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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 09.12.2009 - 2 BvR 1957/08 - asyl.net: M16844
https://www.asyl.net/rsdb/M16844
Leitsatz:

Zur Ungleichbehandlung Geduldeter durch den Ausschluss vom Kindergeld.

1. Der Beschwerdeführer ist nicht auf die naheliegende Erwägung eingegangen, dass eine Ungleichbehandlung schon deshalb gerechtfertigt sein könnte, weil der Aufenthalt lediglich geduldeter Ausländer nicht rechtmäßig ist.

2. Jedenfalls fehlt es an der Auseinandersetzung mit der Frage, weshalb es nicht gerechtfertigt sein soll, Personengruppen, die nicht abgeschoben werden können und die ihrer Ausreisepflicht auch nicht freiwillig nachkommen, von Sozialleistungen auszuschließen, wenn ihr Existenzminimum anderweitig, hier über das AsylbLG, gesichert wird.

3. Dabei wäre darauf einzugehen gewesen, dass ein Ausländer, dem die freiwillige Ausreise unverschuldet rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, nach einem geduldeten Aufenthalt von 18 Monaten regelmäßig einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG hat.

Schlagwörter: Kindergeld, Ausländer, vollziehbar ausreisepflichtig, Duldung
Normen: GG Art. 3 Abs. 1, EStG § 62 Abs. 2, GG Art. 6, BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2, BVerfGG § 92
Auszüge:

[...]

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Vereinbarkeit des Ausschlusses vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer vom Anspruch auf Kindergeld mit Art. 3 Abs. 1 GG. [...]

Hier fehlt es bereits an einer schlüssigen Darlegung, dass der Beschwerdeführer einer der von ihm angeführten Vergleichsgruppen angehört, die durch den Ausschluss vom Kindergeldanspruch angeblich ungerechtfertigt gegenüber den Ausländern ungleich behandelt werden, denen Kindergeld gewährt wird.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, sein Aufenthalt sei auf Dauer angelegt, weil er nicht ausreisen könne und auch nicht abgeschoben werde, er aber wegen des bestehenden Abschiebestopperlasses des Bayerischen Staatsministeriums des Innern mangels Rechtsschutzinteresses keine positive Entscheidung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erwirken und nur deswegen keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erhalten könne, befasst er sich nicht mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts, die im Widerspruch zu seinem Vortrag steht. So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wiederholt entschieden, dass der in Bayern bestehende Abschiebestopp aus organisatorischen und nicht aus humanitären Gründen wegen einer Gefährdungslage im Irak verfügt und verlängert worden sei (BayVGH, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 10 ZB 07.1455 -, AuAS 2008, S. 127; Beschluss vom 18. März 2008 - 19 ZB 08.603 -, juris; vgl. auch BVerwGE 126, 192 198 f.>). Allein aus dem Bestehen des Abschiebestopperlasses lässt sich demnach weder auf eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG noch auf die Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise und damit auch nicht auf die Dauer des Aufenthalts schließen.

Die Verfassungsbeschwerde setzt sich ferner nicht mit der - vom Bundesverwaltungsgericht jedenfalls angedeuteten - Rechtsauffassung auseinander, dass dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wegen einer Entscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG eine Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht treffen durfte, die Ausländerbehörde im Rahmen der Prüfung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG entgegen der Regelung des § 42 Satz 1 AsylVfG zu einer eigenständigen Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen sein könnte (vgl. BVerwGE 126, 192 195 f.>).

Der Beschwerdeführer ist schließlich nicht, wie geboten, auf die naheliegende Erwägung eingegangen, dass eine Ungleichbehandlung von Ausländern, die sich lediglich geduldet in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gegenüber denjenigen Ausländern, denen ein Anspruch auf Kindergeld aus § 62 Abs. 2 EStG zukommt, schon deswegen gerechtfertigt sein könnte, weil der Aufenthalt lediglich geduldeter Ausländer nicht rechtmäßig ist. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat zur früheren Rechtslage unter anderem ausgeführt, dass Deutsche, Ausländer mit Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis und Ausländer ohne diese Aufenthaltstitel, die aber in Deutschland legal leben, in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet seien (BVerfGE 111, 160 173 f.>). Der Bundesfinanzhof hat in der angegriffenen Entscheidung daran angeknüpft. Dies hätte den Beschwerdeführer veranlassen müssen, sich der Frage zu stellen, ob der Ausschluss sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltender Ausländer vom Anspruch auf Kindergeld nicht bereits durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich unproblematisch bewertet worden oder diese Bewertung nicht zumindest in dessen Rechtsprechung angelegt ist. Jedenfalls fehlt eine Auseinandersetzung mit der Frage, weshalb es nicht gerechtfertigt sein soll, Personengruppen, die nicht abgeschoben werden können und die ihrer Ausreisepflicht auch nicht freiwillig nachkommen, von Sozialleistungen auszuschließen, wenn ihr Existenzminimum anderweitig, hier über das Asylbewerberleistungsgesetz, gesichert wird. Dabei wäre darauf einzugehen gewesen, dass einem Ausländer, dem die freiwillige Ausreise unverschuldet rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, nach einem geduldeten Aufenthalt von 18 Monaten regelmäßig ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zukommt und auf diesem Wege ein Hineinwachsen in den Anspruch auf Kindergeld möglich ist (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, die Behandlung des asylrechtlichen Widerrufsverfahrens sei von Zufälligkeiten abhängig gewesen, nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 15c RL 2004/83/EG könne die Widerrufsentscheidung keinen Bestand haben und mit § 104a AufenthG sei keine verfassungsgemäße Lösung des Problems der langjährig geduldeten Personen gefunden worden, betrifft weder die hier angegriffenen finanzgerichtlichen Entscheidungen noch § 62 EStG, sondern konnte oder kann gegebenenfalls nur in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren berücksichtigt werden. [...]