VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Urteil vom 07.11.2001 - A 14 K 1427/01 - asyl.net: M1688
https://www.asyl.net/rsdb/M1688
Leitsatz:

Zulässigkeit einer ausländerrechtlichen Wohnsitzauflage bei Konventionsflüchtlingen. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Konventionsflüchtlinge, Aufenthaltsbefugnis, Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Sozialhilfebezug, Erlasslage, Ermessen, Genfer Flüchtlingskonvention, Diskriminierungsverbot, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Zusatzprotokoll, Freizügigkeit, Verhältnismäßigkeit
Normen: AuslG § 14 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

Die mit der Aufenthaltsbefugnis verbundene Auflage, die die Klägerin zur Wohnsitznahme im Freistaat Sachsen verpflichtet, ist rechtswidrig und verletzt sie daher in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage dieser selbständigen Nebenbestimmung ist § 14 Abs.2 Satz 1 Ausländergesetz. Gegen die gesetzliche Regelung selbst bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die somit rechtsgültige Vorschrift des § 14 Abs.2 Satz 1 AuslG eröffnet ein behördliches Ermessen, welches durch das Gericht lediglich auf Ermessensfehler zu prüfen ist. Als zu überprüfende Ermessenserwägungen legt das Gericht die Ausführungen in den Erlassen des SMI vom 22.10.1997 und 26.10.2000 zu Grunde, auf die sich die Beklagte und das Regierungspräsidium Dresden als Widerspruchsbehörde im wesentlichen berufen. Wird die tatsächliche Ermessensausübung unterer Behörden durch Erlasse höherer Stellen verwaltungsintern gebunden, sind die Begründungen der ermessensbindenden Erlasse wie eigene Erwägungen der entscheidungszuständigen Behörde zu prüfen.

Die hier getroffene Entscheidung, der Klägerin eine Wohnsitzauflage zu erteilen, überschreitet die rechtlichen Grenzen zulässiger Ermessensausübung, weil sie gegen Rechtsvorschriften verstößt.

Die Wohnsitzauflage verletzt allerdings nicht Art. 26 Genfer Flüchtlingskonvention - GFK.

Die Wohnsitzauflage verstößt hier jedoch gegen Art.2 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - ZP4/EMRK -.

Hiernach hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Diese Regelung ist durch das Zustimmungsgesetz vom 09.05.1968 (BGBI.II S.422) als innerstaatliches Recht im Range eines Bundesgesetzes wirksam geworden. Die Klägerin fällt aufgrund ihrer räumlich unbeschränkten Aufenthaltsgenehmigung unter den Schutzbereich dieser Freiheitsgewährung.

Gemäß Art.2 Abs.3 ZP4/EMRK darf die Ausübung dieser Rechte keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Verhütung von Straftaten, des Schutzes der Gesundheit oder der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Die Wohnsitzauflage ist gesetzlich vorgesehen, denn sie beruht auf § 14 Abs.2 Satz AuslG. Unter den Voraussetzungen, die für die Erteilung der Wohnsitzauflage in den Erlassen des SMI genannt sind, ist diese zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notwendig.

Den durch diese generalisierende Praxis entstehenden Härten ist allerdings durch eine strikte Beachtung der Zumutbarkeit der Wohnsitzauflage (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) im Einzelfall Rechnung zu tragen. Eine unverhältnismäßige Einschränkung der Freizügigkeitsgewährleistung erfüllt nämlich nicht mehr den Begriff der "Notwendigkeit" im Sinne von Art. 2 Abs.3 ZP4/EMRK.

Im hier vorliegendenden Einzelfall erweist sich die Wohnsitzauflage aus folgenden Gründen als unverhältnismäßig: Die Klägerin hat bereits das Rentenalter überschritten (Geburtsjahr (...)). Vor diesem Hintergrund erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt eine Beschäftigung findet, die sie aus der Sozialhilfeabhängigkeit befreit. Mithin ist es überwiegend wahrscheinlich, dass auf der Grundlage des SMI Erlasses die Wohnsitzauflage dauerhaft aufrechterhalten bleibt. Ein Umzug zu ihren Töchtern und deren Familien nach (...) wäre ihr auf Dauer verwehrt. Dies wiegt umso schwerer, als keine anderen Verwandten innerhalb Sachsens ersichtlich sind, zu denen die Klägerin engere Beziehungen hat. Zur Überzeugung des Gerichts führt die Anwendung des Erlasses jedoch zu unzumutbaren Ergebnissen, wenn deshalb enge familiäre Bindungen nicht auch aufgrund einer Wohnsitznahme an einem gemeinsamen Wohnort gepflegt werden können und so einer Isolation der Betroffenen Vorschub geleistet wird. Da sich die Wohnsitzauflage bereits aus diesem Grunde als rechtswidrig erweist, bedarf es hier keiner Erörterung der Frage, ob die Auflagenpraxis auf der Grundlage des SMI Erlasses auch gegen die fürsorgerechtlichen Gleichbehandlungsgebote aus Art.23 GFK und Art.1 des Europäischen Fürsorgeabkommens - EFA - i.V.m. Art.1 und 2 des Zusatzprotokolls - ZP/EFA - verstößt. Die Kammer hat diese Frage in ihrer Rechtsprechung verneint (siehe z.B. Urt. v. 07.11.2001 - 14 K 638/01 -).