VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2009 - 23 K 4949/08 - asyl.net: M16731
https://www.asyl.net/rsdb/M16731
Leitsatz:

1. Zur Zulässigkeit einer Klage auf Verpflichtung der Behörde zur Abgabe einer Zusicherung über die Übernahme der angemessenen Kosten einer noch anzumietenden Wohnung.

2. § 2 Abs 1 AsylbLG lässt erkennen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich für bis zu vier Jahre von einer ungesicherten Aufenthaltsperspektive ausgeht und noch keine soziale Integration mit öffentlichen Mitteln vorsieht. Dem entspricht die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften.

Schlagwörter: Wohnungszuweisung, Gemeinschaftsunterkunft, Asylbewerberleistungsgesetz
Normen: AsylVfG § 53 Abs. 1, GVG § 17a Abs. 2 S. 3, AsylbLG § 3 Abs. 2, VwVfG NRW § 38
Auszüge:

[...]

Das erkennende Gericht ist – statt der Sozialgerichtsbarkeit – aufgrund bindender Verweisung durch den Beschluss des Sozialgerichts E vom 2. Mai 2008 im Verwaltungsrechtsweg zur Entscheidung berufen (§ 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG). [...]

Die Klage ist insbesondere als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO statthaft, da die Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Verwaltungsakts im Sinne von § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) begehren. Bei der begehrten Zusicherung der Übernahme von angemessenen Unterkunftskosten einer noch anzumietenden Wohnung handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Für dieses Begehren besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Kläger zum aktuellen Zeitpunkt nicht unmittelbar die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme von Unterkunftskosten aus Mitteln nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erreichen können. Hierfür mangelt es an einem entsprechenden Unterkunftsbedarf in Gestalt einer wirksamen Mietverpflichtung, der erst mit der Anmietung einer Wohnung entsteht (vgl. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Juli 2008 – L 20 B 49/08 SO ER –, FEVS 60, 138 ff., bzw. Juris, Rn. 52).

Sie können aber auch keine grundsätzliche Entscheidung des Trägers der Asylbewerberleistungen über eine Zustimmung zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft und zur Anmietung einer Wohnung erreichen, denn eine Zustimmung zum Bezug bzw. zur Anmietung einer Wohnung (wie sie z.B. in § 29 Abs. 1 Satz 4 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – SGB XII – vorgesehen ist) kann nicht dem Grunde nach erfolgen und setzt das Vorhandensein einer konkreten Mietwohnung voraus, deren Aufwendungen auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden können (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2009 – L 20 B 2/09 AY ER –, Juris, Rn. 31 ff.).

Da aber ein Bedürfnis nach einer verbindlichen Klärung der (leistungsrechtlichen) Berechtigung von Asylbewerbern zum Auszug aus Gemeinschaftsunterkünften besteht, bevor diese eine rechtlich bindende mietvertragliche Verpflichtung eingehen, ist der hier gewählte Antrag auf Verpflichtung zur Abgabe einer Zusicherung über die Übernahme der angemessenen Kosten einer noch anzumietenden Unterkunft sinnvoll. Dies lässt die Frage der konkreten Höhe der angemessenen Kosten offen, die nur im Einzelfall bei Vorliegen eines konkreten Mietangebots geprüft werden können. Die grundsätzliche Frage, um die es zunächst regelmäßig – und so auch hier – geht, kann auf diese Weise auf den Einzelfall bezogen, jedoch ohne die auf die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten bezogenen Detailfragen, einer Klärung zugeführt werden. Hierdurch wird vermieden, dass Asylbewerber mit einem entsprechenden Wunsch eine Wohnungssuche betreiben müssen, die zu einem konkreten Mietangebot führt, welches dann, wenn der Leistungsträger mit dem Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft nicht einverstanden ist, wegen der für ein Klageverfahren erforderlichen Zeit verfällt. Dies könnten sie nur durch ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu vermeiden suchen, dessen Erfolg jedoch häufig unter Berücksichtigung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache am Erfordernis eines Anordnungsgrundes scheitern dürfte. [...]

Zwar sind die Kläger als nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG leistungsberechtigte Ausländer, die noch nicht § 2 Abs. 1 AsylbLG und – soweit ersichtlich – auch nicht § 1 a AsylbLG unterfallen, nicht mehr verpflichtet, nach § 47 AsylVfG in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, jedoch liegen keine Umstände vor, die es im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG erforderlich machen, die Grundleistungen in Geld zu erbringen und ihnen so die Anmietung einer Wohnung zu ermöglichen. Ihnen ist es auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens weiterhin zuzumuten, im Übergangsheim L Straße in M zu wohnen.

Dabei ist zu beachten, dass gemäß § 53 Abs. 1 AsylVfG Asylbewerber, die – wie die Kläger – nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen, wobei sowohl das öffentliche Interesse als auch Belange des Ausländers zu berücksichtigen sind. Diese Verpflichtung endet nach Abs. 2 der Vorschrift erst, wenn das Bundesamt einen Ausländer als Asylberechtigten oder Flüchtling anerkannt oder ein Gericht das Bundesamt zur Anerkennung verpflichtet hat. Diese asylverfahrensrechtliche Vorschrift richtet sich unmittelbar an die zuständigen Ausländerbehörden, die dies im Wege von Wohnsitzauflagen gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG umsetzen, ist jedoch vom AsylbLG-Träger bei seinen Entscheidungen über die Unterbringung von Asylbewerbern zu berücksichtigen (vgl. Verwaltungsgericht (VG) München, Beschluss vom 2. Oktober 2000 – M 6a E 00.3846 –, Juris Rn. 46).

Der Beklagte als AsylbLG-Träger hat insofern allerdings nur darüber zu entscheiden, für was für eine Unterkunft er die Kosten trägt. Da eine Wohnsitzauflage der Ausländerbehörde nicht vorliegt, gibt es keine Verpflichtung der Kläger, in dem Übergangsheim zu wohnen; allerdings verfügen sie nicht über Mittel, eine Wohnung anzumieten und es ist ihnen nach aktuellem Stand auch nicht erlaubt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und sich so Einkommen zu verschaffen. Der Rechtsstreit ist bei Beachtung dieser Situation zu Recht nicht gegen die Ausländerbehörde gerichtet mit dem Begehren, eine (hier nicht mehr vorhandene) Wohnsitzauflage aufzuheben, sondern es geht gegenüber dem AsylbLG-Träger allein um die asylbewerberleistungsrechtliche Entscheidung, ob die Kosten einer Mietwohnung übernommen werden.

Das AsylbLG, das Leistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes an Asylbewerber regelt, die – wie die Kläger – u.a. Duldungen nach § 60 a AufenthG besitzen, geht im Gegensatz zur Sozialhilfe, die an ein gesichertes Aufenthalts- und Bleiberecht geknüpft ist und eine Reintegration der Hilfebedürftigen in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben bezweckt, lediglich von einem Grundbedarf aus, der das zum Lebensunterhalt Unerlässliche enthält. Leistungen werden gegenüber der Sozialhilfe vereinfacht und an die Bedürfnisse eines nur kurzen vorübergehenden Aufenthaltes in der Bundesrepublik angepasst. Kennzeichnend hierfür ist zum einen die deutliche Absenkung des Lebensstandards und der grundsätzliche Vorrang von Sachleistungen, § 3 Abs. 1 AsylbLG. Das Sachleistungsprinzip gilt vor allem für die Unterbringung, d.h. die Leistungsberechtigten sind vorrangig in Aufnahmeeinrichtungen und vergleichbaren Einrichtungen wie Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Das ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich, da ein Asylbewerber in seiner Freiheit und Selbstverwirklichung nicht grundsätzlich dadurch beeinträchtigt wird, dass der Lebensunterhalt im Wesentlichen durch Sachleistungen und Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gewährt wird, wie es auch § 53 Abs. 1 AsylVfG für den Regelfall vorsieht. Dies dient u.a. auch der Reduzierung der durch die Versorgung der Asylbewerber entstehenden Kostenlast und soll einer Verfestigung des Aufenthaltes entgegenwirken. Deshalb ist grundsätzlich der Bedarf an Unterkunft durch Sachleistung, d.h. durch Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zu decken. Nur ausnahmsweise – und auch hier sind die Erwägungen zu § 53 AsylVfG heranzuziehen – ist eine Unterbringung außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft möglich, wobei dies im Ermessen der Behörde steht. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist das öffentliche Interesse an dieser Art der Unterbringung mit dem privaten Interesse abzuwägen, wobei auch Gesichtspunkte der Kostenersparnis eine Rolle spielen können. Allgemeine aus der gemeinschaftlichen Unterbringung folgende Beschwernisse und Einschränkungen sind grundsätzlich hinzunehmen und müssen hinter dem gesetzlich bestimmten Interesse des Staates zurücktreten. Nur bei atypischen individuellen Verhältnissen können private Belange unter Umständen Vorrang beanspruchen (vgl. VG München, a.a.O., und Beschluss vom 15. Mai 2001 – M 6 E 01.1626 –, Juris Rn. 19; Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG (GK-AsylVfG), Stand Dezember 2007, § 53 Rn. 6 ff.).

Als die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung begründende und bei dieser zu berücksichtigende Umständen kommen in Betracht: Alle konkreten, aus der Unterbringungssituation, den örtlichen Gegebenheiten, der Person des Leistungsberechtigten, seiner Angehörigen oder Lebenspartner sich ergebenden Sachverhalte, die trotz des von Gesetzes wegen gewollten grundsätzlichen Vorrangs der Sachleistungsgewährung einen Rückgriff auf andere Formen der Leistungserbringung nahe legen und sachlich rechtfertigen. Als objektive Umstände kommen in Betracht die fehlende tatsächliche Möglichkeit, in einer Gemeinschaftsunterkunft den notwendigen Bedarf an Ernährung durch Sachleistungen in Form von Essenspaketen o.ä. decken zu können, große räumliche Entfernungen oder unüberwindbare organisatorische Probleme, die z.B. der Aushändigung von Wertgutscheinen entgegenstehen können. Als subjektive private Belange sind alle schützenswerten Interessen anzusehen, insbesondere familiäre Bindungen, gesundheitliche Gesichtspunkte sowie Bedürfnisse kultureller, religiöser, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Art. Das Mindestmaß der Anforderungen an die Unterbringung folgt aus der Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 des Grundgesetzes (GG) (siehe Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG (GK-AsylbLG), März 2007, § 3, Rn. 74; GK-AsylVfG, a.a.O., § 53, Rn. 7 f.). [...]

Der Verbleib im Übergangsheim L Straße ist den Klägern auch nicht deshalb unzumutbar, weil sie sich dort bereits seit Februar 2007 – und damit seit 33 Monaten – aufhalten. Zwar ist es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zulässig, Asylbewerber auf unbestimmte Zeit in der mit Unannehmlichkeiten, Schwierigkeiten und Einschränkungen verbundenen und einer Integration nachteiligen Situation einer Unterbringung in einem Übergangsheim bzw. einer Gemeinschaftsunterkunft zu belassen. Der Einschätzung, dass eine derartige Unterbringung von mehr als neun Monaten (oder eines anderen vergleichsweise kurzen Zeitraums) mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar sei (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl., 2005, § 53, Rn. 35), folgt der Einzelrichter nicht. Der Gesetzgeber hat schon zuvor durch § 2 Abs. 1 AsylbLG deutlich gemacht, dass er es Asylbewerbern zumutet, über einen deutlich längeren Zeitraum (nach der Vorgänger-Fassung dieser Vorschrift für 36 Monate) mit Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und damit zugleich im Regelfall mit der Deckung des Unterkunftsbedarfs als Sachleistung in Gemeinschaftsunterkünften auszukommen. Erst dann erhalten die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungen entsprechend dem SGB XII (und damit eventuell auch Unterkunft außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften). Dieser Zeitraum ist mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 1970 ff.) auf 48 Monate verlängert worden (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes). Der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zu diesem Gesetz ist zu entnehmen, dass es bei der Anhebung darum ging, Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG zu ermutigen, ihren Lebensunterhalt möglichst durch eigene Arbeit und nicht durch Leistungen des Sozialsystems zu sichern. Mit der 48-Monats-Frist sollte ein Gleichlauf mit der gesetzlichen Altfallregelung in § 104 a AufenthG und der Änderung von § 10 der Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) erzielt werden. Zugleich sei diese einheitliche Stufung nach vier Jahren gerechtfertigt, da bei den nach § 1 AsylbLG Leistungsberechtigten angesichts der ungewissen Aufenthaltsperspektive grundsätzlich kein sozialer Integrationsbedarf vorhanden sei. Die Entscheidung über den Beginn der höheren Leistungen analog dem Sozialgesetzbuch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, die für die Integration in hiesige Lebensverhältnisse zu gewähren seien, hänge vom Grad der zeitlichen Verfestigung des Aufenthalts ab. Nach Auffassung des Gesetzgebers kann bei einem Voraufenthalt von vier Jahren davon ausgegangen werden, dass bei den Betroffenen eine Aufenthaltsperspektive entstehe, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf bessere soziale Integration gerichtet sind (BTDr. 16/5065, A.IV., S. 155, sowie B. Zu Art. 6, zu Nummer 2 (§ 2), S. 232).

Diesen Ausführungen entnimmt der Einzelrichter, dass der Gesetzgeber für bis zu vier Jahre von einer ungesicherten Aufenthaltsperspektive ausgeht und noch keine soziale Integration aus Mitteln der Allgemeinheit vorsieht. Dem entspricht die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. [...]