VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 16.12.2009 - 10 CS 09.2134 - asyl.net: M16911
https://www.asyl.net/rsdb/M16911
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, u.a. nicht nach der Altfallregelung, da die seit 1994 in Deutschland lebenden Kläger am 1.7.2007 nicht geduldet waren und sich zudem nicht wirtschaftlich integriert haben.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, außergewöhnliche Härte, Altfallregelung, Bleiberecht, Duldung, Niederlassungserlaubnis
Normen: AufenthG § 36 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 104a Abs. 1, AufenthG § 26 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass jedenfalls die materiellen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 AufenthG nicht vorliegen, denn eine Verlängerung oder auch eine Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Antragsteller ist nicht wegen des Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte veranlasst. Eine solche ist zu bejahen, wenn der Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe zumutbar nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (Hailbronner, Aufenthaltsgesetz, RdNr. 28 zu § 36 AufenthG). Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor. Weder sind die Antragsteller auf eine physische oder psychische Betreuung durch ihre Kinder angewiesen noch sind sie krank, behindert oder pflegebedürftig. Der Verlust des Arbeitsplatzes im Bundesgebiet zählt auch nicht dazu, denn davon ist jeder Ausländer betroffen, der in sein Heimatland zurückkehren muss.

Ungünstige wirtschaftliche und soziale Verhältnisse im Heimatland können ebenfalls keinen Härtefall i.S. des § 36 AufenthG begründen. Dabei handelt es sich nämlich um zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die bei den Antragstellern nach der die Ausländerbehörde bindenden Feststellung des Bundesamts (§ 42 Satz 1 AsylVfG) nicht vorliegen (vgl. Urteil des VG Augsburg vom 14.3.2006 Az. Au 6 K 05.30407, Bl. 142 ff. der Verwaltungsakten des Antragstellers). Es kommt auch nicht darauf an, ob die Antragsteller im Heimatland von ihrer Tochter betreut werden können, denn einer Betreuung bedürfen sie offensichtlich nicht. Im Übrigen muss sich die Härte aus den persönlichen Beziehungen des Ausländers zu seinen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen ergeben (Hailbronner a.a.O. Rdnr. 33 m.w.N.). [...]

3. Die Antragsteller haben offensichtlich auch keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG. Nach § 104 a Abs. 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht bzw. sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat. Voraussetzung für einen Anspruch ist danach, dass der Ausländer geduldet ist. Die Antragsteller waren aber weder zum Stichtag 1. Juli 2007 noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bzw. nunmehr im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde im Besitz einer Duldung noch lagen zu diesen Zeitpunkten Duldungsgründe vor. Diese standen den Antragstellern zwar aufgrund der Feststellungen des Bundesamtes im Bescheid vom 6. Mai 1994 längstens bis zur Bestandskraft des Widerrufs am 27. April 2006 zu, danach lagen aber keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ausreise der Antragsteller rechtlich oder tatsächlich unmöglich gewesen wäre. Aus diesem Grund hat die Antragsgegnerin die den Antragstellern erteilte Aufenthaltserlaubnis nach dem 29. September 2007 nicht mehr verlängert und ihnen auch keine Duldung erteilt. Sinn und Zweck der Bleiberechtsregelung ist es jedoch gerade, den Aufenthalt von Ausländern, die nicht abgeschoben werden können und deshalb im Besitz einer Duldung sind, zu legalisieren. Ansonsten würde diese Gruppe von Ausländern womöglich noch Jahre lang in einem ungeregelten Aufenthaltsverhältnis verharren müssen. Eine solche Situation ist aber bei den Antragstellern nicht gegeben. Sie waren als Flüchtlinge insgesamt über 13 Jahre im Besitz von Aufenthaltstiteln. Dieser Status ist zwischenzeitlich entfallen, so dass ihrer Rückkehr in ihr Heimatland keine rechtlichen Hindernisse mehr entgegenstehen. Dass sie kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Form einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder einer Niederlassungserlaubnis erworben haben, liegt daran, dass sie bis zum Jahr 2007 überwiegend von Sozialleistungen lebten und nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkamen. Die Antragsteller gehören damit gerade nicht zu dem Personenkreis, dem die Bleiberechtsregelung zugute kommen soll. Während geduldeten Ausländern, die wirtschaftlich und sozial in die Verhältnisse im Bundesgebiet integriert sind, und denen lediglich ein Aufenthaltstitel fehlt, unter die Verbleiberegelung fallen sollten, besaßen die Antragsteller demgegenüber über lange Jahre Aufenthaltserlaubnisse, waren aber praktisch während der gesamten Zeit ihres legalen Aufenthalts wirtschaftlich nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Erst nach Wegfall der Voraussetzungen für eine Duldung haben sie sich überhaupt um eine wirtschaftliche Integration bemüht. Wieso die Antragsteller demnach in die Vergünstigung der Verbleiberegelung fallen sollten, erschließt sich dem Senat nicht, zumal § 104 a Abs. 1 AufenthG ohnehin keine allgemeine Verlängerungsvorschrift ist, sondern, wie bereits ausgeführt, der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an bisher geduldete Ausländer dient. Dahinstehen kann, wie die Verwaltungsvorschriften des Landes Baden-Württemberg zu § 104 a AufenthG zu interpretieren sind. Denn die zwischenzeitlich bekannt gemachte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl S. 877 ff.) - AVwV - führt in Nr. 104 a.1.1 aus: "Zum Zeitpunkt der Antragstellung müssen die Voraussetzungen zur Erteilung einer Duldung vorliegen; nicht erforderlich ist, dass sich der Ausländer im Besitz einer Duldung befindet." [...]