OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 22.04.2010 - 4 Bf 220/03.A - asyl.net: M17103
https://www.asyl.net/rsdb/M17103
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung, da der Kläger als Mitglied der sozialen Gruppe (Art. 10 Abs. 1 d QRL) "der im Süden der Cote d'Ivoire lebenden Djoula" mangels erheblicher Verfolgungsdichte bei seiner Flucht im zweiten Halbjahr 2001 keiner Gruppenverfolgung unterlag, somit nicht vorverfolgt ist und ihm als Djoula bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche Gruppenverfolgung droht. Die Entscheidung enthält eine umfangreiche Quellenprüfung und -auswertung zur allgemeinen Entwicklung in der Cote d'Ivoire der letzten 10 Jahre, insbesondere der Verfolgungssituation von Djoula.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, Côte DIvoire, Djoula, Vorverfolgung, RDR, Muslime, Gruppenverfolgung, Regionale Gruppenverfolgung, Qualifikationsrichtlinie, soziale Gruppe, Verfolgungsdichte,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1,
Auszüge:

(...) Angehörige der Gruppe der Djoula sind mit Beginn des Bürgerkriegs im September 2002 für einen begrenzten Zeitraum jedenfalls in südlichen Teilen der Côte d’Ivoire einer Vielzahl von Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG ausgesetzt gewesen. Darin könnte gegebenenfalls eine - örtlich oder regional begrenzte - Gruppenverfolgung der Djoula zu sehen sein. Diese Frage kann jedoch offenbleiben, da zugleich festzustellen ist, dass eine etwaige Gruppenverfolgung dieses Personenkreises jedenfalls mit dem Abschluss des Friedensabkommens von Ouagadougou vom 4. März 2007, der damit einsetzenden schrittweisen Beruhigung der Lage auch im Süden der Côte d’Ivoire und der signifikanten Abnahme von Verfolgungshandlungen gegen Zivilpersonen nicht (mehr) gegeben war und – was im vorliegen Fall entscheidend ist - auch derzeit nicht stattfindet. Die vorliegenden Erkenntnisse lassen darüber hinaus auch die Prognose zu, dass der nicht vorverfolgte Kläger im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, in einem absehbaren Zeitraum als (moslemischer) Djoula und RDR-Anhänger von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von Art.9 der Richtlinie 2004/83/EG betroffen zu werden. Dazu im Einzelnen:

Für die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart lässt sich nicht feststellen, dass Angehörige der Gruppe der Djoula (und RDR-Anhänger) in Côte d’Ivoire einem ernsthaften Risiko ausgesetzt waren und/oder derzeit ausgesetzt sind, Opfer von Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG zu werden. Eine entsprechende Furcht des Klägers vor Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist daher nicht begründet.

Nach Abschluss des Abkommen von Ouagadougou im März 2007 zwischen Präsident Laurent Gbagbo und den ehemaligen Rebellen (FN) unter Führung von Guillaume Soro hat der dadurch eingeleitete Friedensprozess und der Prozess der Aussöhnung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen nach allen o.g. Quellen zu einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage und einer wesentlichen Abnahme von Gewalttätigkeiten geführt. In diesen - weiter fortschreitenden und sich vertiefenden – Aussöhnungs- und Einigungsprozess sind Vertreter aus allen Landesteilen der Côte d’Ivoire, aller dort vertretenen Ethnien und Religionen sowie Repräsentanten aller relevanten politischen Gruppierungen eingebunden. So wird die gegenwärtige Regierung von Guillaume Soro geführt, der aus dem Norden stammt und bis zum Friedensschluss im März 2007 Führer der FN war. Er arbeitet als Premierminister mit dem aus dem Süden stammenden, christlichen Präsidenten Laurent Gbagbo nach Quellenlage – trotz teilweise unterschiedlicher politischer Auffassungen – seit jetzt mehr als drei Jahren offenkundig konstruktiv und ohne schwerwiegenden Auseinandersetzungen zusammen. Der Regierung Soro gehören u.a. auch fünf Minister der islamisch orientierten RDR an, ohne dass dieser Umstand bisher zu ernsthaften ethnischen oder religiös bedingten Spannungen im Kabinett bzw. bei der Regierungsarbeit oder erheblichen Auseinandersetzungen im übrigen Bereich geführt hat. Für eine insoweit festzustellende relative Stabilität der politischen Verhältnisse in Côte d’Ivoire spricht u.a., dass ein Anschlag auf Premierminister Guillaume Soro am 29. Juni 2007, der mehrere Menschenleben forderte, und die Neubildung der Unabhängigen Wahlkommission sowie die Berufung einer neuen Regierung im Februar 2010 - abgesehen von zeitlich begrenzten lokalen Krawallen - nicht zu neuen schwerwiegenden Auseinandersetzungen zwischen den früheren Bürgerkriegsparteien geführt hat und dass diese Ereignisse von den Anführern bzw. Repräsentanten einzelner Parteien oder Ethnien nicht dazu verwandt worden sind, Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen (des Südens bzw. Nordens) zu schüren (vgl. Robert/Caspers, Konrad-Adenauer-Stiftung, „Siebenmal verschoben...., Die Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste, Januar 2010; Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Elfenbeinküste Januar und Februar 2008 und Quartalsbericht Oktober bis Dezember 2009; FAZ vom 6.11.2009, 15.2.2010, 24.2.2010, 1.3.2010; NZZ vom 24.2.2010; SZ vom 1.3.2010).

Zudem hat die nach dem Friedensvertrag von Ouagadougou aufgenommene Zusammenarbeit der früher verfeindeten Parteien und Ethnien – und insbesondere der diese Gruppen repräsentierenden ivorischen Eliten aus dem Norden, deren Benachteiligung für den Ausbruch des Bürgerkriegs mitverantwortlich war, und Repräsentanten des christlichen Südens - offenkundig zu einer Annäherung der Angehörigen dieser Gruppen geführt. Diese Parteien und Ethnien übergreifende Kooperation erfolgte dabei – und erfolgt weiter - in unterschiedlichen staatlichen (und nach dem Abkommen von Ouagadougou gemeinsamen) Institutionen wie Regierung, Militär und Verwaltung und diversen Kommissionen. Das gilt zum Beispiel für den sogenannten Ständigen Konzertierungsausschuss („Le Cadre permanent de concertation“ [CPC]), der in dem Friedensabkommen als Überwachung - und Dialogorgan eingesetzt worden ist und dem - neben dem Staatspräsident Gbagbo und Premierminister Soro – auch die Vorsitzenden der Oppositionspartei RDR, Ouattara, der früheren Einheitspartei PDCI, Bédié, sowie der ECOWAS-Vorsitzende (und Präsident von Burkina Faso) Compaoré angehören (vgl. VII 7.1 des Abkommens).

Diese gemeinsame Arbeit der früher verfeindeten Gruppen war – und ist weiter - zur Umsetzung der im März 2007 in Ouagadougou vereinbarten (Haupt-)Ziele offenkundig erforderlich (vgl. dazu Robert/Heuer, Konrad-Adenauer-Stiftung, Die Côte d’ zwischen Aufbruchstimmung und Skepsis; Stand Mai 2007; Robert, Konrad-Adenauer Stiftung, Das Abkommen von Ouagadougou, 9.1.2009; Hettmann, Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedensschluss in Ouagadougou). Das betrifft insbesondere die Wiederaufnahme einer gemeinsamen Verwaltung in allen Landesteilen und die Vereinigung der regierungstreuen Streitkräfte der Truppen aus dem Norden zu einer nationalen Armee (vgl. IV und V des Friedensabkommens). So fand im Rahmen der praktischen Umsetzung der in Ouagadougou vereinbarten Punkte („Implementierungsprozess“) beispielsweise im Mai 2009 die Übergabe der Kompetenzen der „Zonenkommandanten“ der ehemaligen Rebellen an die zivile Administration statt und konnte in diesem Zusammenhang mit der Wiederaufnahme regulärer Steuereinnahmen auch in den früheren Rebellengebieten begonnen werden (zunächst symbolisch in Bouaké, dem ehemalige Hauptquartier der FN). Zudem ist nach Quellenlage festzustellen, dass sich die politische Auseinandersetzung zwischen Regierung bzw. dem Präsidenten und der Opposition auch über wichtige kontroverse Themen zunehmend in „normalen“ gewaltfreien Bahnen abspielt. Das zeigte sich (beispielhaft) Anfang 2009, als Staatspräsident Laurent Gbagbo einen seiner engsten Vertrauten, den ehemaligen Innenminister Paul Yao-N’Dré, zum Vorsitzenden des einflussreichen Verfassungsrats ernannte (der u.a. über die Gültigkeit von Wahlen entscheidet). In diesem Streit wandte sich die Opposition an den offiziellen Schlichter, den burkinischen Staatspräsidenten Blaise Compaoré, der auch maßgeblich an dem Zustandekommen des Abkommens von Ouagadougou mitgewirkt hatte. Dass die ivorischen Machthaber und die Opposition mittlerweile die Bereitschaft zur Kooperation besitzen und über Instrumente und Strukturen verfügen, um Auseinandersetzungen über kontroverse politische und gesellschaftliche Fragen grundsätzlich ohne Anwendung von Gewalt zu lösen, belegt auch die Bewältigung der Krise, die im Februar 2010 durch die Ablösung des Vorsitzenden der Unabhängigen Wahlkommission (CEI) und die Auflösung der Regierung durch Präsident Laurent Gbagbo ausgelöst worden war. Den beteiligten Institutionen und Personen ist es insoweit gelungen, innerhalb weniger Wochen beide Organisationen einvernehmlich neu zu besetzen und insoweit eine Ausweitung anfänglicher lokaler gewaltsamer Auseinandersetzungen zu verhindern (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Juli bis September 2009 und Quartalsbericht Oktober bis Dezember 2009; FAZ vom 6.11.2009, 15.2.2010, 24.2.2010, 1.3.2010; NZZ vom 24.2.2010; SZ vom 1.3.2010).

Durch den dargelegten Prozess der Wiederannährung und Zusammenarbeit sowie des gewaltfreien Umgangs der politischen Klasse in wichtigen Streitfragen sind nach Quellenlage insbesondere bei der ivorischen Elite offenbar ein Teil der früher vorhandenen, wechselseitigen Vorurteile und Vorbehalte zwischen islamisch geprägtem Norden und christlich orientiertem Süden verringert bzw. abgebaut worden. Der Friedensund Aussöhnungsprozess in Côte d’Ivoire hat dadurch die Gefahr erheblich verringert, dass lokale - gegebenenfalls ethnisch bedingte - Konflikte, die nach Quellenlage noch in den letzen Jahren und bis in die jüngste Zeit vorgekommen sind (dazu näher unten) und die teilweise mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden waren, zu größeren lokalen oder gar regionalen Auseinandersetzungen mit ethnisch bedingtem Hintergrund geführt haben. In diesem Zusammenhang ist auf den von der Nationalen Unabhängigen Wahlkommission (CEI) erstellten Verhaltenskodex hinzuweisen, der im April 2008 in Anwesenheit des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, unterzeichnet worden ist und dem für das Fortschreiten der Aussöhnung der verschiedenen Volksgruppen in Côte d’Ivoire Bedeutung zukommt. In dieser Übereinkunft verpflichteten sich die politischen Parteien und die ivorische Regierung, während und nach der (Präsidentschafts-)Wahl bestimmte ethische Normen einzuhalten. Der Kodex untersagt insbesondere jede Andeutung bezüglich ethnischer Abstammung und religiöser Zugehörigkeit während der Wahlperiode. Dass die politische Klasse dagegen in größerem Umfang verstoßen und dadurch die Gefahr entsprechender Konflikte heraufbeschworen hat, ist derzeit nicht erkennbar. Insoweit hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die politischen Parteien in Côte d’Ivoire in der Resolution 1911 (2010) nochmals nachdrücklich aufgefordert, den von ihnen unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs unterzeichneten Verhaltenskodex für die Wahlen uneingeschränkt zu befolgen (dort ldf. Zif. 8).

Gleichwohl hat es nach Quellenlage auch noch nach dem Abkommen vom März 2007 in Côte d’Ivoire eine bestimmte Anzahl ethnisch und/oder parteipolitisch gefärbter Auseinandersetzungen gegeben. Diese Vorfälle waren nach den dazu vorliegenden Erkenntnissen jedoch nach Art, Umfang und Intensität nicht vergleichbar mit den Gewalttätigkeiten und den bewaffneten Auseinandersetzungen während des Bürgerkriegs im September 2002 und der Zeit unmittelbar danach. Zwar weist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - nachdem er zunächst die nachhaltigen Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage in Côte d’Ivoire gewürdigt hat - in den Resolutionen 1880 (2009) und 1893 (2009) zwar darauf hin, dass es nach wie vor in verschiedenen Teilen des Landes Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen gebe. Diese Aussage des Sicherheitsrats ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Côte d’Ivoire flächendeckend und in hoher Zahl von politisch oder ethisch oder religiös motivierter Gewalt überzogen sei. Dazu fehlt in den genannten Resolutionen auch jeder konkrete Hinweis.

Soweit nach den oben erwähnten sonstigen Erkenntnisquellen Vorfälle, die im Einzelnen mit schwerwiegenden Eingriffen in Individualrechte verbunden waren, bekannt geworden sind, waren diese Ereignisse lokal begrenzt und nicht, jedenfalls nicht in einer nennenswerten Zahl, ethnisch oder religiös begründet oder etwa vorrangig gegen Angehörige der Gruppe der Djoula gerichtet. Ursachen für gewalttätige Ausschreitungen waren vielmehr ganz überwiegend wirtschaftliche Gründe und/oder eine allgemeine Unzufriedenheit einzelner Bevölkerungsteile mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Côte d’Ivoire. So richtete sich die Demonstration vom 1. April 2008, bei der ein jugendlicher Demonstrant von Sicherheitskräften erschossen wurde, gegen die staatlich angeordnete erhebliche Verteuerung von Gütern des täglichen Bedarfs (u.a. Benzin), und hierauf reagierte die Regierung (zum Zweck der Lageberuhigung) noch am selben Tag mit einem Beschluss über Steuererleichterungen. Das Gleiche gilt für die Demonstrationen vom März und April 2009, bei denen zwei Personen getötet und zehn verletzt worden sein sollen (Amnesty International, Report 2009). Auch die Meutereien von Soldaten Ende Juni 2008 in den Städten Séguéla und Vavoua (Nordwesten/ehemaliges Gebiet der Ex-Rebellion) waren offenbar nicht ethnisch begründet; sie richteten sich nach Quellenlage gegen die Absetzung des dortigen Kommandanten. Zudem beruhigte sich die Lage, nach dem Premierminister Guillaume Soro am 1. Juli 2008 (und kurz danach auch Präsident Gbagbo) die Örtlichkeit aufgesucht und sich in den Streit eingeschaltet hatte (vgl. dazu Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Elfenbeinküste März, April, Oktober und November 2008).

Ethnische oder politische Gründe lassen sich auch nicht für die Vorfälle vom November 2008 feststellen. Das gilt sowohl für die Flucht von Häftlingen aus dem Gefängnis der Stadt Man (über 600 km nordwestlich von Abidjan im früheren Rebellengebiet) und die damit verbundenen Gewalttaten als auch für die Auseinandersetzungen in der Stadt Séguéla (rund 150 km von Man entfernt). Dabei sollen nach den vorliegenden Quellen nicht identifizierte, bewaffnete Personen das Munitionslager der

ehemaligen Rebellen der FN angegriffen und Häftlinge befreit haben, und bei dieser Aktion soll es zu Toten und Verletzten, auch unter der Zivilbevölkerung, gekommen sein. Diesen schwerwiegenden Vorfällen lässt sich aber ein gegen Angehörige einer bestimmten Volksgruppe gerichtetes Ziel nicht entnehmen. Sie führten auch nicht zu länger andauernden, ethnisch oder politisch motivierten Folgetaten, etwa gegen (moslemische) Djoula oder Anhänger bestimmter Parteien. Soweit es - ebenfalls noch im November 2008 - in Guibéroua (im Westen des Landes) zu einer Auseinandersetzung zwischen Anhängern des Führers der Gbagbo-treuen „Young Patriots“, Charles Blé Goudé, und Mitgliedern der Jugendorganisation der PDCI gekommen ist, sind aus diesem Parteienstreit nach Quellenlage erhebliche Weiterungen mit Personenschäden nicht entstanden (siehe dazu Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht Elfenbeinküste November 2008).

Soweit es in Côte d’Ivoire in jüngster Vergangenheit und bis in die Gegenwart in bestimmten Landesteilen über die geschilderten Vorfälle hinaus in größerer Zahl zu verschiedenen Straftaten gegen Leib, Leben und/oder Eigentum von Privatpersonen, wie etwa Raubüberfällen und Straßensperren mit gewaltsamer Verschleppung, gekommen ist - betroffen waren davon insbesondere Abidjan und andere großen Städte sowie vor allem Überlandstraßen - , war (und ist) für diese Straftaten nach den o.g. Quellen – neben der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut von weiten Teilen der Bevölkerung – der Umstand (mit-)ursächlich, dass es in einigen Landesteilen, insbesondere im Norden, noch an ausreichenden Sicherheitskräften fehlt (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Landesspezifische Sicherheitshinweise, Stand 17.11.2009; UNHCR, Positionspapier vom Juli 2007). Eine insoweit bestehende hohe Kriminalitätsrate in Côte d’Ivoire und das damit verbundene Risiko, in diesem Land Opfer von schweren Straftaten zu werden, begründet für sich genommen keine anzuerkennende Furcht vor Verfolgungshandlungen nach Art. 9, 10 der Richtlinie 2004/83/EG und insoweit auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Soweit der Sicherheitsrat in den genannten Resolutionen 1880 (2009) und 1893 (2009) noch auf die hohe Zahl von sexuellen Gewalthandlungen in der Côte d’Ivoire hingewiesen hat, betrifft dies dort lebende Mädchen und Frauen und insoweit vor allem den Tatbestand, dass in diesem Land von bestimmten dort lebenden Ethnien eine menschenrechtswidrige Zwangsbeschneidung praktiziert wird. Davon ist der Kläger nicht betroffen.

Nach den genannten Erkenntnisquellen ist auch nicht zu befürchten, dass sich die Situation in Côte d’Ivoire im Hinblick auf eine mögliche Verfolgung (moslemischer) Djoula und Anhänger der RDR in einem zukünftigen, überschaubaren Zeitraum ändern wird und deshalb mit der hier notwendigen beachtlichen Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer zukünftigen Gruppenverfolgung besteht. Für eine mögliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne lassen sich derzeit auseichende Anhaltspunkte nicht feststellen:

Zwar ist der oben näher beschriebene Friedens- und Aussöhnungsprozess noch nicht abgeschlossen und sind die Hauptpunkte, die nach dem Abkommen von Ouagadougou umgesetzt werden sollen – insbesondere Durchführung des Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsprogramms; Identifizierung der Bevölkerung und Registrierung der Wähler zum Zwecke der Aufstellung glaubhafter Wählerverzeichnisse; Entwaffnung und Auflösung der Milizen; Wiederherstellung der Staatsgewalt und Wiedereinsetzung der Verwaltung und der öffentlichen Dienste im gesamten Hoheitsgebiet Côte d’Ivoires; technische Vorbereitung und Durchführung der Wahlen; Neugliederung der Streitkräfte - noch nicht vollständig umgesetzt und gibt es insbesondere bei der Demobilisierung der früheren Rebellen und der Etablierung einer flächendeckenden Verwaltung im Norden der Côte d’Ivoire nach Quellenlage teilweise noch erhebliche Defizite (vgl. Robert/Caspers, Konrad-Adenauer-Stiftung, „Siebenmal verschoben...., Die Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste). Auch ist für die im November 2009 erneut verschobenen Wahlen noch kein neuer Termin bestimmt. Die Wahlverschiebung beruhte offenbar aber nicht auf einer Willkürentscheidung des Präsidenten Gbagbo zum Zweck seiner Machtsicherung. Vielmehr war dafür ursächlich, dass die notwendigen Wählerlisten aufgrund technischer und verwaltungsorga-nisatorischer Probleme (immer noch) nicht erstellt werden konnten. Für die Verschiebung der Wahlen hat sich im Übrigen nicht nur der Präsident Laurent Gbagbo ausgesprochen, der nach Umfragen dabei wahrscheinlich eine klare Mehrheit errungen hätte (ca. 43 % gegenüber geringeren Anteilen für die Mitbewerbern Bédié und Ouattara); auch die Opposition bzw. die FN sind für eine Wahlverschiebung eingetreten (FAZ 6.11.2009). Trotz dieser Wahlverzögerung, die (wie die vorangegangene mehrfache Aufhebung bereits festgesetzter Wahltermine) bisher offenkundig nicht zu größeren innenpolitischen Spannungen geführt hat, spricht nach einer Gesamtbewertung der Quellen gleichwohl keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die insoweit bereits erreichten Fortschritte bei der Aussöhnung der unterschiedlichen Bevölkerungs-gruppen und der Zusammenführung der früher getrennten Landesteile in absehbarer Zeit wieder zunichte gemacht werden und dass die Lage in Côte d’Ivoire auf den Stand vor dem Abkommen von Ouagadougou zurückfällt.

Einem solchen Rückfall der Côte d’Ivoire in ein Stadium gewaltsamer, ethnischer, religiöser und/oder politischer Auseinandersetzung dürfte neben der oben beschriebenen zunehmenden Verstetigung und der - jetzt mehrjährigen - Dauer des Friedens- und Aussöhnungsprozessen auch entgegen wirken, dass dieses Land weiter unter strikter Beobachtung internationaler Organisationen steht und dass Côte d’Ivoire für den Fall des Abbruchs des in Ouagadougou vereinbarten Einigungsprozesses mit erheblichen (auch wirtschaftlichen) Nachteilen zu rechnen hätte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit über die bisher etwa von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen (Waffenembargo, Verbot des Diamantenexports) hinausgehen würden. An einer solchen Verschlechterung insbesondere auch der wirtschaftlichen Verhältnisse (u.a auch durch Abbruch internationaler [Finanz-]Hilfe) und einer Eintrübung der außenpolitischen Beziehung Côte d’Ivoires) dürften weder die gegenwärtigen Machthaber noch die ivorische Opposition noch Repräsentanten von einzelnen Volksgruppen interessiert sein. Auch halten sich nach wie vor Vertreter internationaler Organisationen und anderer Nationalstaaten in Côte d’Ivoire auf, und negative Veränderungen der Lage blieben insoweit nicht unerkannt. Das gilt etwa für Vertreter der Vereinten Nationen, in deren Auftrag weiterhin (reduzierte) Sicherheitskräfte in Côte d’Ivoire stationiert sind (UNOCI). Zudem befindet sich in dem Land schon seit 2004 eine vom Sicherheitsrat eingesetzte Sachverständigengruppe, die ungehinderten Zugang zu friedensrelevanten, insbesondere militärischen Ausrüstungen, Orten und Anlagen sowie Einheiten hat und diese kontrollieren darf (vgl. Resolution Nr. 1893 vom 29.10.2009, lfd. Zif. 5). Insoweit hat der Sicherheitsrat in seiner letzten Resolution vom 28. Januar 2010 (Zif. 11 der Resolution 1911 [2010]) besonders darauf hingewiesen, dass er uneingeschränkt bereit ist, gezielte Maßnahmen nach Ziffer 20 der Resolution 1893 (2009) zu verhängen, unter anderem auch gegen Personen, die entschlossen sind, den Friedensprozess und den nationalen Aussöhnungsprozess Côted’Ivoire zu bedrohen. Ebenso unterhält Frankreich in Côte d’Ivoire nach wie vor ein - ebenfalls wegen der entspannten Sicherheitslage auf 900 Personen reduziertes – Militärkontingent, das zusätzlich in diesem Land friedenssichernde und beobachtende Aufgaben wahrnimmt. Weiter ist in den Friedens- und Aussöhnungsprozess die „International Crisis Group“ (NRO) implementiert, die insbesondere in Bezug auf die Vorbereitung der Präsidentenwahl und ihre Durchführung bereits in der Vergangenheit in Krisensituationen tätig geworden ist und von der weiterhin eine die politische Entwicklung in Côte d’Ivoire stabilisierende Funktion erwarten werden kann. So hat die NRO sich beispielsweise im August 2009 gegen den Personalvorschlag des Präsidenten Gbagbo betreffend den Vorsitz des Verfassungsrats gewandt und für diese Funktion eine politisch neutrale Person gefordert (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Juli bis September 2009).

Zusätzlich zu den genannten Umständen dürfte die wirtschaftliche Entwicklung seit Beginn des Friedensprozesses zu einer weiteren Stabilisierung der Lage in Côte d’Ivoire beitragen und einem Rückfall in gewaltsame Auseinandersetzungen im größeren Umfang mit vorbeugen. Die ivorische Regierung ist nach Quellenlage offensichtlich bemüht, die Wiederbelebung der Wirtschaft des Landes weiter zu verstärken. Entsprechend ist die Wirtschaftsleistung nach den vorliegenden Quellen auch im Jahr 2007 um 2 % und 2008 um 3 % gestiegen. Zu dieser wirtschaftlichen Erholung dürfte weiter der Umstand beitragen, dass der Kakaopreis – die Côte d’Ivoire ist insoweit mit einem Anteil von 38 % nach wie vor das weltweit wichtigste Erzeugerland – allein im Jahr 2009 um annähernd 30 % gestiegen ist (Preis je Tonne im Mai 2009 ca. 2.400 US-Dollar, im November 2009 ca. 3.200 US-Dollar, FAZ 27.11.2009). Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung hat der französische Außenhandelsminister im Februar 2009 bei einem Besuch in Côte d’Ivoire erklärt, Frankreich wolle sich aktiv am Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beteiligen. Ebenso wollen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds ab 2010 die von der ivorischen Regierung eingeleiteten Reformen im Wirtschaftsbereich (u.a. Restrukturierung wichtiger landwirtschaftlicher Sektoren wie der Kakao-Vermarktung) mit einem umfangreichen Begleitprogramm unterstützen (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Januar bis März 2009).

Letztlich kommt auch dem Umstand, dass nach Darstellung des UNHCR sowohl ivorische Flüchtlinge (jedenfalls seit 2008) zunehmend wieder in ihren Heimatstaat zurückkehren als auch Personen, die nach dem Bürgerkrieg im Herbst 2002 innerhalb der Côte d’Ivoire geflüchtet sind, wieder ihre früheren Aufenthaltsorte aufsuchen, eine gewisse Bedeutung bei der Beurteilung einer dauerhaften Stabilität der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Staat zu. Der UNHCR unterstützt nach den oben genannten Quellen die Heimkehr und Integration dieser Flüchtlinge und arbeitet dazu auch mit staatlichen Stellen und nicht staatlichen Organisationen zusammen (vgl. dazu UNHCR, Global Appeal, Côte d’Ivoire, 2009, Update, und Global Report 2008, Côte d’Ivoire). Diese (Rückkehr-)Maßnahmen dürfte der UNHCR (nur) unter der Annahme einer gewissen politischen und gesellschaftlichen Stabilität in Côte d’Ivoire fördern. (...)