Die im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens (§ 44 SGB X) nachzubewilligenden Leistungen (hier: erhöhte sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG statt Grundleistungen) dürfen nicht gekürzt werden. Die Rechtsprechung des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz ist insoweit missverständlich.
[...]
I. Richtige Beklagte ist die Stadt H. Im SGG gilt das Rechtsträgerprinzip (vgl. Urteil des Senats vom 25.02.2008 - L 20 SO 31/07). Soweit das Bundessozialgericht (BSG) demgegenüber die Behörde (im Falle der Stadt H: deren Oberbürgermeister) als richtigen Klagegegner ansieht (vgl. etwa BSG, Urteil v. 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R) folgt der Senat dieser Rechtsprechung (weiterhin) nicht. [...]
1. Nach Teilvergleich der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beschränkt sich der Streit nur mehr auf eine Nachzahlung von Leistungen für die Monate März bis Juni 2007. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Kläger, der seit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bis heute ununterbrochen der Leistungen nach dem AsylbLG bedarf, monatlich ein um 49,00 EUR zu geringer Nachzahlungsbetrag bewilligt, den die Beklagte unter entsprechender Änderung des Bescheides dem Kläger zusätzlich zu gewähren hat.
Denn in dem genannten, noch streitigen Zeitraum hat der Kläger als Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AsylbLG monatlich jeweils 199,40 EUR von der Beklagten gezahlt erhalten. Der Kläger erfüllte jedoch in diesem Zeitraum (was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist und wogegen auch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind) im Anschluss an einen 36-monatigen Vorbezug von Leistungen und mangels rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland sämtliche Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis zum 27.08.2007 geltenden Fassung (36-monatiger Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbL) für den Bezug der höheren Analogleistungen entsprechend den Regelungen des SGB XII. Damit standen ihm monatlich Leistungen entsprechend dem für ihn maßgebenden sozialhilferechtlichen Regelsatz nach dem SGB XII zu.
Der sozialhilferechtliche Regelsatz hätte für den Kläger als seinerzeit 15-Jährigem bei monatlich 276,00 EUR gelegen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 40 SGB XII i.V.m. der Regelsatzverordnung), so dass er von der Beklagten noch eine monatliche Nachzahlung der Leistungsdifferenz zwischen Regelsatz und tatsächlich erbrachten Leistungen von (276,00 - 199,40 =) 76,60 EUR unter Anrechnung des bereits aufgrund des angefochtenen Bescheides monatlich nachgezahlten Betrages von 27,60 EUR begehrt. Die sich ergebende streitige Leistungsbetrag beläuft sich daher auf monatlich (76,60 - 27,60 =) 49,00 EUR. [...]
3. Ist - gleichsam als ein erster Schritt - die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, so gehen ihre Rechtsauffassungen - in einem zweiten Schritt - allein zum Umfang der nachträglich zu bewilligenden Leistungen auseinander:
a) Anlass hierfür geben die Ausführungen des BSG, es sei zu beachten, dass ggf. Bedarfe, die durch das SGB XII hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten (a.a.O., Rn. 16), und nicht mehr bestehende Bedarfe seien wegen dieses sog. "Aktualitätsgrundsatzes" nicht mehr zu decken (etwa Urteil vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 49). Diese Ausführungen führten bei den Leistungsträgern zu Unsicherheiten hinsichtlich des Umfangs der ggf. nach § 44 SGB X nachzuerbringenden Analogleistungen (beispielsweise erfolgen bei der Beklagten in der im Tatbestand aufgeführten Weise Herausrechnungen aus dem Regelsatz wegen nicht mehr "nachholbarer" Bedarfsdeckungen für einzelne Regelsatzanteile. [...] Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte kommt noch in jüngster Zeit insoweit zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. etwa einerseits die vorliegend von der Beklagten angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Gelsenkirchen, andererseits das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 12.04.2010 - S 12 AY 89/09, das einen Nachzahlungsbetrag auf maximal 750,00 EUR beschränkt).
b) Der Beklagten ist zuzugeben, dass die Rechtsprechung des BSG zum sog. Aktualitätsgrundsatz bzw. zum Gegenwärtigkeitsprinzip jedenfalls zu Missverständnissen Anlass geben kann:
So hat der 8. Senat des BSG im Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 für die Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ausdrücklich ausgeführt, der Beginn des Bewilligungszeitraums am Monatsersten und die regelmäßig zwölfmonatige Leistungsbewilligung (§ 44 Abs. 1 SGB XII) zeigten, dass Leistungen nach §§ 41 ff. SGB XII "abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip" (das in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angewandt worden sei) nicht auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen beschränkt seien, sondern - wenn auch für einen bestimmten Zeitraum - abhängig von einem nur prognostischen Bedarf für einen längeren Zeitraum bewilligt und erbracht würden. Zum Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat das Gericht ausdrücklich ausgeführt, dem Gesetz sei mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, dass es entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "kein über § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) der Vorschrift des § 44 SGB X generell vorgehendes normatives Strukturprinzip (keine Leistungen für die Vergangenheit - Bedarfsdeckungsgrundsatz - Aktualitätsprinzip)" anerkenne (Beschluss vom 07.05.2009 - B 14 AS 3/09 B). Handelt es sich bei den Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII um solche, welche nach § 2 Abs. 1 AsylbLG als Analogleistung zu gewähren sind, und unterscheiden sich diese Leistungen nicht wesentlich auch von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, so scheinen die genannten Entscheidungen darauf hinzuweisen, dass einem Aktualitäts- oder einem Gegenwärtigkeitsprinzip bei nach § 44 SGB X nachträglich zu erbringenden Leistungen der Grundsicherung und damit auch bei nachträglich zu erbringenden Analogleistungen von vornherein keine Bedeutung zukommen kann.
Das BSG hat allerdings im Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R im Rahmen näherer Ausführungen zu einer rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen nach § 44 SGB X wiederum ausgeführt, es seien dabei ggf. Besonderheiten im Sozialhilferecht zu beachten, welche einer Leistungsgewährung für die Vergangenheit insbesondere bei einem Bedarfswegfall entgegenstehen können. Diene Sozialhilfe nach dem (vom BSG hier ausdrücklich herangezogenen) Gegenwärtigkeitsprinzip nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage (Rn. 13), müssten Sozialhilfeleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum nur erbracht werden, wenn die Notlage noch fortbestehe (Rn. 14). Bei Überprüfungen nach § 44 SGB X (bei denen regelmäßig die an sich mögliche zeitnahe Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Leistungsbewilligung mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht stattgefunden hat) verlange das Gebot der materiellen Gerechtigkeit im Sozialhilfebereich regelmäßig gerade nicht, dem (früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, derer er nicht (mehr) bedürfe; auf diese Weise werde sichergestellt, dass die nachträgliche Sozialhilfeleistung nicht den Charakter einer Entschädigung erhalte (Rn. 15). Dementsprechend könne für Bedarfe, die entgegen prognostischer Sicht doch nicht angefallen seien (etwa nicht nachholbare Einmalbedarfe für Klassenfahrten oder kostenaufwändige Ernährung), eine nachträgliche Leistungserbringung den Zweck der Sozialhilfe gar nicht erfüllen, und die ablehnenden Bescheide hätten sich bereits i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise erledigt (Rn. 17). In diesem Sinne ist der Sozialhilfeanspruch auch mit dem Begriff der "Existenzschwäche" belegt worden.
Gleichzeitig hat das BSG jedoch (a.a.O.) weiter ausgeführt, die Sozialhilfe könne ihren Zweck noch erfüllten, sofern eine Bedürftigkeit i.S.d. SGB XII ununterbrochen fortbestehe, z.B. durch eine vergleichbare Belastung etwa wegen vorheriger Bedarfsdeckung durch Aufnahme von Schulden (Rn. 18 f.). Für den Fall pauschalierter Leistungen, die - wie der Regelsatz in der Sozialhilfe - typisierend von einer Bedarfsdeckung ausgingen und nicht nur (wie im Falle eines Ernährungsmehrbedarfs) die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalierten, bedürfe es dabei nicht des Nachweises einer anderweitigen Bedarfsdeckung (z.B. durch Schuldenaufnahme), sofern die Pauschalleistungen nur der Befriedigung nicht nur eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienten; diese Pauschalen nähmen daher nicht an der sog. Existenzschwäche des Sozialhilfeanspruchs teil und seien bei fortdauernder Bedürftigkeit im Rahmen von § 44 Abs. 4 SGB X nachzuzahlen (Rn. 20).
c) Nach Ansicht des Senats zeigen diese letztgenannten Ausführungen des BSG (im Sinne einer Klarstellung) allein, dass nach zutreffender Sicht im Bereich der Sozialhilfeleistungen - und damit auch der den Leistungen nach dem SGB XII entsprechenden Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG - bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen regelmäßig von noch fortdauernden ungedeckten Bedarfen auszugehen ist. Die Bedarfslagen sind gesetzlich normativ über Regelsätze bestimmt; dabei kann der in den pauschalen Leistungssätzen enthaltene Ansparbedarf bei rechtswidriger Minderleistung bereits offensichtlich nicht (oder nicht voll) gedeckt werden und bleibt als weiterhin zu deckender Bedarf bestehen.
Die als fortbestehend anzusehende Bedarfslage erstreckt sich jedoch normativ nicht allein auf einen wie immer zu berechnenden Ansparanteil innerhalb der Regelleistung, sondern auf die Leistungen in Höhe des Regelsatzes insgesamt. Dies allein entspricht der Konzeption der pauschalen Regelsätze nach dem SGB XII bzw. bei den Analogleistungen, mit denen dem Hilfebedürftigen Mittel zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Verteilung auf seine Einzelbedarfe zur Verfügung gestellt werden sollen und in deren Rahmen er nicht nur seine jeweils aktuellen, sondern auch zukünftig anfallende bzw. in der Vergangenheit einstweilen zurückgestellte Bedarfe unter längerfristiger Ausgabenplanung (Ansparkomponente) in sein Wirtschaften mit einbeziehen soll. Ist deshalb dem insgesamt pauschalierten Regelsatzsystem auch ein längerfristiges, in die vorausschauende Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen gestelltes Wirtschaften immanent, so geht mit dieser normativen Setzung notwendig eine prinzipielle Nachholbarkeit von Ausgaben einher und können nachträgliche Leistungen bis zur Höhe des Regelsatzes auch einen zunächst rechtswidrig vorenthaltenen, normativ abgesteckten Bedarf nach wie vor decken und damit das Ziel der Sozialhilfeleistungsgewährung auch nachträglich noch erreichen. Wollte man hingegen die Nachholbarkeit von Bedarfsdeckungen nach einzelnen Bedarfsbereichen bestimmen, welche bei der Konzeption der Regelsätze als jeweilige Einrechnungsposten berücksichtigt wurden, liefe das dem gesetzlichen Pauschalprinzip entgegen.
Nicht anders dürften im Übrigen auch die Ausführungen des BSG im Urteil vom 26.08.2008 - B 8 SO 26/07 R zu verstehen sein, die Gewährung von Pauschalen (in jenem Fall im Rahmen von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz) zwängen nicht nur zu aktuellem, sondern auch zu vergangenheitsbezogenem und zukunftsorientiertem Haushalten, so dass sich im Rahmen von § 44 SGB X in einem solchen Fall das Problem eines zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls "wohl nicht" stelle.
d) An dieser Sicht ändert es nichts, wenn in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R zum Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) ein betragsmäßig genau bezifferter Anteil Berücksichtigung gefunden hat, der in die Regelleistungen (§ 20 SGB II) als Anteil für Warmwasserbereitung eingerechnet worden ist und über den hinaus bei nur untrennbar gemeinsam abgerechneten Kosten für Heizungs- und Warmwasserbereitungsenergie ein entsprechender Abzug bei den Heizkostenleistungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht gemacht werden darf. Denn insoweit ändert sich nichts an dem den Regelsätzen (bzw. im Bereich des SGB den Regelleistungen) zugrundeliegenden Prinzip einer pauschalen Erbringung mit eigenverantworteter Ausgabenverteilung beim Hilfeempfänger; diese Rechtsprechung hatte vielmehr einzig die Vermeidung einer Bedarfsunterdeckung bei der Berechnung der (von Regelleistungen bzw. Regelsätzen zu unterscheidenden und gerade nicht pauschaliert erbrachten) Leistungen für Heizkosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, entsprechend § 29 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) zum Gegenstand. [...]