OLG Hamm

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Zitieren als:
OLG Hamm, Beschluss vom 07.01.2010 - 15 Wx 83/09 - asyl.net: M16839
https://www.asyl.net/rsdb/M16839
Leitsatz:

Die Verlängerung der Abschiebungshaft über drei Monate hinaus war unverhältnismäßig. Wenn anstelle eines Dublin-Überstellungsverfahrens nach Art. 3 Abs. 3 Dublin II-VO die Abschiebung ins Herkunftsland betrieben wird, kann eine hierdurch eintretende Verzögerung dem Betroffenen nicht mehr als von ihm zu vertretender Umstand im Sinne von § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG zugerechnet werden.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Verhältnismäßigkeit, Anhörung, Ehefrau, Dublin II-VO, Beschleunigungsgebot, Niederlande
Normen: AufenthG § 106 Abs. 2 S. 1, FEVG § 7 Abs. 1, FEVG § 27, FEVG § 29, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4, VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1 Bst. b, VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1 Bst. c
Auszüge:

[...]

Abgesehen von den erheblichen Bedenken, die gegen das Verfahren der Vorinstanzen, hier insbesondere das Unterlassen einer Anhörung der Ehefrau des Betroffenen, bestehen, war die Anordnung der Haftverlängerung und deren Bestätigung bereits deshalb rechtswidrig, weil einer Verlängerung der Haft der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegenstand.

Richtig ist nach Einschätzung des Senats allerdings die Auffassung der Beteiligten zu 2), dass die Regelungen der VO (EG) Nr. 343/2003 den Behörden des Aufenthaltsstaates nicht die Befugnis nehmen, anstelle eines Rücknahmeverfahrens nach den Art. 16 und 17 der VO die Abschiebung eines Ausländers in seinen Ursprungsstaat zu betreiben. Dies folgt für den vorliegenden Fall, in dem eine Rücknahmepflicht nur nach Art. 16 Abs. 1 lit. e VO (EG) Nr. 343/2003 besteht, aus Art. 3 Abs. 3 der Verordnung. [...]

Auch wenn man aber davon ausgeht, dass diese Gesichtspunkte in die gebotene Güterabwägung einzubeziehen sind, dann muss angesichts der überragenden Bedeutung des Freiheitsgrundrechts hierfür ein strenger Maßstab gelten. Eine Haftverlängerung über drei Monate hinaus kommt danach unter Berücksichtigung der aus § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG sprechenden gesetzgeberischen Wertung grundsätzlich nicht in Betracht. Denn unter Berücksichtigung der Fristenregelung in Art. 20 Abs. 1 lit. b und c) VO (EG) Nr. 343/2003 kann davon ausgegangen werden, dass ein Rücknahmeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten - vorbehaltlich von Rechtsmitteln des Betroffenen - jedenfalls binnen drei Monaten durch Vollzug der Rückführung zum Abschluss gebracht werden kann. Wenn anstelle des Rückführungsverfahrens die Abschiebung in das Ursprungsland betrieben wird, so kann eine hierdurch eintretende Verzögerung über den zeitlichen Vergleichsrahmen des Dublin II-Verfahrens hinaus dem Betroffenen nicht mehr als von ihm zu vertretender Umstand im Sinne des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG zugerechnet werden. [...]