VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 15.01.2010 - 4 V 1977/09 - asyl.net: M16826
https://www.asyl.net/rsdb/M16826
Leitsatz:

Dem Ausländer steht gegenüber der Ausländerbehörde des angestrebten Zuzugsortes ein materieller Duldungsanspruch zu, wenn die familiären Belange den Aufenthalt dort kraft höherrangigen Rechts unabweisbar machen (hier deutsches Kind, Art. 6 GG).

Schlagwörter: Duldung, Ausländerbehörde, örtliche Zuständigkeit, räumliche Beschränkung, deutsches Kind, vorläufiger Rechtsschutz
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, GG Art. 6 Abs. 1, VwGO § 123, GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Dies zugrunde gelegt, ist die Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zulässig. Der Aufenthalt der Antragstellerin ist derzeit völlig ungeregelt. Die Hamburger Ausländerbehörde verneint ihre Zuständigkeit und verweist auf diejenige der Antragsgegnerin. Diese wiederum hält sich ebenfalls für unzuständig und lehnt eine Duldungserteilung ab. Der Aufenthalt der Antragstellerin in Bremen wird auch nicht mit einer Verlassenserlaubnis geregelt werden können, weil die Hamburger Ausländerbehörde auch dies ablehnt. Der Antragstellerin ist es ferner nicht zuzumuten, zur Erlangung einer Duldung bzw. einer Verlassenserlaubnis durch die Hamburger Behörde die hamburgischen Verwaltungsgerichte anzurufen, weil nach der Rechtsprechung des OVG Hamburg in einem Fall wie dem vorliegenden die Zuständigkeit der Hamburger Behörde verneint wird und in der Erteilung einer Verlassenserlaubnis eine Umgehung bzw. Aushöhlung der §§ 12 Abs. 5 Satz 1 und 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gesehen wird (vgl. OVG Hamburg, B. v. 26.04.2006 - 4 Bs 66/06 -, juris). Die Anrufung der Hamburger Verwaltungsgerichte wäre daher von vornherein aussichtslos.

Es spricht auch ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Duldung für das Bundesland Bremen. Daher besteht auch ein Anordnungsanspruch. [...]

Die Antragstellerin war und ist nicht im Besitz einer von der Hamburger Behörde ausgestellten Duldung, aus der sich die weitere Zuständigkeit dieser Behörde herleiten ließe. Sie hält sich nicht in Hamburg auf. Die Hamburger Behörde und die Rechtsprechung der hamburgischen Verwaltungsgerichte (s.o.) lehnen es zudem ab, die Zuständigkeit der dortigen Behörde allein aus einer etwaigen früheren, auf ihren Bereich bezogenen räumlichen Aufenthaltsbeschränkung abzuleiten, wenn anderenorts ein Regelungsbedarf hinsichtlich einer Duldung, etwa unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 GG, entstanden ist.

Nach der o.g. neueren Rechtsprechung des OVG Bremen steht dem Ausländer gegenüber der Ausländerbehörde des angestrebten Zuzugsortes ein materieller Duldungsanspruch nur zu, wenn die familiären Belange den Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich dieser Ausländerbehörde kraft höherrangigen Rechts unabweisbar machen. Das kann nur bei besonders gelagerten Sachverhalten angenommen werden und bedarf entsprechender Darlegung. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil das deutsche Kind der Antragstellerin und der deutsche Kindesvater ihren Wohnsitz in Bremen haben, ihr Umzug nach Hamburg allein aus in der Person der Antragstellerin liegenden ausländerrechtlichen Gründen nicht verlangt werden kann und schließlich der Antragstellerin in Hamburg die dortige behördliche Unzuständigkeit entgegen gehalten werden würde. Schließlich liegt die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung der Antragstellerin iSd. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, weil es gilt, die Familieneinheit der Antragstellerin, ihres zwei Monate alten Kindes und des Kindesvaters zu wahren. [...]