LG Berlin

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Zitieren als:
LG Berlin, Beschluss vom 17.12.2009 - 84 T 483/09 B - asyl.net: M16678
https://www.asyl.net/rsdb/M16678
Leitsatz:

Der Anordnung von Sicherungshaft kommt bei minderjährigen Ausländern wegen der Schwere des Eingriffs ganz besondere Bedeutung zu. Mildere Mittel zur Sicherung der Abschiebung können die Unterbringung in einem Jugendheim, Meldeauflagen sowie räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsorts sein.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Sicherungshaft, minderjährig, Dublin II-VO, Altersfeststellung, Zahnstatus, Asylantrag, Dublinverfahren, Rumänien, Verhältnismäßigkeit, Feststellungsinteresse
Normen: AufenthG § 72 Abs. 4, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, AsylVfG § 14, FamFG § 58, FamFG § 59, FamFG § 63 Abs. 1, FamFG § 429
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist auch begründet, denn das Amtsgericht hätte die Freiheitsentziehung der Betroffenen nicht wie geschehen am 09.11.2009 anordnen dürfen. Die durch den angefochtenen Beschluss angeordnete Haft war unverhältnismäßig.

Nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. ... vom 22.10.2009 ist die Betroffene ca. 18 bis 19 Jahre alt. Der Gutachter konnte die Behauptung der Betroffenen, am 02.01.1992 geboren worden zu sein, nicht widerlegen und hat sich dafür ausgesprochen, dass dieses Geburtsdatum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anzuzweifeln sei. Dies hat die Kammer ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Danach muss zu Gunsten der Betroffenen von ihrer Minderjährigkeit ausgegangen werden.

Der Anordnung von Sicherungshaft kommt bei minderjährigen Ausländern wegen der Schwere des Eingriffs ganz besondere Bedeutung zu. Die Verwaltungsbehörde ist wegen der schwerwiegenden Folgen, die Minderjährige von der Vollziehung der Haftanordnung davontragen können, nach dem verfassungsgemäßen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allen Verwaltungshandelns gezwungen, das Abschiebungsverfahren mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben, unverzüglich die notwendigen Vorbereitungen für die Abschiebung zu treffen und alle Möglichkeiten zu prüfen, die auf mildere und weniger einschneidende Weise die beabsichtigte Abschiebung sichern können (Kammergericht, Beschluss vom 18.03.2005 zu 25 W 64/04, unter Verweis auf OLG Köln, Beschluss vom 11.09.2002 zu 16 Wx 614/02, Beschluss vom 02.02.2003 in OLGR Köln 2003, S. 193). Mildere Mittel können die Unterbringung in einem Jugendheim, Meldeauflagen sowie räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsorts sein (Kammergericht a.a.O.).

Zwar hat der Antragstellervertreter im Haftantrag die Auffassung vertreten, dass in dem Fall der Betroffenen solche milderen Mittel ausscheiden, weil diese aufgrund ihres Reifeprozesses handlungsfähig und in der Lage sei, sich dem Zugriff der Behörde zu entziehen und Jugendeinrichtungen nicht geeignet seien, ihre Abschiebung zu sichern, insbesondere im Hinblick auf das Alter der Betroffenen und ihre Reife. Diese Ausführungen genügen der Kammer jedoch nicht für eine Annahme der Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung. Zum einen ist von der Ausländerbehörde bereits im Haftantrag ausführlich darzustellen, dass im Vergleich zur Haftanordnung mildere Mittel geprüft wurden und warum sie im Einzelfall nicht in Betracht kommen (Kammergericht a.a.O.), und erscheinen die Angaben in dem Haftantrag ohne eine genaue Prüfung des Einzelfalls gemacht worden zu sein. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die Unterbringung in einem Jugendheim ernsthaft geprüft hat, weil er nicht angegeben hat, welches Jugendheim für eine Unterbringung der Betroffenen überhaupt in Frage gekommen wäre und unter welchen Bedingungen eine Unterbringung der Betroffenen dort möglich gewesen wäre. Auch stand das Geburtsdatum des 02.01.1992 von Anfang an für den Antragsteller als ein mögliches im Raum, weswegen der Antragsteller verpflichtet gewesen wäre, sich mit dem jugendlichen Alter und einer gegebenenfalls vorhandenen Reife der Betroffenen auseinanderzusetzen. Zum anderen kann von der Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung auch nicht unter dem Gesichtspunkt ausgegangen werden, dass die Betroffene kurz vor der Vollendung des 18. Lebensjahres steht. [...]