OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.02.2010 - 11 S 65.09 - asyl.net: M16704
https://www.asyl.net/rsdb/M16704
Leitsatz:

Zur Sicherung des Lebensunterhalts bei Verlängerung nach § 34 Abs. 3 AufenthG.

Schlagwörter: Kindernachzug, Verlängerungsantrag, Sicherung des Lebensunterhalts, Prognose
Normen: AufenthG § 34 Abs. 3, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Die zulässige Beschwerde hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevortrages keinen Erfolg. Der Antragsgegner hat keine berechtigten Zweifel an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht aufgezeigt.

Zutreffend ist der Antragsgegner allerdings davon ausgegangen, dass die begehrte weitere Verlängerung der zunächst nach § 34 Abs. 1 AufenthG und mit Volljährigkeit des Antragstellers gemäß § 34 Abs. 2 AufenthG als eigenständigem Aufenthaltstitel erteilten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen von § 5 AufenthG voraussetzt, wozu als Regelerteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nunmehr die Sicherung des Lebensunterhalts zählt. Diese Regelung ist gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG bei der Verlängerung nach § 34 Abs. 3 AufenthG zu berücksichtigen, denn die Privilegierung in § 34 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt nur für die akzessorische Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des Absatzes 1 der Norm, nicht auch für die Verlängerung nach § 34 Abs. 3 AufenthG (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AV-Bund - vom 26. Oktober 2009, GMBl. 2009, 877 ff., Nr. 34.3.2; Hailbronner, AuslR, Stand 11/2009, § 34 Rn. 17; Welte, AktAr, Stand 02/2009, § 34 Rn. 28, so wohl auch OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2008 - 3 Bs 196/07 -, in Juris; wohl abweichend Marx in GK, Stand 06/2008, § 34 Rn. 68). Diesbezüglich besteht auch nicht das nach § 34 Abs. 3 AufenthG ansonsten bei Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen eröffnete Ermessen der Ausländerbehörde. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers dann gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Die hierzu geforderte Prognoseentscheidung beinhaltet auch das Moment einer Dauerhaftigkeit der Unterhaltssicherung, die mit Blick auf die zu erwartende Dauer des beabsichtigten Aufenthalts und die Risiken für die öffentliche Hand einerseits sowie unter Berücksichtigung der Berufschancen, Erwerbsbiografie und aktuellen Einkommenssituation zu beurteilen ist. Die verlangte Existenzsicherung kann deshalb nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung beurteilt werden. Aus dem Zweck der Norm ergibt sich die Notwendigkeit einer gewissen Verlässlichkeit des Mittelzuflusses (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AV-Bund - vom 26. Oktober 2009, Nr. 2.3.3; BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, InfAuslR 2009, 270 ff.; Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, NVwZ 2009, 248 ff.; Urteile des Senats vom 4. Februar 2008 - 11 B 4.07 - und vom 27. August 2009 - 11 B 1.09 -, jeweils in Juris). [...]

Der Senat folgt deshalb der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass weitere Aufklärung erforderlich, aber der Sofortvollzug aktuell nicht geboten erscheint. Hierbei ist im Fall des Antragstellers gerade zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Familiennachzug von Kindern bis zum 16. Lebensjahr ohne die gesteigerten Integrationsvoraussetzungen von § 32 Abs. 2 AufenthG gestattet und es unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen diesem Personenkreis vielfach schwer fallen wird, sich in Deutschland wirtschaftlich zu integrieren, zumal wenn sie erst relativ kurz vor Vollendung des 16. Lebensjahrs einreisen. Trotz der insofern erkennbaren Integrationsprobleme hat sich der Gesetzgeber auf diese im Gesetzgebungsverfahren umstritten gewesene Altersgrenze festgelegt (vgl. zur Diskussion des Nachzugsalters nur Hailbronner, § 32, Rn. 1 ff.). Hiernach erscheint es geboten, dem erst Anfang 2009 volljährig gewordenen Antragsteller die Chance zu belassen, selbständig seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der Umstand, dass auch hier - wie vermutlich vielfach - die Sicherung des Lebensunterhalts nur durch gering qualifizierte Arbeit erfolgen kann, gibt für eine gegenteilige Entscheidung noch keinen ausreichenden Anlass. Gegenwärtig ist eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen wegen des Bezugs von öffentlichen Leistungen, der für den Antragsteller nach dem Bescheid des Job Center Berlin Mitte vom 21. September 2009 ab 24. Juli 2009 weggefallen war, nicht erkennbar. Weitere Aufklärung ist - wie bereits dargelegt - dem Klageverfahren vorzubehalten. Bei Änderung der Sachlage besteht die Möglichkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO. [...]