VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 12.03.2010 - 7 B 1334/10 - asyl.net: M16771
https://www.asyl.net/rsdb/M16771
Leitsatz:

Vorbeugender Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Zustellung, Rechtsweggarantie, Bundesverfassungsgericht, Interessenabwägung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 27a, GG Art. 16a Abs. 2 S. 3,
Auszüge:

[...]

Zwar ist den Antragstellern der Bescheid über die Überstellung nach Griechenland bislang noch nicht bekanntgegeben worden. Ihnen ist gleichwohl nicht zuzumuten, zunächst die Zustellung eines Bescheides nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG abzuwarten, weil dieser erst am Tag der Überstellung am 16.03.2010 persönlich ausgehändigt werden soll, so dass effektiver Rechtsschutz nicht mehr möglich ist (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 06.01.2010 - 7 B 6258/09 -, Datenbank OVG).

Der Zulässigkeit des Antrags steht auch § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Hiernach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der auf dem Wege des § 27a AsylVfG ermittelt worden ist, zwar nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Die vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO kommt jedoch dann in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung nach § 60 AufenthG in Zweifel ziehende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, NVwZ 2009, 1281).

Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen zu Rückführungen nach Griechenland (vgl. Beschl. v. 08.12.2009 - 2 BvR 2780/09 -, veröffentlicht unter www.bverfg.de/entscheidungen/rk) im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG die Vollziehung der Abschiebung nach Griechenland vorläufig untersagt, ohne sich daran durch Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG und § 34a Abs. 2 AsylVfG gehindert zu sehen. Diese Entscheidung ist auch im Rahmen des fachgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes zu verwirklichen, ohne dass dem das Verwertungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG entgegenstehen würde (OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.11.2009 - 13 MC 166/09 -, Datenbank OVG). Die Statthaftigkeit fachgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes zu verneinen und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes deshalb zu versagen hätte zur Folge, dass dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerden jedenfalls gegenwärtig aller Voraussicht nach erfolgreich wären. Dem kann auf fachgerichtlicher Ebene derzeit dadurch Rechnung getragen werden, dass in "Dublin II-Fällen", in denen es um Rücküberstellungen nach Griechenland geht, Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht bereits nach § 34a Abs. 2 AsylVfG und Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG als unstatthaft angesehen werden (vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 07.10.2009 - 8 B 1433/09.A -, juris).

Der Antrag ist auch begründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.

Die danach zu treffende Interessenabwägung wird auch in materieller Hinsicht durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgezeichnet, in der ausdrücklich auf die den Asylantragstellern drohenden Nachteile infolge einer Abschiebung nach Griechenland hingewiesen und eine Vollziehung der Abschiebung vorläufig untersagt worden ist. Der Einzelrichter sieht in Anbetracht der Aktualität der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen keinen Anlass, weitere Erwägungen zu der Frage der den Antragstellern individuell drohenden Nachteile infolge einer Rücküberstellung anzustellen. Es gibt keinerlei belastbare Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation der Antragsteller in Griechenland besser darstellen würde, als die Situation der Asylantragsteller in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen.

Die einstweilige Anordnung ist notwendig, um die Rechte des Antragstellers zu wahren. [...]