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VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 19.04.2010 - 5 A 264/09 - asyl.net: M17125
https://www.asyl.net/rsdb/M17125
Leitsatz:

Zur Nebenbestimmung von Duldungen: Die Klage gegen eine auflösende Bedingung ist unzulässig, wenn die Bedingung nur aus vorausgegangenen Duldungen zeitlich verlängert wird und die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO abelaufen ist. Unabhängig davon ist die auflösende Bedingung hier auch ohne Begründung formell rechtmäßig (sog. intendiertes Ermessen).

Schlagwörter: Nebenbestimmung, Duldung, auflösende Bedingung, Verpflichtungsklage
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2, VwVfG § 36, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, GG Art. 19 Abs. 4, AufenthG § 60a Abs. 5 S. 2, GG Art. 1 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin wendet sich gegen eine ihrer Duldung beigefügte Nebenbestimmung. [...]

Die der Klägerin seit 2003 erteilten Duldungen enthielten folgende Nebenbestimmung: "Die Duldung erlischt mit der Mitteilung eines konkreten Abschiebungstermins." [...]

1. Die von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Duldung ohne die fragliche Nebenbestimmung ist als Verpflichtungsklage statthaft. Zwar ist nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts die Anfechtungsklage gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2000, - BVerwG 11 C 2.00 -, BVerwGE 112, 221). Gleichwohl kommt eine isolierte Anfechtung der Nebenbestimmung nicht in Betracht. Mit der Duldung kann und soll auf vorübergehende Vollstreckungshindernisse reagiert werden; dies begründet die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Befristung (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG II § 60 a RdNr. 53, 262) und weiterer Nebenbestimmungen, die auf den bloß vorübergehenden Charakter der Aussetzung der Abschiebung abstellen. Als integrierender Bestandteil einer Duldung ist die auflösende Bedingung nicht isoliert anfechtbar und aufhebbar (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05. März 2008, - 11 S 378/08 -, VBlBW 2008, 353).

Der Rechtsstreit hat sich auch nicht durch Ablauf der Gültigkeitsdauer der von der Klägerin in Bezug genommenen Duldung vom 12. Februar 2009 erledigt, da auch die später der Klägerin erteilten Duldungen eine solche Nebenbestimmung enthalten haben, das Begehren der Klägerin zudem in die Zukunft reicht und auch weiterhin von dem Beklagten erfüllt werden kann.

2. Die Klage ist unzulässig, da die fragliche Nebenbestimmung bestandskräftig ist.

Die im Wege der Verpflichtungsklage von der Klägerin angegriffene Nebenbestimmung in der am 12. Februar 2009 ausgestellten Duldung ist bereits bestandskräftig, da sie keine neue Regelung darstellt, die die Klägerin prozessual angreifen könnte, sondern da sie lediglich eine bereits zuvor - vor dem Ablauf der Frist des § 58 Abs. 2 VwGO - erlassene Regelung in ihrem zeitlichen Anwendungsbereich verlängert hat, ohne insoweit eine neue Regelung zu treffen.

Will eine Behörde bei dem Ablauf der mit einem Verwaltungsakt verbundenen Geltungsfrist das Fortbestehen der getroffenen Regelungen bewirken, so hat sie sowohl die Möglichkeit, diese inhaltlich erneut zu treffen - sogenannter Kettenverwaltungsakt -, als auch diejenige, durch bloße Änderung der dem Verwaltungsakt beigefügten Frist die bereits getroffenen Regelungen zeitlich zu erstrecken. Ob der vorangegangene Verwaltungsakt weiter Geltung beanspruchen kann oder eine Neuregelung vorliegt, bestimmt die aus dem objektivierten Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) auszulegende Entscheidung der Behörde (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.12.2008 - 19 CE 08.3404 - juris, Rn. 3; Nordrhein-Westfälisches OVG, Urteil vom 15. August 1996, 20 A 2777/94 -, NVwZ-RR 1998, 23 m.w.N.).

Ausweislich der Verwaltungsvorgänge waren die vor dem 12. Februar 2009 ergangenen Duldungen (unter anderem die Duldungen vom 09. August 2007 und vom 15. Februar 2008) bereits mit der hier streitgegenständlichen auflösenden Bedingung versehen. Diese wurden, genauso wie die Duldung vom 12. Februar 2009, lediglich jeweils verlängert und damit lediglich zeitlich erstreckt, ohne den Inhalt des Verwaltungsaktes zu ändern oder aufzuheben und hierdurch eine neue Regelung zu treffen, so dass es bei der bereits getroffenen Regelung blieb. Es ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass den Duldungen ein anderer Regelungsgehalt im Sinne einer jeweiligen Neuregelung innewohnen könnte. Die Klägerin, die ihre Rückführung durch Falschangaben, die Verweigerung zumutbarer Mitwirkungshandlungen bei der Passersatzpapierbeschaffung wie die Benennung ihrer früheren Wohnadresse und die wiederholte Vortäuschung einer freiwilligen Rückkehrabsicht ständig zu verzögern versucht hat, wusste, dass der Beklagte sie als bestandskräftig abgelehnte Asylbewerberin rückführen wollte und diese Rückführung auch betrieb; objektiv konnte ein Asylbewerber wie die Klägerin schlechterdings aus der Verlängerung der Duldung bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen nicht den Schluss ziehen, dass der Beklagte mehr erklären wollte, als lediglich deren zeitlichen Erstreckungsbereich zu verlängern.

3. Aber selbst bei Annahme eines sog. Kettenverwaltungsaktes und damit einer Neuregelung, welche die Klägerin dann - zu ihren Gunsten unterstellt - innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO rechtzeitig angefochten hätte, hat die Klage keinen Erfolg, da sie - insoweit begründungsalternativ und selbständig tragend - unbegründet ist. Eine derartige Nebenbestimmung kann der Duldung vom Grundsatz her beigefügt werden (a]). Sie ist formell rechtmäßig (b]) und insoweit insbesondere auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 37 VwVfG in Verbindung mit § 1 NdsVwVfG (aa) und hinreichend begründet (bb) sowie materiell rechtmäßig (c]). [...]

Ob es sich hierbei um eine "echte Nebenbestimmung" im Sinne von § 36 VwVfG handelt (vgl. Funke-Kaiser, GK-Aufenthaltsgesetz, Loseblattsammlung, Stand März 2010, § 60 a Rn. 91) oder um eine Nebenbestimmung im Sinne von § 61 Abs. 1 S. 2 AufenthG (vgl, Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattsammlung, Stand: Februar 2009, § 61 Rn. 21) ist umstritten. Nach Ansicht der Kammer findet eine derartige auflösende Bedingung ihre Rechtsgrundlage in der Verweisungsnorm des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, wonach bei - wie der Klägerin - vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern neben räumlichen Beschränkungen "weitere Bedingungen und Auflagen [...] angeordnet werden" können, in Verbindung mit § 36 VwVfG. Eine Bedingung ist nach der gesetzlichen Definition in §§ 36 VwVfG, § 1 NdsVwVfG (soweit hier von Bedeutung) eine Bestimmung, nach der der Wegfall einer Vergünstigung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt. Es handelt sich dabei um eine sogenannte auflösende Bedingung. Diese Bedingung beschränkt die Duldung "potentiell zeitlich", wie es gerade dem Wesen der auflösenden Bedingung entspricht, nach dem mit dem Zeitpunkt des Eintritts des ungewissen Ereignisses die Vergünstigung wegfällt, so dass der frühere Rechtszustand wieder eintritt (vgl. § 158 Abs. 2 BGB). Daraus, dass der Gesetzgeber in § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen hat, weitere Bedingungen und Auflagen der Duldung beizufügen, ergibt sich zugleich, dass es sich bei der Möglichkeit, der Duldung räumliche Beschränkungen beizugeben, um keine abschließende Regelung in Bezug auf Nebenbestimmungen handelt. Vielmehr gibt der Gesetzgeber mit § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Möglichkeit, auf das allgemeine Verfahrensrecht zurückzugreifen, hier auf § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 NdsVwVfG. [...]

Die Nebenbestimmung unterläuft auch nicht Art. 19 Abs. 4 GG, da selbst bei Mitteilung des Abschiebungstermins unmittelbar vor der Abschiebung es für die Klägerin noch möglich ist, im Wege des Eilrechtsschutzes - selbst innerhalb weniger Stunden - effektiven Rechtsschutz durch die hierzu berufenen Verwaltungsgerichte zu erlangen. Insoweit ist die Klägerin im Übrigen nicht schlechter gestellt, als wenn eine Duldung, der - wie von der Klägerin begehrt - die Nebenbestimmung nicht beigefügt wäre, in Anwendung des § 60 a Abs. 5 Satz 2 AufenthG als gebundene Entscheidung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung widerrufen würde.

Die Beifügung der Nebenbestimmung ist auch verhältnismäßig. Insbesondere fehlt es nicht - wie die Klägerin meint - an ihrer Erforderlichkeit. Kürzliche Änderungen ausländerrechtlicher Vorschriften beruhen auf der Erfahrung, dass Ausländer vor dem angekündigten Abschiebungstermin kurzfristig untertauchen, so dass eine Rückführung in vielen Fällen scheitert; Passersatzpapiere werden (von den Heimatbehörden) oftmals mit einer Gültigkeitsdauer von nur wenigen Tagen ausgestellt (BT-Drs.16/5065, S. 188 zu § 60 a Abs. 5 S. 4 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, BGBl. I 1970; vgl. Bayrischer VGH, Beschluss vom 10.09.2008 - 19 C 08.2207 - juris, Rn. 2). Daher ist für eine effektive Vollstreckung der Abschiebung die auflösende Bedingung erforderlich.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kann das Urteil des OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Dezember 2007 hier nicht herangezogen werden, da diesem - wie der Beklagte zutreffend ausführte - ein von dem hier zu beurteilenden Fall abweichender Sachverhalt zugrunde liegt. Nach dem dortigen Sachverhalt war der Ausländerbehörde ein konkreter Abschiebungstermin bei Erlass der auflösend-bedingten Duldung ("erlischt am Tage der benannten Ausreise") bereits bekannt gewesen und dieser dem Ausländer mitgeteilt worden, obwohl er zwei Tag später lag; eine Befristung der Duldung auf den Tag vor der Abschiebung erfolgte nicht, was unter anderem als Verstoß gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) angesehen wurde. Dass der Beklagten bei der Beifügung der auflösenden Bedingung zur Duldung bzw. bei der Verlängerung der Duldung ein konkreter Abschiebetermin schon bekannt gewesen ist, wurde von der Klägerin nicht vorgetragen. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten ein solcher. Termin bekannt war sind nicht ersichtlich.

Schlussendlich ist auch in Bezug auf das Schutzgebot des Art. 1 Abs. 1 GG darauf hinzuweisen, dass sich die Klägerin lediglich noch in der Vollstreckung ihrer bestandskräftig festgestellten Ausreisepflicht befindet. Sie muss permanent damit rechnen, dass nach Aufdeckung ihrer Identität und Nationalität auch eine Rückführung erfolgt; dieser - als belastend zu unterstellende - Zustand wird durch die auflösende Bedingung und in Anbetracht der oben geschilderten Möglichkeit, auch ohne eine solche Nebenbestimmung die Duldung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung kurzfristig zu widerrufen, nicht verbessert. [...]