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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 08.12.2009 - 1 C 16.08 - asyl.net: M16792
https://www.asyl.net/rsdb/M16792
Leitsatz:

Zum Diskriminierungsverbot des Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 bei Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis. Insbesondere mit Ausführungen zu einer vor dem 1.1.2005 erteilten unbefristete Arbeitserlaubnis, auch mit Blick auf die Stillhalteklausel (Art. 13 ARB 1/80).

Offengelassen wird, ob an der Rechtsprechung des Senats zu den Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Blick auf die Rechtssache Gatoussi (EuGH v. 14.12.2006) festgehalten werden kann, nach welcher nach deutschem Recht eine unbefristete Arbeitsgenehmigung kein von der Aufenthaltserlaubnis unabhängiges, gleichsam überschießendes Recht auf Fortführung einer nicht selbständigen Erwerbstätigkeit vermittelt (Urt. v. 1.7.2003, BVerwG 1 C 18.02, M4239).

Schlagwörter: Türkischer Arbeitnehmer, Aufenthaltserlaubnis, Rücknahme, Verlängerungsantrag, unbefristete Arbeitsgenehmigung, Arbeitsberechtigung, Assoziationsberechtigte, Diskriminierungsverbot, Stillhalteklausel, Europa-Mittelmeer-Abkommen, eigenständiges Aufenthaltsrecht, eheliche Lebensgemeinschaft, Ehebestandszeit, rechtmäßiger Aufenthalt, Visum, Beweiswürdigung, Überzeugungsbildung, Beweislast
Normen: AufenthG § 28 Abs. 3, AufenthG § 31 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 105 Abs. 2, VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, ARB 1/80 Art. 6, ARB 1/80 Art. 10 Abs. 1, ARB 1/80 Art. 13, HmbVwVfG § 48
Auszüge:

1. Das Diskriminierungsverbot in Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 steht der Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis für vergangene Zeiträume nicht entgegen.

2. Eine vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes erteilte Arbeitsberechtigung, die ab dem 1. Januar 2005 als verwaltungsinterne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung fortgilt (§ 105 Abs. 2 AufenthG), scheidet als Grundlage für eine aufenthaltsrechtliche Wirkung des Diskriminierungsverbots in Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 aus.

3. In der verfahrensrechtlichen Neuregelung des Arbeitsgenehmigungsrechts durch das seit dem 1. Januar 2005 geltende Aufenthaltsgesetz liegt jedenfalls dann keine Verletzung der Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80, wenn der türkische Arbeitnehmer auch bei Fortgeltung der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stillhalteklausel geltenden Rechtslage nicht in den Besitz einer unbefristeten Arbeitsgenehmigung gelangt wäre.

4. In die Zweijahresfrist des Bestehens der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990 (jetzt § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) ist auch der Zeitraum einzubeziehen, in dem der Ehegatte nach seiner Einreise im Besitz eines Aufenthaltstitels in Gestalt eines gültigen Visums war.

(Amtliche Leitsätze)

[...]

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Rücknahme der am 16. August 2001 und am 20. Januar 2004 erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnisse für die Vergangenheit mit einer Begründung als rechtswidrig angesehen, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum damaligen Zeitpunkt schon aufgrund des Diskriminierungsverbots des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 - ARB 1/80 - zustand (1.). Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger wegen eines fortbestehenden Aufenthaltsrechts aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung ausreichende Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zurückgelegt hat, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 zu erlangen, steht mit Bundesrecht nicht in Einklang (2.). Der Senat kann nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden, weil die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es einen Anspruch des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach nationalem Recht (als eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten einer Deutschen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 23 Abs. 3 AuslG 1990 für die Vergangenheit und nach § 31 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 3 AufenthG für die Zukunft) verneint hat, einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.). Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). [...]

Sinn und Zweck der aufenthaltsrechtlichen Wirkung des Diskriminierungsverbots ist es, dem Aufnahmemitgliedstaat zu untersagen, durch nach nationalem Recht zulässige aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungsverbots zu unterlaufen und für den Wanderarbeitnehmer dadurch die ursprünglich erlaubte weitere tatsächliche Ausübung seiner Beschäftigung aus Gründen infrage zu stellen, die nicht dem Schutz eines berechtigten Interesses des Staates, wie der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit dienen. Die aufenthaltsrechtliche Wirkung besteht danach in einem erhöhten Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots kann daher auch nur in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme liegen, die den Aufenthalt des Arbeitnehmers und damit auch die Fortsetzung seiner Beschäftigung infrage stellt, nicht aber in einer aufenthaltsrechtlichen Maßnahme, die - wie die hier streitige Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis - lediglich vergangene Zeiträume betrifft, in denen der Wanderarbeitnehmer ungehindert einer Beschäftigung nachgehen konnte. Das Diskriminierungsverbot untersagt dem Aufnahmemitgliedstaat eine

Aufenthaltsbeendigung, die nicht dem Schutz eines berechtigten Interesses des Staates dient, verpflichtet ihn aber nicht zur Erteilung eines bestimmten qualifizierten Aufenthaltstitels namentlich für bereits vergangene Zeiträume.

Unabhängig davon spricht auch viel dafür, dass das Diskriminierungsverbot in Fällen einer überschießenden Arbeitserlaubnis nur das im Vertrauen auf diese Erlaubnis aufgenommene konkrete Beschäftigungsverhältnis schützt und dessen Fortsetzung gewährleistet, nicht aber ein von einer solchen Beschäftigung unabhängiges dauerhaftes Aufenthaltsrecht vermittelt. Dass der Kläger im Zeitpunkt des Ablaufs der vorangegangenen Aufenthaltserlaubnis in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, das er seitdem ununterbrochen fortgesetzt hat, ist aber nicht ersichtlich.

Es kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger sich aufgrund der Erteilung einer unbefristeten Arbeitsgenehmigung im September 1998 überhaupt in einer Situation befand, in der ihm in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung nach nationalem Recht weitergehende Rechte als in Bezug auf seinen Aufenthalt verliehen worden sind und in der das Diskriminierungsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den genannten Europa-Mittelmeer-Abkommen ausnahmsweise aufenthaltsrechtliche Wirkungen entfaltet. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass nach deutschem Recht eine unbefristete Arbeitsgenehmigung kein von der Aufenthaltserlaubnis unabhängiges, gleichsam überschießendes Recht auf Fortführung einer nicht selbstständigen Erwerbstätigkeit vermittelt (vgl. Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 1 C 18.02 - a.a.O.). Ob an dieser Auffassung nach der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Gattoussi (Urteil vom 14. Dezember 2006 a.a.O.) ohne Vorlage an den Gerichtshof festgehalten werden kann, bedarf hier aus den oben aufgeführten Gründen keiner Entscheidung. [...]

a) Das Berufungsgericht hat wegen der mehr als einjährigen Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber in der Zeit von Oktober 2006 bis zur Berufungsverhandlung am 29. Mai 2008 ein Aufenthaltsrecht des Klägers aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 hergeleitet, weil dem Kläger jedenfalls aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht während dieses Zeitraums zugestanden habe, so dass die Beschäftigung ordnungsgemäß im Sinne von Art. 6 ARB 1/80 gewesen sei. Das Berufungsgericht ist dabei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger sich während dieses Zeitraums auf eine aufenthaltsrechtliche Wirkung des Diskriminierungsverbots in Art. 10 Abs. 1 AufenthG berufen kann.

Wie der Senat in seinem gleichzeitig verkündeten Urteil im Verfahren BVerwG 1 C 14.08 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) entschieden hat, hat sich eine vor dem 1. Januar 2005 erteilte Arbeitsberechtigung - wie sie der Kläger besaß - nach § 105 Abs. 2 AufenthG mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 in eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme einer Beschäftigung umgewandelt, wenn der Ausländer zu diesem Zeitpunkt im Besitz eines Aufenthaltstitels war, der ihn uneingeschränkt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Als bloßes Verwaltungsinternum scheidet die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit aber von vornherein als Grundlage für eine ausnahmsweise mögliche aufenthaltsrechtliche Wirkung des Diskriminierungsverbots aus. Denn sie verleiht dem Ausländer in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung keine weitergehenden Rechte als der ihm erteilte Aufenthaltstitel in Bezug auf den Aufenthalt. Diese gesetzliche Neuordnung des Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis rechts verstößt auch weder gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch unterliegt sie gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. [...]

Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Anwendung der gesetzlichen Neuregelung auf seinen Fall auch nicht gegen die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80. Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Diese Regelung hat in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung (EuGH, Urteile vom 17. September 2009 - Rs. C-242/06, Sahin - Rn. 53 ff., NVwZ 2009, 1551 und vom 21. Oktober 2003 - Rs. C-317/01 u.a., Abatay - Slg. 2003, I-12301 Rn. 58 f.), so dass sich türkische Staatsangehörige, für die diese Bestimmungen gelten, vor den innerstaatlichen Gerichten auf sie berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen. Die Stillhalteklausel verbietet es den Mitgliedstaaten, den Zugang zum Arbeitsmarkt für die von der Vorschrift erfassten türkischen Staatsangehörigen strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen, als sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift am 1. Dezember 1980 (Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80) in dem betreffenden Mitgliedstaat galten. Die seit dem 1. Januar 2005 geltende Neuregelung des Arbeitsgenehmigungs- und Aufenthaltsrechts stellt den Kläger hinsichtlich des Zugangs zu einer Beschäftigung und deren Ausübung nicht schlechter als das am 1. Dezember 1980 geltende nationale Recht. Auf die Frage, ob der Kläger die sonstigen Voraussetzungen des Art. 13 ARB 1/80 erfüllt, d.h. ob sein Aufenthalt und seine Beschäftigung im Bundesgebiet in dem maßgeblichen Zeitpunkt ordnungsgemäß waren, kommt es deshalb nicht an.

Dass sich die bisherige Rechtsstellung ausländischer Arbeitnehmer hinsichtlich der Ausübung einer Beschäftigung durch die Neuregelung der Zuständigkeit und des Verfahrens hinsichtlich der Arbeitserlaubnis nach den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers nicht verschlechtern sollte, ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Übergangsregelung in § 105 AufenthG (BTDrucks 15/420) in der es heißt:

"Die Übergangsregelungen stellen sicher, dass erteilte Arbeitsgenehmigungen ohne Einschränkungen fortgelten oder als Zustimmung der Bundesanstalt für Arbeit nach diesem Gesetz gelten, wenn ein neuer Aufenthaltstitel erteilt wird. Damit wird der zuvor erworbene Rechtsstatus auch unter dem geänderten Instrumentarium gewahrt."

Der Kläger sieht eine Verschlechterung seiner beschäftigungsrechtlichen Position demzufolge auch nur darin, dass ihm die Berufung auf einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die ihm unbefristet erteilte Arbeitsgenehmigung dadurch genommen wird. Ob ein etwaiger - hier unterstellter - gemeinschaftsrechtlicher Anspruch aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 in den Günstigkeitsvergleich der nationalen Rechtslagen im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 und zum gegenwärtigen Zeitpunkt einzubeziehen wäre, erscheint zumindest zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Denn der Kläger stünde bei Anwendung des am 1. Dezember 1980 geltenden Rechts auch bei Einbeziehung einer etwaigen aus dem früheren Arbeitsgenehmigungsrecht folgenden günstigeren Rechtsposition im Ergebnis nicht besser als nach dem derzeit geltenden nationalen Recht (vgl. zu diesen Voraussetzungen auch VG Darmstadt, Beschluss vom 12. Oktober 2009 - 5 L 971/09.DA - juris Rn. 66 ff.). Denn er hätte eine unbefristete Arbeitsgenehmigung und damit eine solche Rechtsposition unter Geltung der Rechtslage von 1980 nicht erlangt. [...]

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat sich der Kläger nicht erst seit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 2. Juli 1998, sondern bereits seit der Einreise aus der Türkei am 8. Juni 1998 rechtmäßig zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet aufgehalten. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist er zu diesem Zeitpunkt mit einem Sichtvermerk (Visum) für eine Familienzusammenführung in das Bundesgebiet eingereist und hat sich unter der damaligen Anschrift seiner Ehefrau in B. angemeldet (UA S. 3 und 27 f.). Ausweislich der Ausländerakten war der Kläger bei der Einreise im Besitz eines von der Deutschen Botschaft in Ankara mit Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde erteilten Visums mit einer Gültigkeit vom 14. Mai bis 13. August 1998. Damit war der Kläger seit seiner Einreise lückenlos im Besitz eines - sogar ehebezogenen - Aufenthaltstitels, so dass die Mindestbestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft schon am 8. Juni 2000 und damit dreieinhalb Wochen vor dem vom Berufungsgericht angenommenen Termin erreicht gewesen wäre.

Da das Berufungsgericht zur Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft lediglich ausgeführt hat, es habe nicht die Erkenntnis gewinnen können, dass die Lebensgemeinschaft mindestens bis Anfang Juli 2000 gedauert habe, ist nicht auszuschließen, dass diese zeitliche Differenz auch im Ergebnis zu einer anderen Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts bezüglich der Erfüllung der Zweijahresfrist hätte führen können. Das liegt auch deshalb nicht völlig fern, weil sich nach den Feststellungen im Berufungsurteil gerade im Juni 2000 die Lebensumstände durch den Umzug der Ehefrau des Klägers und ihrer Mutter von B. nach A. verändert haben könnten (UA S. 10). Da der Senat insoweit keine eigenen Sachverhalts- und Beweiswürdigungen vornehmen kann, ist das Verfahren schon aus diesem Grunde an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

b) Unabhängig davon ist die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft auch deshalb nicht in vollem Umfang mit den Grundsätzen der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) vereinbar, weil das Berufungsgericht sich dabei u.a. auf den Gesichtspunkt gestützt hat, dass der Kläger "die materielle Beweislast" dafür trage, dass die eheliche Lebensgemeinschaft trotz unterschiedlicher Aufenthaltsorte der Ehegatten fortbestanden habe, und im Falle der Unaufklärbarkeit der Lebensverhältnisse die Folgen zu tragen habe. Sofern das Berufungsgericht damit tatsächlich eine Entscheidung in Anwendung der Regeln über die materielle Beweislast hat treffen wollen, wäre dies mit Bundesrecht nicht vereinbar. Denn bei der Rücknahme eines begünstigten Verwaltungsakts - wie hier der Aufenthaltserlaubnis - geht es grundsätzlich zu Lasten der Behörde, wenn nicht geklärt werden kann, ob die Rücknahmevoraussetzungen, insbesondere das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts, erfüllt sind (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 170 m.w.N.). Das bedeutet allerdings nicht, dass der Betroffene, namentlich bei atypischen Gestaltungen des ehelichen Zusammenlebens, von seiner verfahrensrechtlichen Pflicht oder zumindest Obliegenheit entbunden ist, durch substantiierte Angaben über die tatsächlichen Lebensverhältnisse bei der Aufklärung mitzuwirken. Das Unterlassen dieser Mitwirkung kann bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten berücksichtigt werden, wie dies das Verwaltungsgericht in dem erstinstanzlichen Urteil auch getan hat. Jedenfalls muss das Tatsachengericht aber deutlich machen, ob es bei Würdigung der Gesamtumstände die Überzeugung von der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft vor Ablauf von zwei Jahren gewonnen hat oder ob es wegen der Unaufklärbarkeit der Verhältnisse (non-liquet) eine Entscheidung nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast trifft (vgl. zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung im Einzelnen Urteil vom 29. Juni 1999 - BVerwG 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174 176 ff.>). Da die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil nicht erkennen lässt, ob das Berufungsgericht die Unterlassung der Mitwirkung des Klägers an der Aufklärung in zulässiger Weise im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gewürdigt hat oder ob es eine Entscheidung nach den Grundsätzen der - fälschlicherweise dem Kläger auferlegten - materiellen Beweislast getroffen hat, kann sie revisionsrechtlich keinen Bestand haben.

4. Das Berufungsgericht wird deshalb in dem erneuten Berufungsverfahren nochmals nach den geschilderten rechtlichen Maßstäben prüfen müssen, ob die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers zumindest bis Anfang Juni 2000 bestanden hat. Sollte es zu der Überzeugung gelangen, dass dies der Fall war, könnte der angefochtene Bescheid sowohl hinsichtlich der Rücknahme als auch hinsichtlich des nach § 31 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 3 AufenthG zu beurteilenden Verlängerungsbegehrens und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben. Sofern nicht eine Ermessenreduzierung auf Null vorliegt, müsste die Beklagte gegebenenfalls zur Neubescheidung des Verlängerungsantrags verpflichtet werden. Dasselbe würde gelten, wenn das Berufungsgericht den Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft für unaufklärbar hielte und deshalb nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast zu Lasten der Beklagten entscheiden müsste.

Falls das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft schon vor dem 8. Juni 2000 geendet hat, müsste es weiter prüfen, ob die Rücknahme auch im Übrigen rechtmäßig ist, insbesondere ob der Kläger - wie von der Ausländerbehörde angenommen - die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse jeweils durch falsche Angaben erschlichen oder erwirkt hat und die Beklagte von ihrem Rücknahmeermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. In diesem Fall wäre der angefochtene Bescheid insgesamt als rechtmäßig zu bestätigen. [...]