung der angefochtenen Entscheidung von Entscheidungen anderer erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte. Das genügt dem Darlegungserfordernis des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht.

4. Die weiterhin von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen Abweichung der angefochtenen Entscheidung von der Entscheidung des OVG Lüneburg (Beschl. v. 17.10.2007, 11 LA 204/07) liegt ebenfalls nicht vor. [...]

Mithin ist durch die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass im Rahmen des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft der herabgeminderte Prognosemaßstab in allen Fällen anzuwenden ist, in denen die geltend gemachte Gefahr erneuter Verfolgung auf Gründen beruht, die eine Verknüpfung mit der ursprünglichen Verfolgungsgefahr, die zur Anerkennung geführt hat, aufweisen. Dass das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung hiervon abgewichen ist, macht die Beklagte nicht geltend. [...]