OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.03.2010 - 11 ME 30/10 - asyl.net: M16941
https://www.asyl.net/rsdb/M16941
Leitsatz:

AIDS-Erkrankungen können in allen türkischen Provinzen, in denen sich Universitätskrankenhäuser befinden, behandelt werden. Sämtliche für eine antiretrovirale Therapie erforderlichen Medikamente können in der Türkei besorgt werden. Nach dem am 1.10.2008 in Kraft getretenen zweiten Gesetz zur Sozialversicherungsreform wird die gesetzliche Krankenversicherung in der Türkei auf alle Personengruppen ausgedehnt; auch bislang unversicherte Mittellose werden einbezogen. Während einer Übergangszeit von zwei Jahren erhalten Mittellose die Leistungen noch über die Yesil Kart, die sog. "Grüne Karte".

Schlagwörter: Rücknahmebescheid, Aufenthaltserlaubnis, Abschiebungsverbot, HIV/AIDS, Türkei, medizinische Versorgung, türkische Staatsangehörige, Yesil Kart
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Soweit die Antragsteller geltend gemacht haben, bei dem Antragsteller zu 1) liege aufgrund seiner HIV-Erkrankung ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, weil er in der Türkei nicht hinreichend behandelt werden könne, kann dem nicht gefolgt werden. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zutreffend dargelegt, dass hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Antragstellers zu 1) eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht gegeben sei und daher kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 und Abs. 5 AufenthG bestehe.

Dies entspricht der aktuellen Erkenntnislage. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Juni 2009 kann eine AIDS-Behandlung in allen Provinzen, in denen sich Universitätskrankenhäuser befinden, durchgeführt werden. In Istanbul stehen zudem drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine AIDS-Behandlung zur Verfügung. Nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur medizinischen Versorgungslage in der Türkei vom 13. August 2003 können sämtliche für eine antiretrovirale Therapie erforderlichen Medikamente in der Türkei besorgt werden. Insofern ist die weitere Behandlung der Erkrankung des Antragstellers zu 1) in der Türkei gewährleistet. Diesem ist es auch zuzumuten, sich dort in der Türkei niederzulassen, wo seine gesundheitliche Versorgung am ehesten sichergestellt werden kann.

Auch der Hinweis auf die Mittellosigkeit des Antragstellers zu 1) führt zu keiner anderen Beurteilung. Nach dem am 1. Oktober 2008 in Kraft getretenen zweiten Gesetz zur Sozialversicherungsreform wird die gesetzliche Krankenversicherung in der Türkei auf alle Personengruppen ausgedehnt. Ziel ist die Sicherstellung einer einheitlichen gesundheitlichen Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger, indem die gleichen Voraussetzungen und Leistungsansprüche für Angestellte, Rentner und Selbständige hergestellt und auch bislang unversicherte Mittellose einbezogen werden. Während einer Übergangszeit von zwei Jahren seit Inkrafttreten des Reformgesetzes erhalten Mittellose die Leistungen noch über die Yesil Kart, die sog. "Grüne Karte". Die Yesil Kart berechtigt zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem. Die Voraussetzungen, unter denen mittellose Personen in der Türkei die Yesil Kart erhalten, ergeben sich aus dem Gesetz Nr. 3816 vom 18. Juni 1992 und aus dem Änderungsgesetz Nr. 5222 vom 14. Juli 2004. Nach Angaben der zuständigen staatlichen Stellen gibt es in der Türkei etwa zwölf Millionen Inhaber einer Yesil Kart. Die Mittellosigkeit eines Antragstellers wird unter Beteiligung verschiedener Behörden von Amts wegen festgestellt. Die zuständige Kommission des Landratsamtes entscheidet über die Anträge, wobei sich die Bearbeitungszeiten erheblich verkürzt haben. Inhaber der Yesil Kart haben grundsätzlich Zugang zu allen Formen der medizinischen Versorgung und können inzwischen auch Medikamente in allen Apotheken beziehen. In der Übergangszeit zwischen Beantragung und Ausstellung der Yesil Kart werden bei einer Notfallerkrankung sämtliche stationären Behandlungskosten und alle weiteren damit zusammenhängenden Ausgaben übernommen. Stationäre Behandlung von Inhabern der Yesil Kart umfasst die Behandlungskosten sowie Medikamentenkosten in Höhe von 100 %. Für Leistungen, die nicht über die Yesil Kart abgedeckt sind, oder wenn ein Mittelloser kein Anrecht auf die Yesil Kart hat, stehen ergänzend Mittel aus dem jeweiligen örtlichen Solidaritätsfonds zur Verfügung (siehe im Einzelnen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Juni 2009). Somit ist davon auszugehen, dass eine Weiterbehandlung des Antragstellers zu 1) auch nicht aus finanziellen Gründen scheitert, da im Falle der Mittellosigkeit Kosten für die Behandlung und Medikamente bis zum 1. Oktober 2010 entweder über die Yesil Kart oder den Solidaritätsfonds und danach von der gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden. Soweit der Antragsteller zu 1) geltend gemacht hat, nicht einmal für eine Übergangszeit dazu in der Lage zu sein, die Kosten für die von ihm benötigten Medikamente selbst zu tragen, ist er darauf zu verweisen, sich vor einer Rückkehr in die Türkei ausreichend mit Medikamenten versorgen zu lassen und ggf. ergänzend die Unterstützung der in Deutschland lebenden volljährigen Kinder in Anspruch zu nehmen. [...]