OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 - 18 B 1702/09 - asyl.net: M16853
https://www.asyl.net/rsdb/M16853
Leitsatz:

1. Die Erteilung einer asylverfahrensunabhängigen Duldung für abgelehnte Asylbewerber/innen führt zwar zum Erlöschen der Zuweisungsentscheidung (§ 50 AsylVfG), nicht aber zum Erlöschen der räumlichen Beschränkung nach § 56 Abs. 3 AsylVfG.

2. Eine Anfechtungsklage gegen die mit der Duldung verbundene Wohnsitzauflage hat nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Soweit der Senat früher für Duldungen beigefügte Auflagen, die die Erwerbstätigkeit untersagen, Gegenteiliges vertreten hat, kann offen bleiben, ob hieran festzuhalten ist. Diese Rechtsprechung ist jedenfalls nicht auf Wohnsitzauflagen zu übertragen, da eine Wohnsitzauflage zur Duldung nicht als Maßnahme in der Zwangsvollstreckung anzusehen ist.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Wohnsitzauflage, räumliche Beschränkung, Schutz von Ehe und Familie, Duldung, einstweilige Anordnung, tatsächliche Unmöglichkeit, Anordnungsgrund, Vorwegnahme der Hauptsache, Suspensiveffekt, Sicherung des Lebensunterhalts, Mitwirkungspflicht
Normen: AsylVfG § 56 Abs. 3, VwGO § 123 Abs. 5, AsylVfG § 50 Abs. 3, AsylVfG § 50 Abs. 6, AsylVfG § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AsylVfG § 56 Abs. 2, AufenthG § 51 Abs. 6, AufenthG § 61 Abs. 1, VwGO § 80 Abs. 2 S. 2, AG VwGO NRW § 8 S. 1, AufenthG § 46 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ziel der Antragstellerin ist, ihren Wohnsitz von I. nach S. zu verlegen, um dort mit ihrem Lebensgefährten zusammenleben zu können. An dem Umzug ist die Antragstellerin einerseits durch die als Nachwirkung des erfolglos durchgeführten Asylverfahrens bestehende räumliche Beschränkung ihres Aufenthalts (dazu 1.) und andererseits durch die Wohnsitzauflage, mit der ihre Duldung versehen ist (dazu 2.), gehindert. Der Senat legt den Antrag dahingehend aus (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO), dass er auf die Beseitigung beider rechtlicher Hindernisse für einen Umzug gerichtet ist. Ein solcher Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bietet keine hinreichende Erfolgsaussicht.

1. Die Beseitigung der aus dem Asylverfahren fortbestehenden räumlichen Beschränkung (§ 56 Abs. 3 AsylVfG), aufgrund derer der Aufenthalt der Antragstellerin räumlich auf das Gebiet der Ausländerbehörde des Kreises D. beschränkt ist, kann die Antragstellerin in der Hauptsache nur durch eine Verpflichtungsklage erreichen. Für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist sie daher auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verweisen (§ 123 Abs. 5 VwGO). Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt es jedoch an einem Anordnungsgrund.

Aufgrund der im Asylverfahren mit Bescheid der Bezirksregierung B. vom 17. Oktober 2002 erfolgten Zuweisung nach I. war die Antragstellerin verpflichtet, in dieser Gemeinde Wohnsitz zu nehmen (§ 50 Abs. 3 und 6, § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG). Zugleich war ihre Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens (§ 55 AsylVfG) gemäß § 56 Abs. 2 AsylVfG räumlich auf den Kreis D. als Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt.

Zwar haben sich die Zuweisungsentscheidung und die an sie anknüpfende Verpflichtung der Antragstellerin, in I. Wohnsitz zu nehmen, erledigt, weil ihr nach Abschluss des Asylverfahrens eine asylverfahrensunabhängige Duldung erteilt wurde; dies gilt aber nicht für die räumliche Beschränkung. Diese gilt nach § 56 Abs. 3 AsylVfG fort, weil sie weder aufgehoben wurde (§ 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG) noch kraft Gesetzes erloschen ist (§ 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Zuweisungsentscheidung auch nach Beendigung des Asylverfahrens wirksam bleibt, bis der Ausländer ausgereist ist oder die Ausländerbehörde ihm einen Aufenthalt aus asylverfahrensunabhängigen Gründen gestattet. Ein solcher Anschlussaufenthalt, der die Zuweisungsentscheidung gegenstandslos macht, kann auch durch die Erteilung einer Duldung bewirkt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 31. März 1992 9 C 155.90 , NVwZ 1993, 276, und vom 21. November 1989 9 C 28.89 , NVwZ 1990, 673, OVG NRW, Beschlüsse vom 7. März 2008 18 B 40/08 u.a. , vom 29. November 2005 19 B 2364/03 , InfAuslR 2006, 64, und vom 9. Dezember 2004 16 A 3606/03).

Aus § 51 Abs. 6 AufenthG folgt nichts anderes. Er regelt nicht das Fortbestehen einer räumlichen oder sonstigen Beschränkung oder Auflage nach dem Erlöschen einer Aufenthaltsgestattung. Diese ist insbesondere kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.

Nach diesen Kriterien spricht viel dafür, dass die Zuweisungsentscheidung noch fortwirkte, als der Antragsgegner der Antragstellerin am 13. Mai 2005 und damit nur etwa sechs Wochen nach Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Münster im Asylverfahren, erstmals eine Duldung erteilte. Angesichts dessen dürfte der Antragsgegner bei Erteilung dieser Duldung zu Recht angenommen haben, die Antragstellerin sei weiterhin nach asylverfahrensrechtlichen Vorschriften zur Wohnsitznahme in I. verpflichtet.

Jedenfalls die letzte, der Antragstellerin am 21. September 2009 erteilte Duldung beruhte hingegen auf vom Asylverfahren unabhängigen Gründen. Nachdem sich nämlich herausgestellt hatte, dass eine kurzfristige Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht möglich sein würde, war die Situation der Antragstellerin nicht mehr maßgeblich durch das vorangegangene Asylverfahren geprägt. Die Erteilung der Duldung beruhte vielmehr allein auf der angesichts der fehlenden Dokumente bestehenden tatsächlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung. In einer vergleichbaren Situation befindet sich eine Vielzahl von Ausländern, die kein Asylverfahren betrieben haben.

Die Erteilung einer asylverfahrensunabhängigen Duldung hat auf den Fortbestand der räumlichen Beschränkungen – anders als auf die Zuweisungsentscheidung – aber keinen Einfluss. Dies folgt aus § 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, wonach räumliche Beschränkungen nur erlöschen, wenn der Aufenthalt nach § 25 Abs. 1 Satz 3 oder § 25 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als erlaubt gilt oder ein Aufenthaltstitel erteilt wird. Die Erteilung einer Duldung ist demgegenüber nach dem eindeutigen Wortlaut von § 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG kein Erlöschensgrund für die räumliche Beschränkung.

Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts ist bislang auch nicht nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG aufgehoben worden. Insbesondere ist die der Antragstellerin erteilte asylverfahrensunabhängige Duldung keiner Auslegung dahingehend zugänglich, dass mit ihr zugleich die räumliche Beschränkung des Aufenthalts aufgehoben worden wäre. Eine solche Auslegung liegt nahe, wenn in Kenntnis der räumlichen Beschränkung – etwa im Hinblick auf einen beabsichtigten Wohnsitzwechsel – eine Duldung erteilt wird, die kraft Gesetzes (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) oder durch eine Auflage (§ 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) räumlich auf ein Gebiet beschränkt ist, in dem der Ausländer sich bislang wegen § 56 AsylVfG nicht aufhalten durfte. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Bis zur Erteilung der asylverfahrensunabhängigen Duldung war die Antragstellerin kraft Gesetzes verpflichtet, in I. Wohnsitz zu nehmen. Zugleich war ihr Aufenthalt räumlich auf den Kreis D. beschränkt. Nach Erteilung der Duldung korrespondierte der vom Antragsgegner vorgeschriebene Wohnsitz (I.) weiterhin mit der bisherigen räumlichen Beschränkung des Aufenthalts (Kreis D.). Auch im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner die Antragstellerin durch die Erteilung der Duldung hinsichtlich der räumlichen Beschränkung besser stellen wollte also zuvor, zumal er einen Umzug nach S. ausdrücklich abgelehnt hatte.

Ob neben einer Aufhebung der räumlichen Beschränkung nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG weitere Möglichkeiten bestehen, die sich aus § 56 AsylVfG ergebende Sperrwirkung für einen Umzug nach S. zu beseitigen, bedarf hier keiner Entscheidung. Insbesondere kann offen bleiben, ob, nachdem die Zuweisungsentscheidung gegenstandslos geworden ist, noch eine Umverteilung der Antragstellerin nach S. in Betracht kommt (§ 50 Abs. 4 AsylVfG). Nicht nachzugehen war auch der Frage, ob die bloße (d.h. nicht mit einer Aufhebung gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG verbundene) Erteilung einer Duldung, die wegen § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG oder durch eine im Einzelfall erlassene Auflage dem Ausländer aufgibt, sich in einem Bereich aufzuhalten, in dem ihm dies nach der bisherigen räumlichen Beschränkung nicht gestattet war, die Sperrwirkung beseitigen kann (verneinend Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2006 8 TG 1617/06.A , AuAS 2006, 257, bejahend für eine Duldung, die einen länderübergreifenden Wohnsitzwechsel ermöglicht, OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2005 19 B 2364/03 , InfAuslR 2006, 64).

Alle dargelegten Möglichkeiten zur Beseitigung der sich aus der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts der Antragstellerin ergebenden Sperrwirkung für einen Umzug nach S. erfordern den Erlass eines die Antragstellerin begünstigenden Verwaltungsakts. Ein solcher Anspruch ist im Eilverfahren prozessual durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verfolgen, der nur Erfolg haben kann, wenn ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wird. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn dem Rechtsschutzsuchenden das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist. Insoweit sind hohe Anforderungen zu stellen, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung – wie hier – eine Vorwegnahme der Hauptsache zur Folge hätte.

Nach diesen Kriterien hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Auch mit Blick auf ihr zweitinstanzliches Vorbringen ist nicht erkennbar, dass es nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, die beabsichtigte Lebensgemeinschaft jedenfalls für die Dauer des Hauptsacheverfahrens dadurch zu begründen, dass der Lebensgefährte der Antragstellerin nach I. zieht. Es spricht alles dafür, dass die von der Antragstellerin erhoffte Besserung ihrer gesundheitlichen Probleme, die sie auf die räumliche Trennung von ihrem Lebensgefährten zurückführt, unabhängig davon einträte, wo die Lebensgemeinschaft begründet würde. Die von der Antragstellerin angeführten Kosten für eine gemeinsame Wohnsitznahme in I. (für Wohnungssuche, Kaution usw.) fallen jedenfalls dann nicht an, wenn der Lebensgefährte der Antragstellerin in die von dieser mit ihren Kindern bewohnte Wohnung zöge. Dafür, dass dies nicht zumindest für die Dauer des Hauptsacheverfahrens hinnehmbar wäre, ist nichts ersichtlich. Zusätzliche Belastungen entstünden jedoch dadurch, dass der Lebensgefährte der Antragstellerin täglich in das von I. etwa 50 Kilometer entfernte S. fahren müsste, um zu seinem Gewerbebetrieb zu gelangen. Diese finanziellen und zeitlichen Erschwernisse innerhalb der beabsichtigten Lebensgemeinschaft sind der Antragstellerin mit Blick auf die durch einen Umzug nach S. berührten öffentlichen Interessen jedoch zumindest für die Dauer des Hauptsacheverfahrens zumutbar.

2. Ist die ursprüngliche, sich aus der Zuweisung im Asylverfahren ergebende Verpflichtung zur Wohnsitznahme (§ 50 Abs. 3 und 6, § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG) zwischenzeitlich gegenstandslos geworden, kommt als Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Antragstellerin, in I. Wohnsitz zu nehmen, nur eine Auflage zur am 21. September 2009 erteilten, asylverfahrensunabhängigen Duldung in Betracht. Eine auf Grundlage von § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erlassene Auflage zur Duldung, ist selbständig mit Rechtsmitteln anfechtbar (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. August 2003 18 B 2511/02 , AuAS 2003, 272, und 17 B 596/02 , Bay. VGH, Beschluss vom 9. September 1999 10 ZE 99.2606 , BayVBl. 2000, 154, Hess. VGH, Beschluss vom 6. April 2001 12 TG 368/01 , AuAS 2001, 149), und zwar im Hauptsacheverfahren im Wege der Anfechtungsklage und im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO. Der von der Antragstellerin gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht grundsätzlich nur, wenn ein Rechtsmittel in der Hauptsache keine aufschiebende Wirkung hat. Ansonsten kann der Betroffene sein Begehren, den Vollzug der ihn belastenden Maßnahme einstweilen abzuwenden, schneller und einfacher durch Einlegung des Rechtsmittels in der Hauptsache erreichen.

Eine Anfechtungsklage gegen die mit der Duldung verbundene Wohnsitzauflage hat nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Es handelt sich nicht um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung, für die nach nordrhein-westfälischem Landesrecht aufgrund der Ermächtigung in § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen ist (§ 8 Satz 1 AG VwGO NRW). Soweit der Senat früher für Duldungen beigefügte Auflagen, die die Erwerbstätigkeit untersagen, Gegenteiliges vertreten hat (OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2003 18 B 2511/02 , AuAS 2003, 272, vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2003 17 B 596/02 , sowie für das jeweilige Landesrecht VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. April 2000 10 S 2583/99 , AuAS 2000, 184, Bay. VGH, Beschluss vom 9. September 1999 10 ZE 99.2606 , BayVBl. 2000, 154, OVG Berlin, Beschluss vom 4. Juni 1998 8 SN 66.98 , NVwZ-Beilage Nr. 8 1998, 82, Hamb. OVG, Beschluss vom 25. Mai 2004 2 Bs 145/04 , InfAuslR 2004, 302, Hess. VGH, Beschluss vom 6. April 2001 12 TG 368/01 , AuAS 2001, 149), kann offen bleiben, ob hieran festzuhalten ist. Diese Rechtsprechung ist jedenfalls nicht auf Wohnsitzauflagen zu übertragen.

Gegen ein Verständnis der Wohnsitzauflage als Maßnahme in der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 8 Satz 1 AG VwGO NRW spricht jedoch noch nicht der formale Aspekt, dass weder die ausländerrechtliche Duldung noch die hier in Rede stehende Auflage als Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung geregelt sind. Das Aufenthaltsgesetz enthält für die Erzwingung der Aufenthaltsbeendigung Sonderregelungen, die die Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen verdrängen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2003 18 B 2511/02 , AuAS 2003, 272, a.A. für das dortige Landesrecht OVG Berlin, Beschluss vom 4. Juni 1998 8 SN 66.98 , NVwZ-Beilage Nr. 8 1998, 82).

Angesichts ihrer Funktion, die Abschiebung zeitweise auszusetzen und damit Regelungen über die Vollstreckung der Ausreisepflicht zu treffen, handelt es sich bei der Duldung um eine Maßnahme in der Zwangsvollstreckung (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. August 2003 18 B 2511/02 , AuAS 2003, 272).

Dies gebietet jedoch nicht, auch mit der Duldung verbundene Auflagen allein aufgrund dieser Verbindung ebenfalls als Maßnahmen in der Zwangsvollstreckung zu qualifizieren. Für eine differenzierte Betrachtung spricht bereits, dass die Wirkung solcher Auflagen nicht an den Fortbestand der Duldung geknüpft ist. Nach § 51 Abs. 6 AufenthG bleiben sie vielmehr auch nach dem Wegfall der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

Eine teleologische Auslegung von § 8 Satz 1 AG VwGO NRW spricht dagegen, eine Wohnsitzauflage zur Duldung als Maßnahme in der Zwangsvollstreckung anzusehen. Indem die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen Maßnahmen in der Zwangsvollstreckung ausgeschlossen wird, soll verhindert werden, dass ein Pflichtiger die Vollstreckung von vollziehbaren Verwaltungsakten durch die Einlegung von Rechtsbehelfen in unzumutbarer Weise behindert (vgl. für das jeweilige Landesrecht VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. April 2000 10 S 2583/99 , AuAS 2000, 184, Hamb. OVG, Beschluss vom 25. Mai 2004 2 Bs 145/04 , InfAuslR 2004, 302).

Eine derartige Gefährdung des Vollzugs besteht bei Wohnsitzauflagen grundsätzlich nicht. Die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen eine Wohnsitzauflage hindert nicht die Vollstreckung der Ausreisepflicht.

Dieses Ergebnis wird durch systematische Erwägungen bestätigt. Die Ausländerbehörde kann nach § 46 Abs. 1 AufenthG gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen, insbesondere kann sie den Ausländer verpflichten, den Wohnsitz an einem von ihr bestimmten Ort zu nehmen. Dass Rechtsbehelfe gegen auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützte Maßnahmen, die unabhängig von einer Duldung ergehen, aufschiebende Wirkung haben, ist – soweit ersichtlich – trotz des offensichtlichen engen Bezugs dieser Maßnahmen zur Vollstreckung der Ausreisepflicht unstreitig (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht (Stand: November 2009), § 46 AufenthG, Rdnr. 7, Hypertextkommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 46 Abs. 1, Anm. 8).

Warum etwas anderes gelten sollte, wenn gleichartige Maßnahmen mit einer Duldung verbunden werden, eine Abschiebung also gerade nicht unmittelbar bevorsteht, ist nicht erkennbar.

Auch wenn eine Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat, kann ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (analog) bestehen, wenn der Betroffene sein Begehren, den Vollzug der ihn belastenden Maßnahme einstweilen abzuwenden, nicht allein durch die Einlegung des Rechtsmittels zuverlässig erreichen kann, weil die Behörde die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels bestreitet und daher Vollstreckungsmaßnahmen drohen. Es kann offen bleiben, ob eine solche Situation hier bereits deshalb gegeben ist, weil der Antragsgegner der Auffassung ist, es liege keine Auflage nach 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor, die Verpflichtung der Antragstellerin, in I. Wohnsitz zu nehmen, bestehe vielmehr kraft Gesetzes aufgrund der fortwirkenden Zuweisung im Asylverfahren.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein gegen die Wohnsitzauflage gerichtetes Eilverfahren besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die Antragstellerin ihr Ziel, die rechtlichen Hindernisse für einen Umzug nach S. zu beseitigen, auf diesem Weg nicht erreichen könnte. Auch wenn die Sperrwirkung der Wohnsitzauflage beseitigt würde, wäre ein Umzug aufgrund der fortbestehenden räumlichen Beschränkung ihres Aufenthalts auf den Kreis D. nicht möglich. Diese räumliche Beschränkung kann die Antragstellerin – wie dargelegt – mangels Anordnungsgrunds im Eilverfahren nicht überwinden.

Mit Blick auf die zwischenzeitlich von der Antragstellerin erhobene Anfechtungsklage gegen die der Duldung vom 21. September 2009 beigefügte Wohnsitzauflage 8 K 309/10 (Verwaltungsgericht Münster) weist der Senat auf Folgendes hin: Die der Antragstellerin erteilte Duldung ist bis 20. März 2010 befristet. Nach Ablauf dieser Frist wird mit Blick auf die mit einer eventuellen neuen Duldung verbundenen Auflagen und unter Berücksichtigung von § 51 Abs. 6 AufenthG zu prüfen sein, ob sich die Anfechtungsklage erledigt hat. In der Sache steht der Erlass einer Wohnsitzauflage im Ermessen der Ausländerbehörde. Ihre Rechtmäßigkeit hängt vom Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung zwischen den mit der Auflage verfolgten öffentlichen Interessen und den betroffenen privaten Interessen des Ausländers ab. Hier streitet zugunsten der Antragstellerin das gewichtige Interesse daran, eine Lebensgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten und den Kindern führen zu können, ohne dass sie oder ihr Partner unzumutbaren Erschwernissen ausgesetzt sind.

Diesem privaten Interesse stehen jedoch erhebliche öffentliche Interessen entgegen. Durch Wohnsitzauflagen soll eine gerechte Verteilung der mit dem Zuzug von Ausländern verbundenen Lasten auf die Gemeinden sichergestellt werden. Durch einen Umzug der Antragstellerin und ihrer Kinder würde diese Lastenverteilung beeinträchtigt, weil künftig die Stadt S. anstelle der Gemeinde I. die zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlichen Mittel bereitstellen müsste. Die Antragstellerin und ihre Kinder beziehen derzeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dass der Lebensgefährte der Antragstellerin über ausreichende Einnahmen verfügt, um den Lebensunterhalt einer vierköpfigen Familie sicherzustellen, ist nicht dargelegt. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, wie es der Antragstellerin und ihrer Familie dauerhaft möglich sein könnte, ohne Sozialleistungen der Stadt S. auszukommen. Für eine entsprechende Darlegung ist der pauschale Hinweis auf von der deutschen Bevölkerung abweichende Einkaufs- und Essgewohnheiten nicht ausreichend. [...]

Bei der Beurteilung, ob diese öffentlichen Interessen rechtfertigen, der Antragstellerin dauerhaft zuzumuten, die mit einer gemeinsamen Wohnsitznahme in I. verbundenen Nachteile hinzunehmen, dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass sie nicht zuletzt deshalb nicht über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, weil sie nicht das ihr Zumutbare getan hat, um ihre Identität zu belegen und sich einen Reisepass zu beschaffen. Mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entfiele gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG die räumliche Beschränkung, die neben der Wohnsitzauflage weiteres Hindernis für einen Umzug nach S. ist. [...]