VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 04.11.2009 - 5 K 7705/08.A - asyl.net: M17050
https://www.asyl.net/rsdb/M17050
Leitsatz:

Die Behandlung von Depressionen und PTBS ist nach den seit Jahren gleichbleibenden Auskünften des Auswärtigen Amtes in Armenien gewährleistet und erfolgt kostenlos und auf gutem Standard. Die (kostenlose) Verfügbarkeit von Medikamenten ist jedoch problematisch.

Schlagwörter: Wiederaufnahme des Verfahrens, Armenien, Posttraumatische Belastungsstörung, psychische Erkrankung, Depression, Sachverständigengutachten, Retraumatisierung, Suizidgefahr, Erdbeben, Abschiebungsverbot, medizinische Versorgung, Mitgabe von Medikamenten, Auswärtiges Amt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Behandlung von Depressionen ist nämlich - wie im Übrigen auch die Behandlung von PTBS-Erkrankungen - nach den seit Jahren gleichbleibenden Auskünften des Auswärtigen Amtes auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos (vgl. so zuletzt wiederum Berichte des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 18. Juni 2008 (S. 14) und vom 11. August 2009 (S. 15)).

Das Personal der entsprechenden Kliniken ist gut ausgebildet und verfügt u.a. auf Grund der Erdbebenkatastrophen und des Berg-Karabach Konfliktes über große Erfahrungen gerade im Umgang mit PTBS, Depressionen sowie Suizidgefahr (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft in Eriwan vom 25. Juii 2005 an das OVG Schleswig).

Davon, dass die von dem Gutachter festgestellte psychische Erkrankung der Klägerin bei einer Rückkehr in den Heimatstaat fachärztlich nicht behandelbar oder die fachärztliche Behandlung nicht finanzierbar sei, kann also keine Rede sein. Hat der Patient in Armenien ein Anrecht auf unentgeltliche Behandlung, dann wird er sie auch erhalten; sollte sie ihm verweigert werden, kann er sich entweder an das Gesundheitsministerium wenden oder den Rechtsweg wählen, auf dem mit einer Entscheidung innerhalb von zwei Monaten gerechnet werden kann (vgl. Auskünfte der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Eriwan an das VG Schleswig vom 16. August 2007 (RK-10-516.80/1788)).

Nach dem Ergebnis des Gutachtens ist bei einer Rückkehr nach Armenien auch die Fortführung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva erforderlich, um einer wesentlichen Krankheitsverschlechterung zu begegnen.

Nach den zitierten Lageberichten des Auswärtigen Amtes ist zwar die (kostenlose) Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch; gängige Medikamente sind in den Apotheken aber gegen Bezahlung erhältlich und wesentlich billiger als in Deutschland. Zu den gängigen, in den Apotheken erhältlichen Medikamenten gehören auch Antidepressiva (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft in Eriwan vom 25. Juli 2005 an das OVG Schleswig).

Was die Finanzierungsmöglichkeit einer medikamentösen Behandlung durch die Klägerin angeht, bei der sie sich mögliche Hilfestellungen ihrer Familie zurechnen lassen muss, hat das Bundesamt in seinem angefochtenen Bescheid unter Bezugnahme auf den zitierten Lagebericht bereits das erforderliche - d.h. zu den zu erwartenden Kosten und zu den Gründen, aus denen angenommen werden kann, dass die Klägerin und ihre Familie diese Kosten tragen können - gesagt.

Da Depressionen und PTBS in Armenien auf gutem Standard behandelt werden können, bestehen auch keine Zweifel, dass dort auch aufgrund dieser Erkrankungen suizid- und/oder retraumatisierungsgefährdete Patienten und Patienten angemessen behandelt werden können, da auch diese Krankheitsentwicklungen zum Krankheitsbild von PTBS und Depression gehören können. Dementsprechend sind der Deutschen Botschaft in Eriwan Fälle bekannt, in denen nach entsprechender Vorbereitung durch die Ausländerbehörde, die durch die Botschaft unterstützt wurden, Personen mit schweren depressiven Störungen und Suizidgefahr - in Begleitung eines Arztes - nach Armenien abgeschoben und dort unmittelbar in die Betreuung eines Facharztes oder einer Klinik übergeben wurden (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft in Eriwan vom 25. Juli 2005 an das OVG Schleswig). [...]

Auch die seit der Begutachtung mithin eingetretene Verschlimmerung der Erkrankung der Klägerin löst keinen Schutzanspruch aus. Wie sich aus dem bereits oben Dargelegten ergibt, kann die Klägerin auch die ärztliche und medikamentöse Behandlung, die nach den Angaben in dem Attest der ... vom 22. Oktober 2009 erforderlich ist, in Armenien erlangen. Denn die Behandelbarkeit der psychischen Erkrankung der Klägerin aus dem Formenkreis der Depression ist in Armenien danach auf gutem Standard gewährleistet und die ärztliche Behandlung erfolgt auch kostenlos. Gängige Medikamente, wie sie die Klägerin des Weiteren benötigt (Neuroleptika und Antidepressiva), sind in den Apotheken erhältlich. Zur Frage der Finanzierung der Medikamente gilt - auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die derzeitige Medikamentierung ausweislich der im Internet zugänglichen Medikamentenpreise etwas teurer ist als die bisherige - dennoch das oben Gesagte. Nach Auffassung des Gerichtes sind die im angefochtenen Bescheid angestellten Erwägungen zur (günstigen) finanziellen Situation der Kläger, die das Bundesamt aus dem Umstand folgerte, dass es ihnen möglich war, die erheblichen Kosten für die Einreise nach Deutschland aus ihrem Vermögen aufzubringen, auch deshalb überzeugend, weil die Kläger diesen ihnen bekannten Erwägungen im Laufe des Klageverfahrens nicht überzeugend und substantiiert entgegengetreten sind. Unabhängig davon könnte es den Klägern auch nicht abgenommen werden, wenn sie sich darauf beriefen, in Armenien auch keine finanzielle Hilfe bei Familienangehörigen finden zu können. Ihre diesbezügliche Glaubwürdigkeit haben sie zerstört, weil sie in der Vergangenheit ihre wahre Identität verschleiert, ihr erstes Asylverfahren unter falschem Namen geführt und dies erst unter dem Druck entsprechender Ermittlungen deutscher Behörden in Armenien, bei denen die armenische Staatsangehörigkeit jedenfalls der Kläger zu 1. und 2. festgestellt wurde, zugegeben haben. Vor diesem Hintergrund kann evtl. Behauptungen der Kläger zu einer angeblichen Mittellosigkeit oder zu einer sozial-familiären Beziehungslosigkeit in Armenien, deren Richtigkeitsfeststellung allein auf der Glaubwürdigkeit der Kläger beruhen könnte, nicht geglaubt werden. [...]

Abschließend sei zur Klarstellung auf Folgendes hingewiesen: Da die Klägerin nach dem Ergebnis des eingeholten Gutachtens in der ersten Zeit nach einer eventuellen Abschiebung nach Armenien bis zu einer eventuellen Umstellung auf ein wirkungsgleiches Medikament auf die Fortführung der im Zeitpunkt der Abschiebung bestehenden Medikation und nach dem Attest der auf regelmäßige psychotherapeutische Gespräche angewiesen ist, wird die zuständige Ausländerbehörde vor einer Abschiebung sicherzustellen haben, dass die Klägerin schon unmittelbar nach der Einreise diese Mittel weiter einnehmen und die psychotherapeutische Gesprächsbehandlung fortsetzen kann. Sollte sich daher nach einer Klärung durch das Ausländeramt herausstellen, dass in Armenien diese Mittel nicht erhältlich sind, wird die Ausländerbehörde der Klägerin bei der Abschiebung eine - für ca. sechs Monate - ausreichende Menge dieser Arzneimittels zur Verfügung stellen müssen, um die abschiebungsbedingt erforderliche medizinische Reinegration im Übergangszeitraum (der Medikamentenumstellung) sicherzustellen. Aus dem gleichen Grunde wird sie unter Mithilfe der Deutschen Botschaft in Armenien dafür Sorge zu tragen haben, dass die Klägerin zur Fortsetzung der psychotherapeutischen Geprächsbehandiung dort unmittelbar in die Betreuung eines Facharztes übergeben werden kann. [...]