SG Lüneburg

Merkliste
Zitieren als:
SG Lüneburg, Beschluss vom 23.11.2009 - S 26 AY 24/09 ER - asyl.net: M16883
https://www.asyl.net/rsdb/M16883
Leitsatz:

Keine Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG trotz Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AsylbLG wegen rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer.

Den Kindern kann das rechtsmissbräuchliche Verhalten der Eltern nicht zugerechnet werden, für sie greift jedoch der Ausschluss nach § 2 Abs. 3 AsylbLG.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Analogleistungen, Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Kausalität, abstrakt-generelle Betrachtungsweise,
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1, AsylbLG § 2 Abs. 3, SGG § 86b Abs. 2 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I. Die Antragsteller erstreben vom Antragsgegner die Gewährung privilegierter Leistungen nach § 2 Absatz 1 AsylbLG in Verbindung mit SGB XII entsprechend. [...]

Auch wenn die Vorbezugszeit von 48 Monaten Grundleistungen erfüllt ist, scheitert der Antrag daran, dass die Antragsteller zu 1. und 2. die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben und die Antragsteller zu 3. bis 5. gemäß § 2 Absatz 3 AsylbLG von privilegierten Leistungen ausgeschlossen sind.

Dabei ist auf die gesamte Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet abzustellen (vgl. Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 2 AsylbLG, Rd. 4; Schellhorn/ Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 2 AsylbLG, Rd. 13.

Rechtsmissbräuchlich handelt nach den Urteilen des Bundessozialgerichtes vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AS 1/07 R und B 8 AY 9/07 R - derjenige, der über die Nichtausreise hinaus sich sozialwidrig unter Berücksichtigung des Einzelfalls verhält, wobei auf eine objektive und eine subjektive Komponente abzustellen ist. Erforderlich ist der Vorsatz bezogen auf eine die Aufenthaltsdauer beeinflussende Handlung, mit dem Ziel der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Das bloße Unterlassen einer freiwilligen Ausreise trotz Zumutbarkeit genügt in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung nicht. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 20. Dezember 2005 - L 7 AY 40/05 - festgestellt, dass das Ausnutzen einer Duldung nicht rechtsmissbräuchlich sei und ein weiteres Verhalten hinzutreten müsse.

Diese Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht aufgegriffen und insoweit ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in der Vernichtung von Ausweispapieren und in der Angabe einer falschen Identität erblickt. Als rechtsmissbräuchlich kann auch angesehen werden die Weigerung, an der Passbeschaffung mitzuwirken (vgl. Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 20. Dezember 2005 - L 7 AY 40/05 -; Beschluss des Sozialgerichtes Hannover vom 25. April 2005 - S 51 AY 42/05 ER -; Schellhorn/Schellhorn/Hohm § 2, Rd. 15). Die Pflichtverletzung muss unentschuldbar sein. Dabei ist der Aufenthaltsstatus in diesem Kontext nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes belanglos.

Darüber hinaus setzt das Bundessozialgericht anders als der 11. Senat des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen (vgl. etwa Urteil vom 16. Oktober 2007 - L 11 AY 61/07 -) nicht als Tatbestandsmerkmal voraus, dass das missbilligte Verhalten für die Dauer des Aufenthaltes kausal sein müsse, sondern legt eine abstrakt-generelle Betrachtungsweise zugrunde. Demnach muss der Missbrauchstatbestand auch nicht aktuell andauern oder fortwirken. Diese Rechtsansicht vertreten neben der Kammer (vgl. Urteil vom 18. Januar 2007 - S 26 AY 26/06 -) überdies das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 28. März 2007 - L 7 AY 1386/07 ER-B -, das Bayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2005 - L 11 B 212/05 AY ER - und der 7. Senat des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen in der zitierten Entscheidung.

Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten kann nach der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auch vor der Einreise vorliegen. Dabei kann auch ein einmaliges Verhalten genügen.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten der Eltern kann den Kindern aber nicht zugerechnet werden, sondern § 2 Absatz 3 AsylbLG ist zu prüfen.

(1) Die Antragsteller zu 1. und 2. haben rechtsmissbräuchlich die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet beeinflusst, und zwar zum einen durch die Weggabe der Ausweispapiere bei der Einreise (a) und zum anderen dadurch, dass sie ihren Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht nachgekommen sind (b).

(a) Die Antragsteller zu 1. und 2. räumen selbst ein, dass sie die Pässe beim Schleuser "vergessen" hätten. Trotz Nachfrage der Kammer hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller zu diesem streitentscheidenden Aspekt nicht Stellung genommen. Die Kammer geht von einer gewollten und beabsichtigten Weggabe aus, welche objektiv dazu führte, dass eine umgehende Rückführung in den Libanon vereitelt wurde. Die Antragsteller haben den Zustand der Passlosigkeit schuldhaft herbeigeführt und zu vertreten, weil dies ein Umstand ist, welcher ihrer eigenen Verantwortungssphäre zuzuordnen ist. Dabei war von vornherein objektiv erkennbar, dass sich die Ausreise allein aus diesem Grund verzögern würde. Dies nahmen die Antragsteller zumindest billigend in Kauf und handelten daher vorsätzlich. Dem sind die Antragsteller in keiner Weise entgegen getreten.

Zu demselben Ergebnis gelangte im Übrigen das Verwaltungsgericht O. mit Beschluss vom 29. April 1999 - 4 B 22/99 -, in dem dieses die Nichtvorlage von Pässen als von den Antragstellern zu vertreten ansah und zugleich die Gewährung gekürzter Leistungen billigte.

Unerheblich ist, ob das rechtsmissbräuchliche Verhalten in die streitigen Leistungszeiträume fortwirkt. Insoweit ist dem Bundessozialgericht zu folgen, nach dessen Rechtsprechung Anhaltspunkte für eine Kausalität sich dem Gesetz nicht entnehmen lassen.

(b) Die Antragsteller zu 1. und 2. haben nicht hinreichend an der Beschaffung von Ersatzausweispapieren mitgewirkt.

Zu diesem Ergebnis gelangte bereits das Verwaltungsgericht O. im zitierten Beschluss. Ein erkennbares Bemühen hat das Verwaltungsgericht bis zum Jahre 1999 nicht erkennen können. Darin ist gleichzeitig ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sehen, welches objektiv zu einer Verlängerung des Aufenthaltes geführt hat. Ein Fortwirken bis zur Gegenwart ist nicht erforderlich.

Darüber hinaus haben die Antragsteller zu 1. und 2. auch in der Folgezeit nicht hinreichend bei der Passbeschaffung mitgewirkt, welche erst im April 2009 erfolgte. Auffällig ist hierbei, dass nach Mitteilung des Antragsgegners, dass nunmehr Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden sollten, die Papiere umgehend beschafft wurden, nachdem 19 Jahre lang keine Beschaffung möglich gewesen sei. Es bestehen daher berechtigte Zweifel daran, ob alle Möglichkeiten der Mitwirkung zuvor ausgeschöpft worden sind oder ob nicht eine planvolle Vereitelungsabsicht gegeben war. Der Prozessbevollmächtigte trägt zu diesem Aspekt trotz Aufforderung der Kammer nicht vor, weil er meint, dass es darauf nicht ankomme. Dabei verkennt er aber die Rechtslage, weil nach dem Gesetz keine Privilegierung von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufentG gegeben ist, welche im Übrigen auch nicht mit Artikel 3 Grundgesetz vereinbar wäre. Selbstverständlich ist auch in diesem Kontext die Vorlage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Einzelfall zu prüfen. Darauf hat im Übrigen auch das Bundessozialgericht in den zitierten Urteilen ausdrücklich hingewiesen. [...]