VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 16.02.2010 - 5 L 1385/09.KS - asyl.net: M16834
https://www.asyl.net/rsdb/M16834
Leitsatz:

1. Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG steht das Deutsch-Syrische Rückübernahmeabkommen entgegen. Es ist nun nicht mehr von vornherein ausgeschlossen, dass die syrischen Behörden dem Rückübernahmeersuchen für den Antragsteller, einen staatenlosen Kurden, zustimmen. Daher ist die Ausreise nicht unmöglich.

2. Es kann offen bleiben, ob wegen der Straftat die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG vorliegen, jedenfalls ist die vorgenannte Vorschrift keine die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG verdrängende Spezialvorschrift.

3. Das in § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen gibt der Ausländerbehörde zusätzlich die Möglichkeit, das Vorliegen von Ausweisungsgründen in die Güterabwägung mit einfließen zu lassen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Niederlassungserlaubnis, staatenlos, Kurden, Ausweisungsgrund, Ermessen, Syrien,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 9 Abs. 2 Nr. 3, AufenthG § 5, AufenthG § 26 Abs. 4 S. 1
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG. Danach kann einem Ausländer, der seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt (§§ 22-25 AufenthG) besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2-9 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, wobei § 9 Abs. 2 S. 2-6 entsprechend gilt. Vorliegend kann offen bleiben, ob die Sieben-Jahre-Frist eingehalten ist, ob die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2-9 AufenthG vorliegen und ob das Fortbestehen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erforderlich ist. Die vom Beklagten im Ergänzungsbescheid vom 21.01.2010 angestellten Ermessenserwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden, wobei das Gericht Ermessensentscheidungen nur nach Maßgabe des § 114 S. 1 VwGO überprüfen kann.

Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass er in seine Ermessensentscheidung das Vorliegen von Ausweisungsgründen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) einstellen kann. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG ist keine die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verdrängende Spezialvorschrift. Dies ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Anwendung der Regelerteilungsvoraussetzungen bei Aufenthaltstiteln aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine ausdrückliche Regelung getroffen hat: Nach § 5 Abs. 3 S. 1 AufenthG ist in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 24, 25 Abs. 1-3 sowie § 26 Abs. 3 von der Anwendung der Absätze 1 und 2 (des § 5 AufenthG), im Falle des § 25 Abs. 4a von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1-2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen; nach § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG kann in den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 (wozu auch der hier streitgegenständliche § 26 Abs. 4 zählt) von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Dies bedeutet, dass die Ausländerbehörde im Falle der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG ein Ermessen hat, ob sie vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes absieht. Damit wird die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG keineswegs obsolet. Stehen Gründe der in § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG bezeichneten Art der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG entgegen, ist diese zwingend zu versagen, während beim Vorliegen von Ausweisungsgründen eine Prüfung nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen hat.

Hiervon ausgehend ist die Ermessensentscheidung des Antragsgegners, im Falle des Antragstellers, bei dem der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vorliegt, eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG nicht zu erteilen, nicht zu beanstanden. Gesichtspunkte, die der Antragsgegner nicht gewürdigt hat, hat der Antragsteller nicht aufzuzeigen vermocht. Der Antragsgegner hat berücksichtigt, dass der Antragsteller in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Familiäre Bindungen des Antragstellers bestehen indes nur zu seinen im Bundesgebiet lebenden Brüdern. Die Integrationsleistung des Antragstellers hat den Antragsgegner jedoch auch unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Verstöße des Antragstellers gegen Rechtsvorschriften nicht dazu bewegen können, von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen. Dies ist, wie bereits gesagt, rechtlich nicht zu beanstanden.

Einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat der (aufgrund der Ablehnung seines Asylantrags vollziehbar ausreisepflichtige) Antragsteller nicht, weil nicht feststeht, dass seine Ausreise unmöglich ist. Nach dem am 03.01.2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rücknahmeabkommen erscheint es jedenfalls nicht mehr von vornherein ausgeschlossen, dass syrische Stellen dem Antragsteller, einem aus Syrien stammenden staatenlosen Kurden, ein zur Rückkehr nach Syrien berechtigendes Dokument ausstellen. Ob der Umstand, dass der Antragsteller seinen unbelegten Angaben zufolge über den Libanon ins Bundesgebiet gereist ist, der Anwendbarkeit des Abkommens auf ihn entgegensteht, ist nach derzeitigem Kenntnisstand offen. [...]