OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12.04.2010 - 11 LA 54/10 - asyl.net: M16947
https://www.asyl.net/rsdb/M16947
Leitsatz:

Widerrufsverfahren: Keine grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob die Verfolgung eines Kurden, der in der Türkei wegen Unterstützung der PKK verfolgt worden ist, heute mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist, da dies nur im Einzelfall klärbar ist.

Schlagwörter: Widerruf, Türkei, PKK, Berufungszulassung, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1, AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Die Grundsatzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Der Kläger sieht es als grundsätzlich klärungsbedürftig an "ob die Verfolgung eines Kurden, der in der Türkei wegen Unterstützung der PKK verfolgt worden ist, heute mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist".

Diese Frage entzieht sich jedoch der für die Zulassung wegen Grundsatzbedeutung erforderlichen (vgl. nur GK-AsylVfG, § 78 Rn. 88, m.w.N.) fallübergreifenden generellen Klärung. Wie sich bereits eindeutig aus dem Urteil des Senats vom 18. Juli 2006 ergibt, kann die aufgeworfene Frage nicht generell bejaht werden. Sie kann aber auch nicht - wie vom Kläger gewünscht - ausnahmslos verneint werden. Es gibt Fälle, in denen auch ein vormals wegen Unterstützung der PKK in das Blickfeld geratener Kurde heute vor einer erneuten asylrelevanten Verfolgung hinreichend sicher sein kann. Beispielsweise sollen selbst die acht ehemaligen PKK-Mitglieder, die u.a. am 19. Oktober 2009 öffentlichkeitswirksam über den Grenzübergang Habur in die Türkei zurückgekehrt sind, sowie Angehörige einer zweiten, am 12. November 2009 in die Türkei zurückgekehrten Gruppe von PKK-Kämpfern bisher keinen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein (vgl. Österreichisches Bundesasylamt, Aktueller Stand im türkischen Kurdenkonflikt, 27.11.2009, S. 7; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Pressespiegel Türkei, Berichte v. 11. und 12.1.2010, 8.2.2010, 16.2.2010). Allerdings drohen 30 dieser PKK-Mitglieder nach einem Bericht in der "Süddeutschen Zeitung" vom 9. April 2010 (S. 7) "bis zu 20 Jahre … Gefängnis". Nach einer anderen Quelle (ANF v. 4.4.2010, ISKU - Informationsstelle Kurdistan) hat die Staatsanwaltschaft Diyarbakir Anklage gegen 17 Personen dieser 34köpfigen Gruppe wegen "PKK-Propaganda" während einer Presseerklärung am 30. November 2009 erhoben. Die aufgeworfene Frage ist demnach in jedem Einzelfall zu beantworten (vgl. zuletzt etwa Senatsbeschl. v. 27.1.2010 - 11 LA 428/08 -, sowie v. 10.12.2008 - 11 LA 406/08 -, jeweils m.w.N.), und zwar beispielhaft, aber nicht abschließend in Abhängigkeit von der jeweiligen Art und Weise der früheren Unterstützung der PKK, der Intensität der ursprünglichen Verfolgung, der seitdem verstrichenen Zeit, der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der heutigen, inzwischen ggf. veränderten Verfolgungspraxis seitens der türkischen Strafverfolgungsorgane sowie der Sicherheitskräfte und natürlich auch des Verhaltens des Betroffenen in der Türkei bzw. im Ausland seit dem Verlassen der Türkei sowie ggf. der Aktivitäten seiner Verwandten oder anderer Beteiligter. Da insoweit auch in einem Berufungsverfahren keine weitergehende verallgemeinerungsfähige Klärung möglich erscheint, kommt eine Zulassung der Berufung auch nicht unter dem Blickwinkel in Betracht, dass den vom Kläger angeführten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen in vergleichbaren Widerrufsfällen möglicherweise eine zumindest graduell unterschiedliche Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung von kurdischen Volkszugehörigen, die in der Türkei vormals die PKK unterstützt haben oder auch nur in einen entsprechenden Verdacht geraten waren, zu Grunde liegt. [...]